Frau Bilke, das ZDF wird auch 2025 wieder meistgesehener Sender werden. Wenn’s gut läuft, unkt mancher, hat man als Programmdirektorin nicht so viel zu tun…
(lacht) Erfolg zu halten macht genauso viel Arbeit wie das Verbessern, und die Herausforderung für uns ist ja, die Veränderung im Erfolg. Wir wollen ein ZDF für alle anbieten, müssen dabei mehr tun für gewisse Altersgruppen, die genauso Beitrag zahlen wie andere. Also ausreichend junge Menschen erreichen; stark aufgestellt sein im Streaming. Dafür haben wir umgeschichtet, uns ja auch von einigen Marken und lieb gewonnenen Programmen getrennt. Und das werden wir weiter beobachten müssen, nicht zuletzt aufgrund der medienpolitischen und finanziellen Rahmenbedingungen. Das sind schmerzliche Entscheidungen, um Spielräume für Neues zu schaffen, etwa strategisch bei ZDFneo in die Fiktion zu investieren. Das umzubauen und gleichzeitig den Erfolg des ZDF zu halten, ist eine Herausforderung.
Für das ZDF-Hauptprogramm ist der Film „An einem Tag im September“, ab morgen schon beim ZDF online, ein besonderer Start in die neue TV-Saison. Was macht den Film angesichts einer ganzen Reihe von bereits verfilmten Ereignissen der deutschen bzw. europäischen Geschichte so besonders?
Die Kunst in der fiktionalen Verdichtung von großen geschichtlichen Themen liegt oft darin, die richtigen Momente herauszugreifen, wenn man nicht dokumentieren sondern erzählen will. In diesem Fall ist es wirklich ein Tag, der den Startschuss für die deutsch-französische Freundschaft und damit unserer jüngeren europäischen Geschichte war. „An einem Tag im September“ erzählt vom emotionalen Aufeinandertreffen von Adenauer und de Gaulle im privaten Rahmen auf de Gaulles Landsitz, das eine enorme politische Tragweite für den Kontinent entwickelte. Eine Freundschaft, ein Grundstein für das Miteinander zweier Nationen, das heute wieder aktueller ist als wir es uns bei der Beauftragung denken konnten. Dass so ein Projekt dann in Koproduktion mit Arte entsteht, ist natürlich naheliegend.
Einerseits naheliegend, aber auch spannend: Zwei Länder, zwei Gesellschaften, die historische Begegnungen auch anders interpretieren oder verorten könnten.
Ein spannender Punkt. Der Film greift definitiv auch die französische Perspektive von damals auf, also den kollektiven Hass, der damals den Deutschen entgegenschlug, auch in dem Dorf, aber blickt auch auf diejenigen, die Hoffnung in Versöhnung setzten. Bei diesem Thema liegt ganz besonderes Augenmerk darauf, dass ein solches Filmprojekt ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk ist - beispielsweise bei der Besetzung des Casts.
Diesmal ist es ein fiktionaler Film, der von einer gesonderten Dokumentation begleitet wird. Zuletzt hatte das ZDF mit „Ich bin! Margot Friedländer“ auch sehr erfolgreich auf eine Mischform gesetzt…
…und beides hat seine Berechtigung. Dokudramen haben einen besonderen Reiz, wenn sich wie bei Margot Friedländer die fiktionale Aufbereitung mit heutigen Aussagen verbinden lassen. Eine Voraussetzung, die bei „An einem Tag im September“ nicht gegeben ist. Das ist also auch immer eine Frage der Möglichkeiten. Ein Vorteil der Trennung liegt darin, dass die fiktionale Erzählung frei darin ist, emotional zu erzählen. Und wir haben in den vergangenen Monaten bei Screenings mit Schülerinnen und Schülern oder im Europäischen Parlament schon gemerkt: Das funktioniert. Ich habe da eine Äußerung einer Schülerin im Ohr, die danach sagte: „Ich dachte das ist ein Film über Politik, aber es war ein Film über Menschlichkeit“. Das zeigt die Stärke einer emotionalen Geschichte über Geschichte. Wenn wir so das Interesse wecken, kann eine Dokumentation vertiefen. Da kommen z.B. die Enkelinnen von Adenauer und De Gaulle vor, die Doku kann auf der faktischen Ebene die größeren Zeithorizonte aufmachen und das verorten, was der Film auf einen einzelnen Tag runterbricht.

Einerseits Screenings, dann gab es auch schon beim Festival de Television in Monte Carlo zwei Auszeichnungen...
Über die Preise freuen wir uns sehr. Gleichzeitig wollten wir zu dem Film ins Gespräch kommen. Mit der Ausstrahlung terminlich passend im September, haben wir uns deshalb bewusst Zeit gelassen, um mit dem Werk all das machen zu können. Zum Teil wurde Interesse aber auch zu unserer eigenen Überraschung an uns herangetragen. Wir haben Begleitmaterial für den Schulunterricht erstellt, und da waren die Screenings mit Schülerinnen und Schuler eine super Idee. Dabei entwickelten sich Diskussionen über die Zukunft Europas und der Europäischen Union bzw. der Rolle der deutsch-französischen Freundschaft.
Ist so ein Film wie „An einem Tag im September“ eine Antwort auf die medienpolitische Diskussion, ob Unterhaltung zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehört?
Ich glaube es gibt gar nicht so viele, die ganz pauschal behaupten, Unterhaltung habe bei den Öffentlich-Rechtlichen nichts zu suchen. Dazu gibt es zu viele überzeugende fiktionale und öffentlich-rechtliche Aufarbeitungen der relevanten Themen unserer Zeit. Und tatsächlich zeigt der Film exemplarisch, dass der Zugang zu großen Themen nicht nur über eine Auflistung von Fakten gelingt. Emotionen und Geschichten können Interesse an Geschichte wecken - und das ist Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags.
Wie sehen Sie das Verhältnis von Film zu Serie? Darüber wurde in den vergangenen Jahren viel gesprochen?
Beim ZDF haben wir den Film nie aufgegeben, ganz im Gegenteil. Wir pflegen und entwickeln den 90er kontinuierlich weiter und sollten ihn nicht unterschätzen. Der 90-Minüter ist ein starkes Format, das wir bewusst und regelmäßig einsetzen, etwa jeden Montagabend, wo demnächst auch „An einem Tag im September“ zu sehen sein wird. Da hatten wir in diesem Jahr auch einen Film wie „Rosenthal“, der auch mit einer Doku begleitet wurde und ein Stück ZDF-Geschichte aufgearbeitet hat. Den Fernsehfilm, auch den durchaus anspruchsvollen, zelebrieren wir sehr. Von den Shooting Stars des Kleinen Fernsehspiels über Primetime-Komödien bis hin zu thematisch starken Einzelstücken wie „Sterben für Beginner“ - die Bandbreite ist hier groß. Es ist in erster Linie die Aufmerksamkeit innerhalb der Branche, die sich dem Seriellen zugewendet hat, weil besonders internationale Player sich weit mehr auf Serien fokussiert haben.
Haben wir den Serien-Hype also etwas überbewertet?
Ich persönlich würde inzwischen die Bilanz ziehen, dass die Nachfrage des Publikums möglicherweise etwas überbewertet wurde. Die 90er sind eigentlich immer gefragt, sind auch eine besondere deutsche Qualität. Viele serielle Stoffe tun sich im linearen Programm schwerer. Aber natürlich ist beides weiterhin wichtig: Das Eintauchen in Serienwelten aber auch in abgeschlossene und dichtere Handlungen von Filmen. Deshalb halten wir am seriellen Erzählen ebenso fest wie an der Kraft des Films.
Ließe sich festhalten: Filme funktionieren im Linearen sehr gut, Serien wiederum im Streaming?
Auch Filme haben enorme Abrufzahlen in unserem Streamingportal, deswegen kann ich diese Einordnung so nicht teilen.
Aber umgekehrt? Spielen da denn Serien wie einst „Bad Banks“ oder „Der Schwarm“ abseits der langlaufenden Vorabendproduktionen bzw. Freitagskrimis in der Planung eine Rolle?
Ich würde das, was wir in der Branche gerne Reihen nennen, nicht unterschlagen wollen. Das wird vom Publikum als Serie wahrgenommen und für unsere großen Erfolge wie „Wilsberg“ haben wir natürlich reguläre Sendeplätze in der Primetime, auch am Donnerstag mit unseren Berg-Serien oder am Sonntag mit „Frühling“ und jüngst bei „Dr. Nice“. Aber Sie meinen sicher die Event-Serien bzw. Mehrteiler und auch da glaube ich, dass es sich lohnt, immer wieder mal Akzente zu setzen. Damit die aber auch als solche wahrgenommen werden, müssen sie die Ausnahme bleiben.
Welche fiktionalen Event-Highlights kommen denn dieses Jahr noch im ZDF?
Im Dezember freuen wir uns zum Beispiel auf „Ku’damm 77“ im Streaming, das läuft natürlich auch als Jahresauftakt in der Primetime, begleitet von einer Doku. Im November machen wir nochmal einen Programmschwerpunkt „Gegen das Vergessen“, da werden wir als Highlight Matti Geschonnecks Zweiteiler „Sturm kommt auf“ zeigen und dabei auch ZDFneo und 3sat thematisch einbinden. Und unser Streamingportal wird das natürlich auch aufgreifen. Die richtige Programmierung von Stoffen bzw. Produktionen ist anspruchsvoller und vielfältiger geworden. Wir haben unter der Marke ZDFneo dafür richtig aufgedreht, da sehr gezielt in Comedy investiert, aber auch in andere Genres und internationale Koproduktionen. Ich freue mich, dass wir mit „Späti“, „Doppelhaushälfte“ und „Ich dich auch!“ weitermachen. „Tschappel“ geht ebenfalls in die zweite Staffel, das kam beim Publikum gut an und hat jetzt auch eine Fernsehpreis-Nominierung. Auch unsere Koproduktion mit der BBC, „A Good Girl‘s Guide to Murder“, geht in die zweite Staffel. Das sind Serien aus unserem sehr jungen Segment.
„Ku’damm 77“ ist nicht nur ein großer Sprung in der erzählten Zeit der ZDF-Serie. Es ist auch als teils Mockumentary eine völlig andere Form.
„Ku’damm 77“ wird das Publikum überraschen, aber genau darin liegt die Kunst: Erfolgreiche Marken neu zu denken, um neben den treuen Fans auch neue Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ich bin sehr gespannt, denn anders als bei wöchentlichen Serien, die man ganz behutsam modernisiert, bietet eine Event-Serie die Freiheit, erzählerisch größere Schritte zu gehen. Dabei bleiben wir der Marke „Ku’damm“ selbstverständlich treu.
Das ZDF hatte vor zwei Jahren die Serienproduktion „Krank Berlin“ gerettet, nachdem Sky Deutschland abrupt aus der Auftragsproduktion von Serien ausgestiegen ist. Bislang lief die Serie in einem ersten Window bei AppleTV+, wann kommt sie denn zum ZDF?
„Krank Berlin“ ist wirklich in vielerlei Hinsicht eine herausragende Serie, gemeinsam mit dem Team und mit unserem Partner AppleTV freuen wir uns sehr über die Nominierungen zum Deutschen Fernsehpreis. Zu ZDFneo und ins ZDF-Streamingportal kommt die Serie im 1. Halbjahr 2026.
Etwas mehr Sorgen als die Fiktion dürfte die Unterhaltung machen: Da hatte zuletzt der Versuch mit „Terra X: Wettlauf um die Welt“ auf Reality zu setzen, nicht funktioniert. Gibt es hier neue Impulse?
Wir haben viel gewagt und nicht alles gewonnen beim „Wettlauf um die Welt“. Die Streamingzahlen sehen gut aus, in der Primetime war das wahrscheinlich zu überraschend für unser Publikum. Das wussten wir natürlich, hatten uns aber mehr Neugier erhofft. Ich glaube aber, dass wir auch weiter ab und zu einen solchen Versuch platzieren werden und das Genre finde ich auch nach wie vor interessant. Wir sind aber mit „Der Giovanni Zarrella Show“, unserem „Quiz-Champion“ mit Johannes B. Kerner und „Lass dich überwachen!“ mit Jan Böhmermann gut aufgestellt im Show-Segment. Und damit sind wir auch bei dem erfolgreichsten Genre in der Unterhaltung für uns, der Comedy. Das Genre haben wir über den Sommer sehr erfolgreich bespielt mit den „heute show“-Spinoffs und „Till Tonight“, was uns sehr viel Freude gemacht hat.
Es lief super, bekam gute Kritiken: Machen Sie weiter mit "Till Tonight"?
Unterbeschäftigt ist Till Reiners auf keinen Fall, er macht ja auch die 3sat-„Happy Hour“ für uns – auch damit sind wir sehr happy. Sein aktuelles Bühnenprogramm haben wir ebenfalls ausgestrahlt. Jetzt werten wir gerade aus, sortieren die Planungen und gehen dann in Gespräche. Till Reiners ist aktuell einer der ganz großen Namen im Comedy-Geschäft, und wir freuen uns sehr, ihn bei uns im Programm zu haben.
Wie sieht es mit den erwähnten „heute show“-Spinoffs aus? Könnten die mehr als Sommerpausen-Füller werden, um die Comedy weiter auszubauen im ZDF?
Auch hier werden wir uns das jetzt genau anschauen. Wir haben absichtlich eine Vielzahl an Sachen ausprobiert, die tatsächlich alle gut funktioniert haben. Da steckt viel drin, mit dem man weiterarbeiten kann. Aber nach diesen Erfolgen im Sommer wollen wir in Ruhe sortieren, wo was am besten aufgehoben ist. Wir koordinieren ja diverse Ausspielwege - also Hauptprogramm, ZDFneo, unser Streamingportal und andere Online-Kanäle. Jetzt kommt erstmal das großartige „Original“ der „heute show“ mit Oliver Welke aus der Sommerpause. Aber wir machen auf jeden Fall noch mehr Comedy, planen auch schon neue Formate für ZDFneo.
Springen wir in der Unterhaltung doch mal in den Dezember. Da fehlt dem ZDF in diesem Jahr nicht nur „Die Helene Fischer Show“ sondern an Silvester auch das übliche Programm vom Brandenburger Tor. Kommt jetzt der „Silvester-Fernsehgarten“?
(lacht) Also ich bin sehr glücklich mit dem „Fernsehgarten“ in diesem Sommer mit starken Marktanteilen. Selbst unter schwierigen Bedingungen bei der Evakuierung haben das Team und Andrea Kiewel alles gegeben. Aber ich wäre mir da nicht so sicher, ob sich dieser sommerliche Gute Laune-Ansatz auch an einem möglicherweise nass-kalten Silvester-Abend auf dem windigen Lerchenberg übertragen lässt. Die Show in Berlin haben wir über die Jahre immer gerne gemacht in einer guten Konstellation, die so nun nicht mehr möglich ist. Momentan prüfen wir verschiedene Pläne.
An diesem 31. Dezember endet auch der aktuell laufende 3-Jahres-Vertrag zwischen dem ZDF und Jan Böhmermann. Sind Sie schon in Gesprächen?
Sie können sich sicher sein, dass wir mit all unseren Protagonisten stets im besten Austausch sind.
Okay, aber Sie würden schon gerne am „ZDF Magazin Royale“ festhalten?
Wir sind stolz auf das „ZDF Magazin Royale“. Die Sendung hat viele Preise gewonnen und mit der Genre-Mischung von Satire und Investigation etwas Neues erschaffen und dabei hochrelevante Akzente gesetzt. Natürlich gibt es da ein paar Sendungen, die mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere. Manchmal schade, denn auch ein Thema wie Einsamkeit im Online-Zeitalter, umgesetzt mit dieser besonderen Machart, hätte es verdient, dass sich eine breite öffentliche Diskussion daran anschließt. Die Spannbreite der Themen schmückt uns sehr.
Der Vertrag mit Markus Lanz läuft noch etwas länger, wenn ich das richtig erinnere?
Ja, der läuft glücklicherweise, und aktuell freuen wir uns über die Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis. Markus Lanz ist für uns, wo er aus der Sommerpause zurück ist, wieder eine echte Bank im Programm. Wenn ich allein an die letzte Woche vor der Pause mit dem Gespräch mit Frauke Brosius-Gersdorf denke, dazu die Begleitung der Bundestagswahl und die großen außenpolitischen Themen, mit starker Unterstützung des ZDF-Netzes von Korrespondentinnen und Korrespondenten. Bei seiner Sendung stimmen Relevanz und Reichweite. Aber auch der Sommer ohne „Markus Lanz“ im ZDF-Programm ließ sich sehr gut mit unserem sehr erfolgreichen Podcast „Lanz & Precht“ überbrücken. Da kann ich die Folge mit Leon Windscheid sehr empfehlen, vielleicht für eine längere Autofahrt. Da kann man so einige psychologisch fundierte Lebenstipps für den Alltag mitnehmen.
Sie sprachen eben schon mal Factual an. Gibt es da News diesen Herbst?
Da kommt noch im September auf unserem neuen Factual-Sendeplatz am Mittwochvorabend ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. „besseresser goes Schule – Lege packt’s an“ startet am 24. September. Das ergänzen wir auch im Kinderprogramm, denn um ihr tägliches Essen in den Schulkantinen geht es. Auch über die Factuals hinaus planen wir im Herbst einige Highlights im Informationsbereich und setzen formatübergreifende Themen-Schwerpunkte. Einmal Mental Health – „Psychisch stark“, da wird auch Leon Windscheid mit „Terra Xplore“ dabei sein, genauso wie bei unserem Liebes-Schwerpunkt. Auch den Orange Day – den Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen – werden wir in verschiedenen Programmen sichtbar machen.
An dem neuen Mittwochvorabend mit non-fiktionalem Programm halten Sie demnach weiter fest? Das interessiert natürlich auch den Produktionsmarkt…
Wir haben zuletzt absichtlich breit ausprobiert, sind da auch noch in der Bilanzierung. Deswegen ist es noch zu früh, um den nächsten Pitch zu starten, auch weil ein paar weitere Formate neben „besseresser goes Schule“ erst noch kommen.
Frau Bilke, herzlichen Dank für das Gespräch.