Andreas, als Du 2014 angefangen hast bei RTLzwei, da war das Motto des Senders „It’s fun“. Macht die Branche dir gerade Spaß?
Wir haben uns bei RTLzwei etwas angewöhnt, was ich der ganzen Branche raten würde: Sich eine gewisse Grundfröhlichkeit bewahren, sonst wird jede Herausforderung noch mühsamer in dieser andauernden Phase der Transformation unseres Geschäfts. Es gibt im Markt derzeit kaum jemanden, der nicht bergauf kämpfen muss. Die Stimmung ist aber schlechter als die Lage: Wir erleben gerade das große Video-Zeitalter, es wurde noch nie so viel Bewegtbild genutzt wie heute. Die Fernsehhäuser sind noch dabei herauszufinden, wie sie langfristig von dieser Transformation profitieren. Sie werden einen Weg finden, da bin ich mir sicher. Wenig Anlass zur Zuversicht bietet die geopolitische Lage, die den erhofften Aufschwung durch eine neue und vielleicht stabilere Regierung in Deutschland ausbremst. Und dieses Warten auf den Aufschwung geht einem im fünften Jahr der Krise dann doch langsam an die Knochen, wenn man von der kurzen Erholung nach Corona absieht. Da hatten wir mal ein paar Monate mehr Buchungen als Werbeplätze. Aber dann schlug Russlands Angriff auf die Ukraine durch.
Resigniert man da nicht?
Die Konjunktur geht rauf und runter, das ist normal. Langfristig herausfordernder sind die Werbeumsätze, die zu den Plattformen und US-Streamern gehen. Die sind aber weit weniger reguliert als wir: Globale gegen nationale Anbieter, mit unterschiedlichen Spielregeln. Das ist kein fairer Wettbewerb. Absehbar wird sich daran nichts ändern, also versuchen wir, das sportlich zu nehmen. Interessant ist, dass jetzt alle das entdecken, was wir schon immer gemacht haben: Werbefinanzierung und selbst lineares Programm. Unsere Branche hat ein hartes Match vor sich, aber wir können es gewinnen. Ein Unentschieden ist mindestens drin.
Als du die Führung von Sat.1 abgegeben hast, hast du nach eigener Aussage ein „bestelltes Haus“ hinterlassen. Wie sieht es jetzt bei RTLzwei aus?
(lacht) Diesmal ist Neubau das passendere Bild, weil RTLzwei sich heute völlig anders darstellt als vor Jahren. Der Innenausbau läuft noch, aber mit den neuen Strukturen hat das Unternehmen alle Voraussetzungen für eine lange und stabile Zukunft.
Was ist die größte Stärke von RTLzwei in diesem immer heftigeren Wettbewerb?
Nach wie vor diese Spezialisierung auf Echte-Leute-Fernsehen – in verschiedenen Ausprägungen. Zum einen in unterhaltenden Dokusoaps oder in dokumentarischen Reihen, in denen wir uns Menschen widmen, die niemand so intensiv und auf Augenhöhe begleitet wie wir. Das können Berufe sein, von denen wir alle abhängig sind, oder der Alltag in sozial benachteiligten Milieus. Auf der anderen Seite stehen die Dating-Realitys. Das ist heute nicht mehr unique RTLzwei, aber wir haben damit angefangen. „Love Island“ war der Startschuss für diese große Welle. Wir haben sozusagen die B-Prominenz erfunden, die jetzt als Wanderzirkus durch die Formate zieht und inzwischen eine ganz eigene Welt geworden ist. RTLzwei hat viele relevante Marken, die insbesondere auch im Streaming sehr erfolgreich sind. Programmmarken sind schon heute tendenziell wichtiger als Sendermarken, und da sind wir hervorragend aufgestellt.
"Die besondere Situation bei RTLzwei hat mehr Vorteile als Nachteile."
Und was ist die wichtigste Eigenschaft, die deine Nachfolgerin oder dein Nachfolger besitzen muss?
Jeder, der in so eine Managementaufgabe kommt, hat davor andere Erfahrungen gesammelt und einen eigenen Stil entwickelt. Ich hatte das große Glück, den Sender elf Jahre nach meinen Überzeugungen führen zu können, aber ich würde da keine Tipps geben wollen. Wer auch immer kommt, er oder sie wird neue Impulse mitbringen und das ist gut.
Ich hätte jetzt auf Diplomatie oder Optimismus getippt…
Du spielst auf die Gesellschafterstruktur an? Da bin ich der Überzeugung, dass diese besondere Situation bei RTLzwei mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Die Geschäftsführung hat hier einen großen Gestaltungsspielraum, solange man gute Ergebnisse abliefert. Was meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger schnell merken wird: RTLzwei ist ein sehr eigenes Biotop – ganz anders als das Arbeiten in einem Konzern, was ich davor ja auch intensiv erlebt habe bei ProSiebenSat.1.
Aber inhaltlich ist RTLzwei doch jetzt nicht so anders als andere Sender?
Bei RTLzwei war und ist vieles möglich, was sich andere nicht trauen. Aber man muss erst einmal ein Klima schaffen, in dem so etwas überhaupt entstehen kann. Es braucht den Raum, auch mal schräge Idee zu äußern und zu diskutieren. Richtig ist: Es ist höchste Zeit für ein prägendes Format, das grundlegend anders ist und dem ganzen Medium einen kreativen Schub verleiht. So etwas gibt es nur selten und es ist überfällig.
Waren dann die Screenings von El Cartel Media - wo Du in den absurdesten Verkleidungen auf die Bühne gekommen bist - die Momente, in denen Du gemerkt hast, dass das hier nicht mehr ProSiebenSat.1 ist?
(lacht) Ich hatte auch eine sehr gute Zeit bei ProSiebenSat.1, aber ja, diese Auftritte habe ich sehr geliebt: Als Zombie auf der Bühne oder bei der Vorstellung von „Naked Attraction“ den Eindruck zu erwecken, wir kämen jetzt nackt auf die Bühne. Dann waren wir Flugzeugpiloten und was nicht alles. Das waren Momente, in denen wir einfach mal ungehemmt albern waren. Schließlich sind wir bei RTLzwei die Experten für wohlige Guilty Pleasures.
"Es ist sehr schwer geworden mit dem jungen Publikum im linearen Fernsehen Geld verdienen zu wollen."
RTLzwei gehört zu den jüngsten Privatsendern. Nun wollen alle anderen Sender aber bewusst älter werden. Welchen Weg sollte RTLzwei verfolgen?
Die Wahrheit ist, dass das lineare Fernsehen die ganz junge Zielgruppe mit wenigen Ausnahmen nicht mehr erreicht. Der Zugang kommt dort über TikTok, Instagram und anderen Social-Media-Plattformen. Von daher ist es sehr schwer geworden mit dem jungen Publikum im linearen Fernsehen Geld verdienen zu wollen. Auch das beim Streaming strategisch wichtige Abogeschäft spricht ein Publikum an, das etwas älter ist als in den kostenlosen Social Media. Deswegen stehen die Short Videos bei TikTok und Co. eher im Wettbewerb mit YouTube als mit dem Fernsehen oder Paid Streaming. Social Media verdrängen also nicht zwingend Longform-Video, sondern bedienen unterschiedliche Zielgruppen und Interessen. Es bleibt der Fakt: RTLzwei wird älter, wir sind nicht mehr der ganz junge Sender, der wir einmal waren. Das wäre geschäftlich nicht sinnvoll. Aber wir sind im Verhältnis zu anderen Sendern weiterhin jünger.
Wenn wir über das junge, irgendwie andere RTLzwei sprechen: Wie bewertest Du rückblickend das Experiment RTL2 You?
Es war eine außergewöhnliche Idee, die damals im ganzen Haus von Begeisterung getragen wurde. In der firmeninternen Nostalgie spielt RTL2 You immer noch eine große Rolle. Das Projekt ist ein Beleg für das, was in diesem Biotop entstehen kann. Waren wir damit zu früh oder zu spät dran? Ich glaube, dass wir trotz der brillianten Elemente bei RTL2 You unterschätzt haben, in welch intensiven Wettbewerb wir uns da begeben. Da waren wir schlicht zu klein, um den Werbetreibenden ein vernünftiges Angebot zu machen. Dieses ungute Gefühl hatte mich damals schon beschlichen, aber ich habe mich von der Euphorie anstecken lassen. Julia Reuter und ich mussten dann der Gesellschafterversammlung den einjährigen Geschäftsbericht von RTL2 You vorstellen, der von den Plänen ein bisschen abwich. (lacht) Wir fühlten uns wie vor einem Gerichtsprozess, von dem wir wussten, dass er nicht zu gewinnen ist. Das war legendär. Ich habe vor ein Buch zu schreiben, und das wird definitiv drin sein.
Gibt es andere Projekte, von denen Du Dir mehr erhofft hattest?
Das gab es immer wieder. Man ist überzeugt, die besten Zutaten zu haben, und dann zündet etwas nicht. Beispiel „Let’s Love - Eine Hütte voller Liebe“ mit Jana Ina Zarrella. Da waren wir alle im Haus sehr angetan, haben dem entgegengefiebert. Hat aber nicht funktioniert. Rückblickend haben einige gesagt: Das war eher ein Programm für Vox.
Auf was bist du in deinen elf Jahren an der Spitze von RTLzwei besonders stolz? Und weil es die naheliegende Antwort ist, darfst Du mir jetzt nicht mit „Mein Team“ kommen…
Es gab sicher viele Formate, darunter zum Beispiel „Hartz und herzlich“. Es gab auch vorher schon Sozialreportagen, aber die Art, wie wir hier erzählen, das war nochmal was Neues. Auch „Love Island“ war eine Innovation, die das Dating-Genre erst so richtig befeuert hat. Eine Alleinstellung im Genre besitzt nach wie vor „Kampf der Realitystars“. Wirklich stolz bin ich darauf, dass es mir gelungen ist, die Voraussetzungen zu schaffen, in denen so etwas entstehen kann. Das war für mich eine neue Herausforderung bei RTLzwei. Als Vorstand bei ProSiebenSat.1 hatte man innerhalb eines solchen Konzerns für viele Funktionen zuständige Kolleginnen und Kollegen. Bei RTLzwei war ich als Geschäftsführer in weit mehr Bereiche involviert und hatte mehr Verantwortung. In Grünwald habe ich mich immer als Programmmanager gesehen, nicht als Programmmacher. Ich stand seltener im Blaumann in der Werkstatt. Das ist okay, niemand will, dass der Chef ständig bei der Detailarbeit mitmischt.
"Ich habe noch nicht vor, mich gänzlich von der Branche zu verabschieden."
Dann bleibt noch die gegenteilige Frage: Gibt es etwas aus den elf Jahren bei RTLzwei, das du rückblickend bedauerst?
Sehr naheliegend ist da natürlich diese Wendler-Geschichte, wo – einschließlich mir selbst – eine Fehlerkette entstanden ist, die uns im falschen Moment blind gemacht hat. Das war rückblickend einfach eine schlechte Idee. Wir haben berechtigterweise scharfe Kritik geerntet. Aber es hat auch Kolleginnen und Kollegen wehgetan. Das ist eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte.
Kann man nach mehr als 30 Jahren im Tagesgeschäft jetzt von heut auf morgen die innere Uhr erstmal abstellen, die einen morgens nach der Quote schauen lässt?
Ich kenne zwei Ex-CEOs, mit denen ich arbeiten durfte, die sagen, dass sie sich noch heute morgens die Quoten anschauen. Da wäre ich mir jetzt nicht so sicher, ob ich das mache. Ich verfolge lieber die inhaltlichen Trends. Aber was ich vermissen werde, ist die Freude mit so vielen außergewöhnlichen Menschen zu arbeiten in dieser großartigen Branche, ob bei uns im Team oder mit vielen externen Partnern.
Ist das denn jetzt der Moment, an dem sich Andreas Bartl aus der Branche verabschiedet?
Das Echo auf meinen angekündigten Abschied hat mir gezeigt, dass ich in all den Jahren vielen Menschen etwas geben konnte. Das hat mich sehr gefreut, da war ich überwältigt. Ich habe noch nicht vor, mich gänzlich von der Branche zu verabschieden. Vielleicht wird es nochmal ein operativer Job, vielleicht ein Beratungs- oder Aufsichtsratsmandat. Das wird man sehen.
Andreas, herzlichen Dank für das Gespräch