Herr Briese, was versteht YouTube eigentlich unter einer Partnerschaft?

Wir sind eine Plattform und kein Produzent von Inhalten. Deshalb haben wir auch keine Programmredakteure, sondern bieten in erster Linie Technologie und ein großes Publikum – von daher sind wir auf Partner angewiesen, die unsere Plattform mit Inhalten füllen. Schon im Jahr 2007 haben wir das YouTube-Partnerprogramm gelauncht, durch das mittlerweile drei Millionen Creator und Partner die Möglichkeit haben, an den Erlösen, die wir erwirtschaften, zu partizipieren. Alleine in den letzten vier Jahren haben wir weltweit 100 Milliarden US-Dollar ausgeschüttet. Ich glaube, es zahlt niemand so viel aus an die Creator wie wir.

Anders als Fernsehsender oder Streamer gehen Sie allerdings nicht ins Risiko, weil Sie die Programme nicht selbst beauftragen. 

Wir gehen massiv ins Risiko, nur eben an anderer Stelle. Wir investieren sehr viel Geld und andere Ressourcen in Technologie und unsere Plattform, um das Publikum zu erreichen, mit dem unsere Partner Geld verdienen. In der Tat verzichten wir darauf, einzelne Inhalte vorzufinanzieren. Warum tun wir es nicht? Weil wir im Endeffekt keinen Einfluss auf den Erfolg haben. YouTube ist eine Kanalumgebung, und wer Erfolg haben will, der lädt nicht nur hoch, sondern muss die Kanalumgebung auch aktiv managen. Das ist eine eigene Wissenschaft und erfordert eine spezielle Expertise. Das ließe sich angesichts der schieren Menge an Inhalten auch gar nicht kontrollieren.

Das war in der Vergangenheit mal anders. 

Wir haben vor einigen Jahren tatsächlich eigene YouTube Originals produziert – mit dem Ziel, Abonnent*innen zu gewinnen. Allerdings haben wir festgestellt, dass es das letztlich gar nicht braucht. Unsere Stärke liegt woanders.

Inzwischen bieten Sie auch Kinofilme kostenlos mit Werbung an. Woher rührt dieser Schritt?

Es gibt seit Jahren schon Kinospielfilme auf YouTube zu sehen. Einige dieser Kanäle, die ebendiese Filme hosten, sind ausgesprochen erfolgreich. Auch aus den USA wissen wir bereits, dass langformatige Inhalte extrem gut funktionieren. Schon jetzt kommt 50 Prozent der Sehzeit von Videos, die länger als 20 Minuten sind. Das Geschäft mit Kinofilmen erfolgreich zu betreiben, erfordert allerdings Ressourcen, eine eigene Kanalumgebung zu betreuen, und Reichweite aufzubauen, die viele Produktionshäuser nicht aufbringen wollen. Daher haben wir ein Einstiegsprodukt gelauncht; ein Produkt speziell für Spielfilme, werbefinanziert, vom Start weg mit großer Reichweite und sehr einfach auffindbar: unsere kostenlosen Primetime-Filme. Dafür haben wir bereits viele deutsche Lizenzpartner gewonnen, darunter Wild Bunch, Splendid, Tiberius Film, Kontor New Media, One Gate Media oder Beta Film. Und mit dem neuen "Shows"-Format haben unsere Partner jetzt außerdem zusätzlich eine Möglichkeit, Serien in Staffeln und Episoden zu strukturieren. Hier haben wir unter anderem RTL, ProSieben, Fremantle und Banijay als Partner mit dabei.

Muss das Fernsehen also endgültig vor YouTube zittern?

Die Frage ist doch eher, wie sich die Brücke zwischen der Creator-Welt und der traditionellen Medienwelt schlagen lässt. Da gibt es viele spannende Beispiele, etwa Dave Henrichs, der mittlerweile bei ProSieben unter Vertrag ist. In Frankreich gibt es außerdem einen sehr erfolgreichen Creator, der eine Doku über seinen Aufstieg auf den Mount Everest gemacht hat. Nur einen Tag, bevor die Doku kostenfrei auf YouTube zu sehen war, lief sie im Kino – und trotzdem waren die Säle voll mit zahlenden Zuschauer*innen. Das stellt doch die gesamte Verwertungsfensterlogik auf den Kopf! Und es gibt weitere Beispiele, in denen ein Release zuerst auf YouTube und dann im TV in der Summe zu einer höheren Zuschauerreichweite geführt hat. Oder schauen Sie nach Großbritannien, wo ein Creator gerade auf seinem YouTube-Kanal Spiele der Bundesliga kommentiert. Das bringt zusätzliche Reichweite und ist das Gegenteil von Kannibalisierung, vor der sich viele sorgen.

Was meinen Sie damit?

YouTube hat Milliarden Zuschauer*innen auf der ganzen Welt, 56 Millionen davon in Deutschland. Wir sorgen also für Audience; eine Community an Fans, die sharen, liken, kommentieren und noch dazu äußerst loyal sind. Dazu kommt der Marketingaspekt, der ebenfalls die Sorge vor Kannibalisierung zerstreut. Denn je mehr eine Marke auf YouTube macht, desto positiver ist der Marketingeffekt. Disney hat zur neuen Staffel von "Andor", die natürlich auf Disney+ hinter der Paywall lief, die gesamte vorherige Staffel in voller Länge kostenfrei auf YouTube hochgeladen. Sky hat sogar schon Formel-1-Rennen auf YouTube gezeigt, um Marketing für die eigene Plattform zu machen. In beiden Fällen hat das zu positiven Effekten geführt. Da findet gerade ein echtes Umdenken bei Medienhäusern statt.

 

"Das, was die TV-Quote an Datenqualität liefert, ist winzig verglichen mit dem, was wir als YouTube zur Verfügung stellen."

 

Wie blickt eigentlich jemand, der für YouTube verantwortlich ist, auf ein Konstrukt wie die Messung der Einschaltquote im linearen Fernsehen?

Die Quote ist ein wichtiges Tool. Wirklich spannend wird es aber erst dann, wenn eine plattformübergreifende Reichweite gemessen wird. Denn ein Mediatreibender interessiert sich doch dafür, wie viele Menschen er in Summe unterm Strich netto erreicht hat. Das, was die TV-Quote an Datenqualität liefert, ist winzig verglichen mit dem, was wir als YouTube zur Verfügung stellen. Bei uns kann ein Content Creator sehen, wer was wann wie gesehen hat, wann Zuschauer*innen ein- und wann wieder ausgestiegen sind, oder über welche Suchbegriffe sie er reingekommen sind, welche Szenen gut funktioniert haben, wie sein bzw. ihr Video im Ausland gelaufen ist und welche Zielgruppe es gesehen hat. Wir sagen immer, unsere Creator sind tagsüber Kreative und in der Nacht Daten-Analyst*innen. 

BR-Intendantin Katja Wildermuth sprach gerade bei den Medientagen München in Bezug auf Amazon und Google von Marktdominanz und sagte, dass Reichweite nicht alles ist. Was entgegnen Sie Ihr?

Wir stellen mit unserer Plattform ein Publikum zur Verfügung. Da verstehen wir uns als Partner, nicht als Gegner. Und die Öffentlich-Rechtlichen nutzen das Umfeld ja auch seit vielen Jahren intensiv mit sehr, sehr viel Erfolg. Wer heute Medienmanager ist, muss sich auf einen Paradigmenwechsel einlassen, weil man Aufmerksamkeit und Zuschauer über Sender und Programme hinweg möglichst plattformübergreifend managen muss. Da gibt es die eigenen Properties mit TV-Sendern, aber eben auch eine riesige Welt an Dritten. Die Kunst ist es, trotzdem als Medien- oder Sendermarke wahrgenommen zu werden.

Wildermuth sagte, dass das nicht immer gut gelinge.

Es erfordert wesentlich mehr Arbeit, auf YouTube die Zahl der Abonnent*innen auszubauen als neue Follower auf Social-Media-Plattformen zu gewinnen. Aber das ist vor allem Handwerk. Wer das gut macht, kann sehr erfolgreich sein und das Publikum an sich und seine Marke binden, denn am Ende ist es ja so: ein Nutzer*innen schauen doch nicht YouTube, sondern sie schauen Inhalte von MrBeast, Rezo oder Checker Tobi.

YouTube ist zusätzlich auch mit Vertical Videos, den sogenannten "Shorts", erfolgreich. Aber wo kann YouTube in Deutschland am meisten wachsen? Sind es diese Shorts oder doch die Longform-Inhalte auf dem Big Screen.

Die Perspektive ist Multiformat, Multigeräte. Das kommt aus einer reinen Zuschauerlogik heraus. Wenn ich beispielsweise die "Tagesschau" sehen möchte, dann treffe ich doch keine Entscheidung zwischen Long- oder Shortform, Mobilnutzung oder Big Screen, sondern ich möchte die Inhalte im besten Fall überall zu jeder Zeit sehen. Daher muss ich als Content-Anbieter auf allen Geräten möglichst in allen Formaten verfügbar sein, um die Nutzer in ihrer jeweiligen Nutzersituation zu erreichen. All das sinnvoll zu verbinden, ist die Kunst. 

Herr Briese, vielen Dank für das Gespräch.