Herr Elsener, es wird ja oft von den sogenannten Streaming Wars gesprochen. An welchem Punkt in diesem Krieg befinden wir uns aktuell? Ist es überhaupt noch ein Krieg? Manche sagen: Netflix hat längst gewonnen.

Roger Elsener: Der Begriff Krieg ist in dem Zusammenhang vielleicht etwas martialisch. Wir sind an einem Punkt, an dem wir klare Tendenzen sehen. Das hat vor zehn Jahren mit der digitalen Transformation begonnen. Globale Streamingdienste haben seither viele Marktanteile gewonnen, sie sind heute nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig haben auch das private sowie das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Daseinsberechtigung, unter anderem auch deshalb, weil sie starke Inhalte haben, die internationale Streaminggiganten nicht produzieren und auf absehbare Zeit nicht anbieten werden.

Also drei gleichberechtigte Player, die gegeneinander antreten?

Im Wesentlichen wird es auf ein Dreigestirn hinauslaufen. Bei globalen Playern sehe ich absehbare Tendenzen zu einer Konsolidierung. Und über die drei Player hinweg gibt es einen verstärkten Trend zu Kooperationen. Das zeigt sich unter anderem in Frankreich mit TF1 und Netflix, aber auch in Großbritannien, wo es beispielsweise mit dem Projekt Freely zwischen BBC, ITV, Channel 4 und Channel 5 ähnliche Tendenzen gibt. So wird es auch in Deutschland kommen.

Was ist da für Zattoo denkbar?

Wir haben eine Position eingenommen, an der wir uns als Partner dieser drei Parteien verstehen. Wir sind ein Plattform-Aggregator, der sich als Kooperationspartner sowohl von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern, aber auch von Streamingdiensten sieht.

Mit privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern hat Zattoo heute schon einige Partnerschaften. Die Streamingdienste sind größtenteils noch zurückhaltend. Warum?

Mit den Streamern sind wir in guten Gesprächen. Wir haben bereits Kooperationen mit Sky oder MySports in der Schweiz und arbeiten mit verschiedenen Plattformen über unser B2B-Geschäft zusammen. Natürlich wollen wir auch im Direct-to-Consumer-Bereich noch mehr Kooperationen mit den großen Streamingdiensten eingehen.

Ich habe eine sehr steile Lernkurve erfahren dürfen. 


Zattoo feiert jetzt sein 20-jähriges Bestehen und war einer der ersten in Sachen Streaming. Ist Ihnen angesichts des Konkurrenzdrucks in diesem Segment zum Feiern zumute?

Uns ist tatsächlich zum Feiern zumute. Im letzten Jahr haben wir unsere monatlich aktiven Abo-Kunden um 20 Prozent gesteigert. Zum ersten Mal überhaupt haben wir die für uns magische Marke von einer Milliarde gestreamten Stunden über alle Plattformen hinweg überschritten. Wir wachsen sowohl im B2C als auch im B2B-Bereich sehr schön.

Sie sind jetzt seit rund einem Jahr CEO von Zattoo. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Ich habe eine sehr steile Lernkurve erfahren dürfen. Ich bin eingetreten in ein Unternehmen, das mehr als 60 Nationalitäten vereint und gleichzeitig durch ein starkes, kulturelles Werte-Set eine Einheit bildet. Das habe ich in der Form in keinem anderen Unternehmen kennenlernen dürfen. Meine Zeit bei Zattoo habe ich mit einem neuen Strategieprozess begonnen. Einerseits konnte ich da meine Kenntnisse und bisherigen Erfahrungen einbringen, vor allem im Bereich der Produktion und Distribution von DTC-Streaming-Inhalten. Andererseits habe ich gelernt, wie das Plattformgeschäft im B2B-Bereich läuft.

Sie sollten Zattoo in "die nächste Entwicklungsphase" führen. Was bedeutet das überhaupt und wie weit sind Sie auf diesem Weg?

Mit unserer neuen Strategie führen wir Zattoo in die Zukunft. Dafür haben wir vier strategische Säulen definiert: unser Direct-to-Consumer-Geschäft, das wir gezielt weiterentwickeln, den Ausbau unseres AdTech-Geschäfts mit neuen Werbeinventaren im wachsenden CTV-Markt, sowie zwei B2B-Bereiche: unsere bewährte White-Label-Plattform für Partner wie 1&1, sowie modulare B2B-Produkte wie zum Beispiel die Media Integration Plattform, die wir jüngst über die Akquisition von Green Streams in unser Produktportfolio aufgenommen haben. Auf allen Ebenen investieren wir gezielt in Wachstum, Technologie und Partnerschaften.

Können Sie die Strategie hinter den modularen B2B-Produkten noch etwas näher ausführen?

Um unsere Strategie konsequent umzusetzen, haben wir vor einigen Monaten den Plattformanbieter Green Streams übernommen. Die Media Integration Platform (MIP), die Middleware von Green Streams, erlaubt es uns, viel flexibler zu werden. Unsere eigene Plattform wurde historisch bedingt monolithisch gebaut. Inzwischen ist der Markt so fragmentiert und groß, dass die Möglichkeiten, hochspezialisierte Anbieter anzubinden und mit ihnen zu kooperieren und zu skalieren, immens sind. Diese neue Modularität, die die MIP von Green Streams ermöglicht, trifft auf eine hohe Nachfrage im Markt und wird uns ermöglichen, weiter zu wachsen. Auch global.

Unsere eigene Plattform wurde historisch bedingt monolithisch gebaut. Inzwischen ist der Markt so fragmentiert und groß, dass die Möglichkeiten, hochspezialisierte Anbieter anzubinden und mit ihnen zu kooperieren und zu skalieren, immens sind. 


Wenn man B2B und B2C miteinander vergleicht. Welcher Bereich ist wichtiger und liefert mehr Umsatz? Und welcher verspricht das größere Wachstum?

Beide Bereiche haben eine hohe Relevanz für uns. Aktuell sehen wir im B2B-Markt ein Momentum. Wir sind auch im Direct-to-Consumer-Geschäft sehr schön gewachsen. Allerdings sind wir kein Unternehmen, das um jeden Preis aggressiv Marktanteile gewinnen will. Wir wollen stattdessen profitabel und nachhaltig operieren. Im B2B-Bereich haben wir bereits mehr als 30 Partner in zehn Ländern. Da sehen wir einen klaren Trend: Immer mehr klassischen Kabelnetzanbietern ist das Inhalte- und Distributionsgeschäft zu komplex, als dass sie es selbst wirtschaftlich vernünftig betreiben könnten. Diese Unternehmen setzen auf Outsourcing und da sind wir der perfekte Partner.

Welche Rolle spielen FAST-Channels für Zattoo? Das Angebot ist ja deutlich ausgebaut worden und es ist eine Art Trend drumherum entstanden. Bleibt es dabei oder kommt es bald zu einer größeren Konsolidierung?

Aktuell ist es für uns ein sehr gutes Geschäft. Es ist ein Stück weit auch eine Manifestation dessen, dass linear konsumierte Inhalte eine Zukunft haben. Der Trend hin zur On-Demand-Nutzung ist da, aber es wird nicht so sein, dass künftig alle Inhalte auf Abruf konsumiert werden. Wir bauen unser FAST-Angebot tatsächlich sehr stark aus, mittlerweile sind wir bei mehr als 70 Sendern angekommen. Fast wöchentlich kommen neue hinzu. Da fragt man sich berechtigterweise, wie viele es überhaupt sein können. Wir stellen aber fest: Wenn man alle FAST-Sender zusammen nimmt, haben die in Summe einen Nutzungsanteil bei uns auf der Plattform, der gut mithalten kann mit einem Privatsender der zweiten Generation. Da geht es in Summe also nicht nur um Nische, sondern um einen relevanten Nutzungsanteil, der sich entsprechend gut monetarisieren lässt.

Der Trend geht also weiter?

Wie viele Sender es am Ende sein werden, wird die Zukunft zeigen. Aber dadurch, dass immer neue hinzukommen und wir sie auch gut monetarisieren können, glaube ich, dass der Trend noch nicht vorbei ist.

Aktuell sehen wir im B2B-Markt ein Momentum.


Wie viele Nutzerinnen und Nutzer hat Zattoo mittlerweile? Vor fünf Jahren waren es eine Million im Monat.

Wir haben in Summe mehr als zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzer, die wir über unsere Plattform erreichen. Davon macht der DACH-Raum den mit Abstand größten Anteil aus.

Wie viel Angst haben Sie vor den Ausbauplänen von ProSiebenSat.1 in Bezug auf Joyn? Das soll nach dem Willen des Unternehmens ja der Streamingdienst für alles werden. Mit Live-TV und On Demand - und das werbefinanziert. Das gräbt doch sehr am Geschäftsmodell von Zattoo, oder?

Jein. Es gibt im Markt dutzende Plattformen, die auch lineare TV-Sender streamen. Insofern ist Joyn ein weiterer Wettbewerber. Es ist also nicht: Entweder Joyn oder Zattoo. Zumal wir mit ProSiebenSat.1 an verschiedenen Stellen gute Kooperationen pflegen.

Ihr Vorgänger sagte vor fünf Jahren, dass sich Joyn in eine Richtung entwickle, "die uns nicht gefällt". Sie vollziehen nun einen Strategiewechsel?

Wenn man so will, kann man es Strategiewechsel nennen. Ich würde Joyn nicht als den einen großen Konkurrenten von Zattoo betrachten. Wir haben ein Modell, bei dem wir hauptsächlich auf Abo-Erlöse setzen, das macht Joyn nicht. Für uns ist unser frei empfangbares Angebot ein Entry-Point, um die Nutzerinnen und Nutzer in ein Abo-Verhältnis zu bringen. Joyn setzt überwiegend auf werbefinanzierte Inhalte.

Das heißt wohl auch: Die vielen Bemühungen der großen Streamingdienste im Bereich der Werbung lassen Sie nicht unruhig schlafen?

Nein, ganz im Gegenteil. Mit CTV-Werbung entsteht gerade ein spannender Werbemarkt und wir sind ein Teil davon. Je größer dieser Markt wird, desto wichtiger wird er für die Werbeindustrie. Letztlich sucht man dort Produktwerbung einen schnellen Nettoreichweitenaufbau und eine Möglichkeit, um Brandbuilding zu betreiben. Dafür ist CTV-Werbung ein sehr starkes Instrument, das zusätzlich zu herkömmlicher TV-Werbung auch Capping und Targeting von Werbekampagnen ermöglicht. Wir sind bereits ein starker CTV-Player und je mehr Player dort unterwegs sind, desto stärker werden wir mitwachsen. Wir werden in diesem Jahr voraussichtlich um 10 Prozent im Bereich der CTV-Werbeeinnahmen zulegen.

Auf der ANGA COM haben Sie gesagt, der Wegfall des Nebenkostenprivilegs sei grundsätzlich positiv für Zattoo und alle IPTV-Anbieter gewesen, habe die ganz hohen Erwartungen aber nicht erfüllt. Können Sie das etwas konkretisieren? Was hatten Sie erhofft und wie viele Neukunden haben Sie letztlich gewonnen?

Unser Fazit fällt gemischt, aber eher positiv aus. Der Wegfall des Nebenkostenprivilegs hat Bewegung in einen Markt gebracht, der lange sehr träge war. Wir sehen eine deutlich gestiegene Nachfrage nach IPTV- und TV-Streaming-Lösungen, vor allem bei Haushalten, die sich bisher kaum mit dem Thema TV-Empfang auseinandergesetzt haben. Insgesamt konnten wir in Deutschland um rund 20 Prozent wachsen. Das ist ein relevanter Zuwachs, auch wenn unsere Erwartungen insgesamt höher lagen. Auch bei unseren B2B-Kunden sehen wir im Jahr 2024 starke Wachstumsraten im IPTV-Segment, teils bis zu 40 Prozent. In Summe profitieren wir also von der Marktöffnung.

Wir sind bereits ein starker CTV-Player und je mehr Player dort unterwegs sind, desto stärker werden wir mitwachsen.


Wie viele von diesen 20 Prozent sind denn auf den Wegfall des Nebenkostenprivilegs zurückzuführen?

Das ist schwierig zu beantworten, weil wir natürlich die Gründe nicht bei allen Kundinnen und Kunden kennen. Wir gehen jedoch davon aus, dass das Momentum im vergangenen Jahr dazu geführt hat, dass der überwiegende Teil aus dieser Masse kam. Und das Potential ist nach unseren Berechnungen noch nicht ausgeschöpft. Nach wie vor sollte es mindestens zwei Millionen Haushalte geben, die sich noch nicht entschieden haben, wie sie künftig Fernsehen konsumieren wollen.

Sie haben vor wenigen Wochen den Preis für das Zattoo-Einstiegspaket um 50 Cent auf 6,99 Euro angehoben. Und das in einer Zeit, in der andere Dienste teils deutlich höhere Preisaufschläge verlangen. Wieso ist das bei Zattoo nicht nötig?

Der Vorteil, wenn man von Anfang an kostenbewusst arbeitet, ist, dass man Preis-Leistungs-Sieger ist und bleiben kann. Was wir nicht machen sind kurzfristige Lockangebote wie zum Beispiel aggressive Promotionen. Wir setzen auf eine faire und transparente Preisstruktur, die langfristig trägt.

Inwiefern spielt KI für Zattoo eine Rolle?

Künstliche Intelligenz spielt bei Zattoo eine zentrale Rolle – heute schon im operativen Alltag, aber perspektivisch auch als strategischer Wachstumstreiber. In nahezu allen Unternehmensbereichen setzen wir KI bereits ein: etwa in der Produktentwicklung zur Personalisierung der User Experience, in der Content-Kuration, bei der automatisierten Erstellung von Empfehlungen oder auch in der Werbemonetarisierung. Besonders im AdTech-Bereich nutzen wir KI beispielsweise zur Optimierung von Ausspielungen und zur besseren Ertragssteuerung mittels Yield Management. Gleichzeitig arbeiten wir intern intensiv mit generativer KI, etwa zur Codeunterstützung, bei der Automatisierung von Tests oder zur Effizienzsteigerung in der Entwicklung. Für uns als Technologieanbieter ist klar: KI ist kein Add-on, sondern integraler Bestandteil unserer Plattformstrategie.

Und noch einmal kurz zurück zum Geburtstag: Welche Aktionen plant Zattoo zum 20-jährigen Bestehen?

Wir haben allen unseren Abonnentinnen und Abonnenten zu unserem Jubiläum einen Monat Zattoo Plus Entertainment geschenkt. Über ein Gewinnspiel konnten neue Nutzerinnen und Nutzer zudem tolle Preise gewinnen. Die Kern-Aktivitäten rund um unser Jubiläum fokussieren sich insgesamt auf unsere Kundinnen und Kunden, unsere Belegschaft und auf unsere Partner.

Vielen Dank für das Gespräch!