Sie haben vor drei Jahren Ihre Firma an Leonine verkauft. Was hat sich verändert?
Christian Beetz: Die Firma ist gewachsen – nicht nur, was die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht, sondern auch hinsichtlich ihrer gesamten Struktur. Das bringt die Herausforderung mit sich, sich an die Abläufe eines großen Konzerns zu gewöhnen, gleichzeitig aber den Kern dessen zu behalten, was ein Familienunternehmen wie unseres ausmacht. Gleichzeitig hat sich in den letzten drei Jahren der Markt komplett verändert. Der internationale Markt, besonders der amerikanische Markt, ist eingebrochen, einige Streamer haben sich verabschiedet, andere haben ihre Strategie radikal verändert, machen kaum noch globale Geschichten, weil der Fokus auf den lokalen Märkten liegt.
Reinhardt Beetz: Auf der anderen Seite erleben wir eine zunehmende Kommerzialisierung des Dokumentarfilm-Markts. Erfolg wird bestellt. Das hat bei uns zu einer Konzentration auf Leuchtturmproduktionen für die verschiedenen Partner geführt, die auch anders ausgestattet sind als übliche Produktionen. Was auf der Strecke bleibt, sind klassische Dokus, wie man sie früher kannte. Die werden auch von den Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr so stark nachgefragt, da sie sich auf die Mediatheken konzentrieren. Auch das Fördersystem ist kommerzieller geworden, will lieber den Erfolg und weniger die künstlerische Handschrift. Da hat sich viel getan.
Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung?
Christian Beetz: Das waren schon große Learnings – und ja, es gab in der Anfangszeit auch einige Schmerzen, weil wir vieles, was in Konzernstrukturen üblich ist, nicht gewohnt waren. Das fängt beim regelmäßigen Jour Fixe an und geht bis hin zu sehr detaillierten Forecasts, die wir nun erstellen. Vorher haben wir, lapidar gesagt, mehr mit einer Bleistiftrechnung gearbeitet – Plus, Minus, Strich drunter, Summe. Das geht in der heutigen Zeit aufgrund der Veränderung der Märkte und der damit einhergehenden notwendigen Professionalisierung natürlich nicht mehr, aber diese Veränderungen haben letztlich auch unserem Unternehmen genutzt.
Wie viel Familienunternehmen steckt heute noch in den Beetz Brothers?
Reinhardt Beetz: Wir achten nach wie vor sehr auf eine familiäre Unternehmenskultur. Eine Familie ist ja letztlich die kleinste Form eines Teams – und das haben wir auch unter den neuen Rahmenbedingungen konsequent beibehalten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind keine Nummern, sondern die Basis allen Erfolgs und gute Team-Player. Sie tragen die Fundamente der Firma und sind meist schon über eine sehr lange Zeit dabei, wie z. B. Kathrin Isberner als Herstellungsleitung oder Georg Tschurtschenthaler als Showrunner und CCO, um nur zwei stellvertretend für das großartige Team zu nennen. Beide sind seit über 15 Jahren im Unternehmen, andere sind schon seit über zehn Jahren mit dabei. In unserem Unternehmen haben schon immer strategische, unternehmerische und inhaltliche Überlegungen eine große Rolle bei der Auswahl der Stoffe gespielt. Wir sind es gewohnt, in großen und kleineren Teams und mit befreundeten Produktionsunternehmen auf der ganzen Welt zu arbeiten. Selbstverständlich verändert sich der Markt fortlaufend, aber unser Ziel war und ist es immer gewesen, nie stehen zu bleiben und einen unternehmerischen Geist zu pflegen, der die Grenzen des Genres auslotet und Veränderungen positiv nutzt. Da ist es ein Glück, dass wir unter dem Dach der Leonine Studios arbeiten, weil wir einerseits die nötige Freiheit haben, unsere Strategien anzupassen und unsere Filme zu machen, andererseits immer auf den Support des Mutterhauses bauen können – juristisch und finanziell. Wir schätzen, wie konsequent bei Leonine nach vorne gedacht wird.
Sie haben 2022 gesagt, dass es ein entscheidendes Kriterium gewesen sei, die journalistische und kreative Unabhängigkeit zu bewahren. Hat sich diese Hoffnung erfüllt?
Christian Beetz: Das Versprechen, das uns von Leonine gegeben wurde, hat sich absolut erfüllt. Wir spüren nach wie vor eine totale Unabhängigkeit bei der Auswahl unserer Stoffe. Aktuell bedienen wir einerseits True-Crime-Stoffe, die sehr zuschaueraffin sind und auch die entsprechenden Zuschauerzahlen liefern müssen, andererseits produzieren wir aber auch gesellschaftsrelevante Inhalte wie die Dokumentation „Hamas Angriff aufs Festival – die Überlebenden des Wüsten-Raves“ zum 7. Oktober, für die wir im vergangenen Jahr als Beste Dokumentation mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurden, oder jetzt die Elon-Musk-Doku „Tesla Files“, mit der wir uns schon länger investigativ beschäftigen.
Nun feiert Ihre Firma 25-jähriges Jubiläum. Wann weckt eine Geschichte heute noch Ihr berufliches Interesse?
Christian Beetz: Ich finde es immer dann besonders spannend, wenn es uns gelingt, Türen zu öffnen, durch die noch niemand zuvor gegangen ist. Nehmen Sie unseren Film „The Forum“ über das World Economic Forum – wir waren die ersten, die dort hinter die Kulissen blicken konnten. Ich denke aber auch an „FC Barcelona Confidential", unsere erste Sport-Doku über das Management, die wir vor über 20 Jahren gemacht haben – zu einer Zeit, als sich noch kein Mensch für dieses Genre interessiert hat.
Reinhardt Beetz: Für mich sind es besondere Begegnungen, wie zum Beispiel der Dreh für die Serie „Lebanon – Borders of Blood“ in Beirut, bei dem wir so lange gebohrt haben, bis wir tatsächlich den Präsidenten, Warlords und alle möglichen Kämpfer vor der Kamera hatten. Da kriegt man schon manchmal Gänsehaut. Ich erinnere mich an das Treffen mit einem dieser Warlords – das kam uns vor, wie in einem Spielfilm. Alle zehn bis fünfzehn Minuten wurden uns per Telefon neue Anweisungen zur Route durchgegeben. Nach einer zweistündigen Irrfahrt durch die Vororte von Beirut sind wir dann auf irgendeinem nordlibanesischen Hügel angekommen und trafen den Mann schließlich in einer Riesenvilla mit äußerst gepflegtem englischem Rasen und einem Blick über das gesamte Land, umzingelt von Scharfschützen auf jedem Hügel. Diese Begegnung werde ich so schnell nicht vergessen.
Vermutlich nicht das einzige Mal, dass Sie ein mulmiges Gefühl bei Dreharbeiten hatten.
Christian Beetz: Durch die vielen True-Crime-Stoffe wie „Crime Scene Berlin: Nightlife Killer“ für Netflix, „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ für die ARD oder „German Cocaine Cowboy“ für Amazon Prime Video haben wir es oft mit einem Milieu zu tun, bei dem einem ziemlich mulmig werden kann. Es ist schon erstaunlich, wer bei uns manchmal ein- und ausgeht. (lacht
Wie geht man mit solchen Menschen um?
Christian Beetz: Die goldene Regel lautet: immer transparent sein, immer offen sein. Wenn wir mit Menschen aus dem True-Crime-Milieu drehen, sagen wir den Protagonisten von der ersten Minute an, dass wir ihnen eine Stimme geben, aber auch die andere Seite vollständig zu Wort kommen lassen. Die wünschen sich natürlich, dass man nur ihre Sicht der Dinge erzählt. Das muss man von vornherein klarstellen. Wie genau man letztlich das Vertrauen bekommt, lässt sich nicht abschließend beantworten. Wir haben uns in den letzten 25 Jahren einen guten Ruf erarbeitet, das Themenspektrum und die Qualität unserer Produktionen sprechen für sich, deshalb ist es sicherlich über die Zeit auch einfacher geworden, Vertrauen zu gewinnen. Es hat aber auch Fälle gegeben, in denen uns das leider nicht gelungen ist. Da war dann plötzlich Dead End und die ganze Vorarbeit umsonst. Aber das ist eben Teil des Berufsrisikos Dokumentarfilmer.
Reinhardt Beetz: Durch die Veränderung im Markt haben wir es auch zunehmend mit prominenten Sportlern, Musikern oder anderen IPs zu tun. Gleichwohl ist es uns wichtig, dass wir im klassischen Sinn nicht werblich erzählen und im True-Crime-Genre Kriminellen kein Forum bieten. Die gesellschaftliche Relevanz, der journalistische Anspruch und das Storytelling stehen bei uns immer im Vordergrund. Es gibt definitiv Stoffe, die würden wir sofort verkauft bekommen. Aber da fehlt dann eben die andere Seite – und meist fehlt die nicht ohne Grund.
"Ich glaube, True-Crime läuft sich allmählich aus."
Christian Beetz
True Crime boomt seit vielen Jahren. Ist es schwerer geworden, gute Geschichten zu erzählen?
Christian Beetz: Ich glaube, True-Crime läuft sich allmählich aus. Spannend wird es immer dann, wenn sich die Geschichten von innen heraus erzählen lassen. Wir haben dafür eigens eine eigene Unit aufgebaut, die sicher 100 Fälle recherchiert hat, um diesen einen, diesen besonderen Moment zu finden. Davon gibt es inzwischen allerdings nicht mehr so viel.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Christian Beetz: Wir haben unser Spektrum erweitert und beschäftigen uns aktuell sehr intensiv mit dem Sport-Segment und haben den Projekt-Slate um Fußball, Handball, Eishockey und Basketball aufgebaut – die ganze Bandbreite. Das Gleiche machen wir auch in der Musik, wo wir mit vielen Labels gesprochen haben, um anspruchsvolle Prime-Produktionen auf erzählerisch internationalem Niveau über große Ikonen zu produzieren. Da hilft uns im Übrigen auch der Leonine-Background mit den guten Verbindungen zu Talenten, um solche Themen strukturell anzugehen.
Die Branche kämpft seit Jahren mit einem enormen Druck. Wie nehmen Sie die Situation aktuell wahr?
Christian Beetz: Bei uns funktioniert es noch ganz gut. Dennoch verfolgen wir unser Wachstum in einem Markt, der eigentlich immer kleiner wird. Dementsprechend ist der Druck natürlich groß. Eine der für uns größten Herausforderungen ist es, dass wir ein wichtiges Segment, die großen internationalen Dokumentationen, in den vergangenen Jahren verloren haben, weil der Markt in Amerika eingebrochen ist. Das haben wir schwer zu spüren bekommen. Da fehlt uns also ein großer Hebel, auch in der internationalen Finanzierung. Daher bleibt uns aktuell vorwiegend der deutschsprachige Raum, um den wir uns bemühen und kämpfen.
"Die zunehmende Konsolidierung im Streamer-Markt, allgemeine Kostensteigerungen und die langen Entscheidungsprozesse haben massiven Impact auf unsere tägliche Arbeit."
Reinhardt Beetz
Wie wollen Sie sich in Zukunft behaupten?
Christian Beetz: Wir wollen, wie es so schön heißt, möglichst kein Klumpenrisiko eingehen und gerne mit allen Playern – ob Streamer, ob Sender, ob öffentlich-rechtlich oder privat – zusammenarbeiten. Das ist wichtig, um auf Augenhöhe zu verhandeln und zu fairen Konditionen produzieren zu können. Dahinter steht dann die Pflege eines robusten Produktionsteams, damit wir in time und Qualität immer abliefern können.
Reinhardt Beetz: Die zunehmende Konsolidierung im Streamer-Markt, allgemeine Kostensteigerungen und die langen Entscheidungsprozesse nicht nur bei den öffentlich-rechtlichen Sendern haben natürlich massiven Impact auf unsere tägliche Arbeit. Unsere erweiterte neue Struktur, die starke Vernetzung und ein wirklich tolles Team helfen uns, weiterhin stetig und nachhaltig zu wachsen. Unser Ziel ist es, unabhängig zu sein in einem sehr stark abhängig getriebenen Umfeld. Das ist und bleibt definitiv eine Herausforderung.
Welche Stoffe und Themen beschäftigen Sie aktuell?
Christian Beetz: Wir hatten in der letzten Zeit sehr großen Erfolg mit einigen True-Crime-Produktionen wie mit der in der vergangenen Woche mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Serie „German Cocaine Cowboy - Der Deutsche im Cali-Kartell" für Prime Video oder zuletzt einer Serie für die ARD Mediathek „Die Küblböck-Story – Eure Lana Kaiser", die ihrer Zeit weit voraus war und queere Menschen damals erst sichtbar gemacht hat. Diesen eingeschlagenen Weg werden wir mit einigen uns bekannten Protagonisten konsequent weitergehen.
Reinhardt Beetz: Auf der anderen Seite arbeiten wir gerade an einigen vielversprechenden Dokus aus dem Sport- und Musikbereich, so z. B. dem Film „Beyond the Court“ über die jungen Ausnahmetalente der deutschen Frauen-Nationalmannschaft im Basketball oder an der Serie „Im Schatten des Flutlichts“ mit dem ehemaligen deutschen Nationalspieler und heutigen Extremsportler André Schürrle für das ZDF-Streamingportal. Natürlich gehen die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen in den USA und der Welt nicht spurlos an uns vorüber. Wir sind gerade mitten im Dreh für einen Film mit dem Arbeitstitel „Agenda Trump“ und einer weiteren dreiteiligen Serie „Amerikas Träume und die Wirklichkeit“ zum 250. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung der USA, die Mitte nächsten Jahres auf dem Hauptprogramm des ZDF ausgestrahlt wird. Im Bereich Investigation arbeiten wir mit Hochdruck an der dreiteiligen Serie „Operation Apollo – Die Pager-Attacke des Mossad“ für das ZDF-Streamingportal und den japanischen Sender NHK, die schon am 21. Oktober 2025 veröffentlicht wird.
Christian Beetz: Im Laufe der nächsten Wochen stehen noch einige wichtige Entscheidungen an, die uns für die nächsten ein bis zwei Jahre eine gewisse Sicherheit geben werden. Aber zunächst freuen wir uns gemeinsam mit Team, Kolleginnen, Kollegen und Partnern am Donnerstag in Berlin, unser 25-jähriges Bestehen ausgelassen zu feiern.
Reinhardt Beetz: Im Rückblick hört sich alles wie ein wahrgewordenes Märchen an, von zwei Brüdern, die auszogen, aber der Weg war steinig und jeder Tag voller neuer Überraschungen. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch.