Frau Raab, das Bundesverfassungsgericht wird erst 2026 über die Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDF zum nicht erhöhten Rundfunkbeitrag urteilen. Hat Sie die Entscheidung überrascht?
Es hat mich überrascht, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt zum Ausdruck gebracht hat, dass es in diesem Jahr keine Entscheidung mehr geben wird. Darauf hatten alle gehofft.
Was folgt aus der Verzögerung? Welche Auswirkungen gibt es dadurch?
Es gibt keine unmittelbaren Auswirkungen. Ganz generell ist es mir wichtig zu sagen: Sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Medien brauchen Verlässlichkeit in der Finanzierung. An dieser Verlässlichkeit hängt ihre Unabhängigkeit. Ist dieser Grundsatz nicht gegeben, kommen Medien in eine Bredouille und sie geraten dadurch in ein Spannungsfeld von Politik oder wirtschaftlichen Interessen. Deshalb bedauere ich es außerordentlich, dass der Achte Medienänderungsstaatsvertrag, mit dem wir das Widerspruchsmodell im Finanzierungssystem der Öffentlich-Rechtlichen einführen wollten, möglicherweise nicht kommen wird.
Möglicherweise?
Ganz sicher sein können wir uns erst am 30. November, bis dahin müssen alle Ratifizierungsurkunden vorliegen und bis dahin haben alle Länder theoretisch noch Zeit, die Reform zu beschließen. Die Protagonisten, die sehr feste Positionen eingenommen haben, hätten auch die Chance angesichts des Aufschiebens der Entscheidung in Karlsruhe zu überlegen, wie sie wieder Brücken bauen können.
In der Theorie ist es noch möglich, praktisch wird das wohl nicht passieren. Wie groß ist der dadurch entstehende Schaden?
Der Systemwechsel hätte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr Verlässlichkeit in der Finanzierung gebracht. Wenn die KEF-Empfehlung zur künftigen Höhe des Rundfunkbeitrags nicht bei mehr als fünf Prozent über dem aktuellen Beitrag gelegen hätte, wäre die Empfehlung der Kommission direkt umgesetzt worden, sofern es keinen Widerspruch aus den Ländern gegeben hätte.
Derzeit wird die Reform des Finanzierungsmodells von ARD und ZDF durch Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt blockiert. Die drei Länder wollen, dass ARD und ZDF ihre Verfassungsbeschwerde zum nicht erhöhten Rundfunkbeitrag zurücknehmen. Erst dann will man sich damit beschäftigen, allerdings müssen die Landtage bis Ende November zustimmen, sonst ist die Reform vorerst gescheitert. Weil Karlsruhe erst 2026 entscheidet, ist eine Umsetzung des Achten Medienänderungsstaatsvertrags nur noch theoretisch möglich. Geplant war einerseits, dass ein Widerspruchsmodell eingeführt wird und andererseits die laufende Beitragsperiode auf zwei Jahre (bis 2027) verkürzt wird. Weil der Rundfunkbeitrag nicht wie von der KEF empfohlen Anfang 2025 erhöht wurde, sollten die Anstalten die angehäuften Beitragsmehreinnahmen in dieser Zeit aufbrauchen. Danach sollte die Beitragsperiode mit einer vierjährigen Laufzeit neu starten, also 2027 bis 2030. Für diese Zeit hätte die KEF eine neue Finanzbedarfsermittlung durchführen müssen. Das ist jetzt alles vom Tisch. Wie es weitergeht, entscheidet sich wohl erst, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gesprochen hat.Die geplante Finanzierungsreform schnell erklärt
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wissen nicht wann, wie und was Karlsruhe entscheidet. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Stellungnahmen erhalten. In der Stellungnahme der Bundesländer haben wir deutlich gemacht, dass wir die Sonderrücklage III, also die Beitragsüberschüsse, für einen Überbrückungszeitraum einsetzen wollen, um dann den Systemwechsel herbeizuführen. Theoretisch könnte sich Karlsruhe auf die Beitragsfrage beschränken, das Gericht könnte aber auch grundsätzliche Empfehlungen zum KEF-System geben. Die Sache ist ja die: Wir sind 13 Länder, die sich im Wesentlichen einig sind. Mit dieser Mehrheit könnte man das Grundgesetz ändern, aktuell aber nicht den Rundfunkbeitrag erhöhen. Der Systemwechsel setzt aktuell in jedem Fall eine Einstimmigkeit voraus, die wir in diesem Fall nicht haben.
Aber?
Schon das heutige KEF-System ist stark durch die Rechtsprechung des Gerichts geprägt. Wir sind daher sehr gespannt, in welche Richtung Karlsruhe entscheidet.
Wir sind 13 Länder, die sich im Wesentlichen einig sind. Mit dieser Mehrheit könnte man das Grundgesetz ändern, aktuell aber nicht den Rundfunkbeitrag erhöhen.
Was meinen Sie konkret?
Denkbar wäre es, dass die Richterinnen und Richter einen Hinweis darauf geben, dass die dritte Stufe des KEF-Verfahrens, also die Entscheidung der Landesregierungen und Landesparlamente über die Beitragsempfehlung, anders umgesetzt werden kann als bislang. Oder, dass sie ein ganz neues System vorschlagen. Das ist aber am Ende alles Spekulation. Wir müssen abwarten, wie das Gericht entscheidet.
Wer hat Schuld an der aktuellen Situation? ARD und ZDF wollen ihre Verfassungsbeschwerde nicht zurückziehen. Andererseits ist das Verquicken der Verfassungsbeschwerde mit der Zustimmung zur Finanzierungsreform auch nicht in Ordnung.
Ich will niemandem die Schuld geben, weil es ein komplexes Zusammenspiel ist. Als Vorsitzland ist Rheinland-Pfalz ein Treiber für den Systemwechsel gewesen und alle, die einen Beitrag dazu leisten können, dass wir wieder in einen Dialog kommen, sollten das jetzt tun. Ich appelliere an alle, die sich verschanzt haben, sich zu überlegen, welchen Beitrag sie leisten können.
Ist die deutsche Medienpolitik, vor allem wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht, gescheitert?
Nein, wir sind nicht gescheitert. Wir haben mit großer Einigkeit in diesem Jahr drei Staatsverträge [Reformstaatsvertrag, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Digitale Medien-Staatsvertrag; Anm.] erfolgreich vorangetrieben. Und wir sind auch nicht mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gescheitert. Wir sind nur an einer Stelle ins Stocken geraten. Einen Systemwechsel hielten im Prinzip alle 16 Bundesländer für nötig. Aber im Zusammenspiel der Verfassungsbeschwerden und der Verabschiedung des Systemwechsels ist ein Feuer entfacht worden, das leider noch von verschiedenen Protagonisten mit viel Öl angeheizt wurde. Es ist auch nicht hilfreich, wenn Politiker – egal ob auf Landes- oder Bundesebene – den Rundfunkbeitrag mit dem Wort "Zwang" negativ konnotieren. Es spricht auch niemand in der politischen Mitte von "Zwangs-Steuern" oder der "Zwangs-Straßenverkehrsordnung", an die wir uns auch alle halten. Da wird schon ganz bewusst ein gewisses Framing bedient. Auch das betrachte ich als Öl in ein Feuer gießen, das Populisten angezündet haben.
Ich appelliere an alle, die sich verschanzt haben, sich zu überlegen, welchen Beitrag sie leisten können.
Sie hatten schon die Sonderrücklage III erwähnt. Darauf sollten gemäß den ursprünglichen Plänen die Anstalten bis 2027 zurückgreifen dürfen, damit die bedarfsgerechte Finanzierung trotz der Nicht-Erhöhung des Rundfunkbeitrags gewährleistet ist. Wie sinnvoll war die Idee, die Sonderrücklage aufzubrauchen, wenn diese dann in Zukunft nicht mehr beitragsdämpfend wirken kann?
Die Sinnfrage habe ich mir auch schon gestellt, es ist aber schwer, zu einem klaren Ergebnis zu kommen. In dieser Frage sind auch politische Stimmungslagen entscheidend, die in den Ländern sehr unterschiedlich beurteilt worden sind. Das hat letztlich zu den Ergebnissen geführt, die wir haben. Ich will noch einmal betonen: 13 Länder haben den Achten Medienänderungsstaatsvertrag unterzeichnet. Eine große Mehrheit der Länder wollte also den Systemwechsel. Zusammen mit dem Reformstaatsvertrag und der Bitte an die KEF, in ihrem nächsten Bericht die Jahre bis 2030 zu betrachten, hätten wir dann sehen müssen, wie sich dies auf den Beitrag auswirkt. Und ich will noch etwas sagen, wenn ich darf…
Natürlich!
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken, statt die Fragmentierung zu bedienen. Wenn wir jetzt in einer großen Solidarität ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro auf den Weg bringen und gleichzeitig um einen monatlichen Beitrag von 58 Cent für verlässliche Information, Nachrichten, Kultur und Bildung debattieren, sieht man, dass gewisse Spannungskräfte wirken und es nicht nur um die rein sachliche Situation geht.
Kommen wir noch kurz zum Reformstaatsvertrag. Hier sieht es ja so aus, als würde es zu einer Umsetzung kommen. Können Sie mich kurz abholen? Wie viele Länder haben bereits zugestimmt?
Gut die Hälfte aller Ratifizierungsurkunden liegt bereits vor, auch hier ist der 30. November der Stichtag.
Im Zusammenspiel der Verfassungsbeschwerden und der Verabschiedung des Systemwechsels ist ein Feuer entfacht worden, das leider noch von verschiedenen Protagonisten mit viel Öl angeheizt wurde.
Zuletzt gab es Schlagzeilen, dass die Zustimmung Sachsens unklar sei. In dem Bundesland regiert ein Minderheitsbündnis bestehend aus CDU und SPD. Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Reformstaatsvertrag zum 1. Dezember in Kraft tritt?
Ich spreche ständig mit vielen Kolleginnen und Kollegen. Sie sind alle optimistisch und deshalb bin auch ich zuversichtlich, wenn es um die fristgerechte Zustimmung zum Reformstaatsvertrag geht. Sachsen ist Co-Vorsitzland in der Rundfunkkommission, wir arbeiten hier alle sehr gut zusammen.
Neben den ganzen offenen Baustellen laufen bei der KEF aktuell die Vorbereitungen für den 25. Bericht. Dafür hatten die Anstalten vor fast einem Jahr ihren Bedarf angemeldet - und das auf Basis des aktuell gültigen Staatsvertrags. Die Veröffentlichung des Berichts ist für das Frühjahr 2026 vorgesehen. Wie ist hier der aktuelle Stand aus Sicht der Rundfunkkommission und wie geht es weiter?
Wie üblich werden Mitte Dezember die Anhörungen zum nächsten KEF-Bericht stattfinden, dann sollte der Reformstaatsvertrag in Kraft sein. Zwischen der Anhörung und der endgültigen Vorlage des Berichtes liegen noch ein paar Monate. Bei dem Termin im Dezember wird meine erste Frage an die KEF sein, wie der dann geltende Staatsvertrag in die Berechnungen mit hineinfließen wird.
Gleichzeitig ist der Rundfunkbeitrag noch immer nicht gestiegen, wie von der KEF empfohlen.
Das wird sicherlich auch mit eingepreist werden. Ich bin mir aber auch sicher, dass die KEF einen Weg sucht, wie sie auf der Basis der Ist-Anmeldung die Reformen einpreist. Und die Anstalten wussten ja, was auf sie zukommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anstalten old fashioned ihren Bedarf angemeldet haben. ARD und ZDF befinden sich in einem großen Reformprozess und sie werden versucht haben, diesen Prozess in der Anmeldung zu berücksichtigen.
Vielen Dank für das Gespräch!