Logo: Der TagesspiegelFrau Bunz, Sie sind Chefredakteurin bei "tagesspiegel.de" und gelten als ausgewiesene Kennerin des Internets. Wie ist derzeit Ihr Eindruck: Hat die Print-Branche das Web verstanden?

Weite Teile schon. Mittlerweile ist allen klar, dass für die Zeitungsbranche kein Weg mehr am Internet vorbeiführt. Beim „Tagesspiegel“ hat man die Angst, dass Online die gedruckte Zeitung kannibalisiert, hinter sich gelassen. Eine journalistische Marke operiert heute nicht mehr nur mit einem gedruckten Produkt, sondern in zwei verschiedenen Medien, Print und Online. Die Schwierigkeiten der ersten Jahre, in denen die Online-Redaktionen das Zusammenführen von Zeitungen und dem neuen Medium Internet mehr oder weniger alleine vorantreiben mussten, liegen hinter uns. Heute ist Journalismus im Internet aus verschiedenen Gründen interessant - neben den Online-Journalisten möchten beispielsweise die Print-Redakteure, dass ihre Texte im Netz zu finden sind. Und dann ist da noch das unternehmerische Interesse Verleger.

Was haben Verleger am Internet noch nicht verstanden?


Die Verleger haben oft mehr verstanden als die klassischen Journalisten. In den Redaktionen gibt es teilweise noch Widerstand oder Ängste. Tendenziell fällt es jüngeren Journalisten leichter, das Internet als zweite oder sogar erste Spielmöglichkeit zu begreifen, weil sie mit dem neuen Medium aufgewachsen sind. Aber auch einige der älteren Kollegen haben mittlerweile starkes Interesse am Netz.
 


Sie haben den Relaunch von "tagesspiegel.de" verantwortet. Was war die größte Herausforderung dabei?

Die Technik. In der Tat stellen die Content-Management-Systeme augenblicklich für Verlage eine große Herausforderung dar. Das geht nicht nur uns so, darüber reden zur Zeit viele meiner Kollegen. Man denkt, im Internet könnte man alles schnell und kurzfristig umsetzen. Aber die Redaktionssysteme sind oft so aufgeblasen, dass man das Gefühl hat, vor einem mühsam handgeschnitzten barocken Kunstwerk zu stehen.

Worauf kommt es bei der Neugestaltung der Internetpräsenz einer Zeitung inhaltlich an?

Der Online-Auftritt muss Print repräsentieren, aber nicht mehr vollständig abbilden. Diese Entwicklung ist für manchen Print-Kollegen schwierig nachzuvollziehen. Am Kiosk entscheidet man sich für eine gedruckte Zeitung. Im Netz dagegen finden sich alle Angebote kostenlos nebeneinander. Man vergleicht viel schneller. Es muss also eine andere Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wir müssen den Online-Leser dazu bringen, auf unserem Portal zu bleiben, ohne ihn dort einzusperren.

Als ein Mittel, die Mediengattungen zusammen zu bringen, sehen manche Verlage den gemeinsamen Newsroom von Print- und Online-Redaktion – zum Beispiel die Zeitungsgruppe Welt/Berliner Morgenpost. Davon halten Sie nicht viel. Warum nicht?


Zeitung und Internet sind zwei Medien, die unterschiedlich funktionieren. Die Zeitung folgt der Logik des Redaktionsschlusses um 17 Uhr, im Internet herrscht dagegen der Anspruch der Minutenaktualität. Eine gesamte Redaktion auf beide Formen umzustellen ist nicht möglich. Newsroom und Online-Frist, das war letztlich ein gelungener Trick der Welt-Gruppe, um zu verschleiern, dass hier schlicht Redaktionen zusammengelegt worden sind. Aber: Print und Online werden dennoch stärker zusammenwachsen. Ich glaube zwar nicht an das Konzept „Newsroom“, doch eine längerfristige integrative Entwicklung, in der sich innerhalb der Ressorts einzelne Kompetenzen für das jeweilige Medium herausbilden, ist unumgänglich.
 
Wird es denn bei der Trennung Print und Online bleiben oder wird es doch ein Zusammenwachsen geben?

Aus der Trennung wird eine Verzahnung. Zudem wird man in der kommenden Generation schlicht viele Kämpfe nicht mehr ausfechten müssen. Das ist wichtig für den Journalismus. Der Anspruch der Tageszeitung, aktuelle Nachrichten zu bringen, ist schon angesichts des Fernsehens ein Problem gewesen - seit dem Internet ist das noch größer geworden. Darum ist es um so wichtiger, dass man einer Nachricht die entsprechenden Hintergründe zufügt, um die Zeitung auch für den nächsten Tag noch frisch zu halten.
 
Und wie sieht bei „tagesspiegel.de“ die Zusammenarbeit zwischen Print und Online aus?

Die Redaktionen sind bei uns nicht mehr vollkommen getrennt, so dass man darum bitten muss, einzelne Print-Artikel doch bitte vorab für das Netz zu bekommen. Einige Teile der Print-Redaktion arbeiten schon direkt im Online-System. Andere Kollegen liefern uns mit dem täglichen 14-Uhr-Kommentar online-only Material – Tissy Bruhns aus der Parlamentsredaktion und der Ressortleiter der Meinungsseite Malte Lehming haben das angeregt. Und inzwischen schreiben auch einzelne Online-Kollegen ab und an für Print. An vielen Stellen funktioniert die Zusammenarbeit also hervorragend.