Wenn ein Flaggschiff wie „Wer wird Millionär“ insgesamt noch immer sechs Millionen Zuschauer erreicht, aber davon immer weniger in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen - sind sie dann einfach für eine neue Zielgruppendefinition und alles ist gut - oder bereitet das Sorgen?
 
Ich glaube, dass 14-49 oder 20-59 wichtige Zielgruppen sind. Aber die Gesamtzielgruppe nimmt, entsprechend der Demografie unseres Landes, für so eine Form der Fernsehunterhaltung einen immer größeren Stellenwert ein. Die durchschnittliche Zuschauerzahl von „Wer wird Millionär“ lag im vergangenen Jahr bei 5,82 Millionen Zuschauern. Nur um das einmal in Relation zu setzen: Das ist selbst im Durchschnittswert weit mehr als ein Event wie das Finale oder der Kickoff von „Deutschland sucht den Superstar“ oder „The Voice“ holt. Wenn das eine Krise sein soll, hätte ich gerne mehr davon.


 
Das stimmt. Aber man könnte eben auch die Marktanteile bei den 14- bis 49-Jährigen betrachten und muss da feststellen: Läuft nicht mehr so wie noch vor einem Jahr und inzwischen unter Senderdurchschnitt...
 
Absolut richtig. Das betrachten wir natürlich auch. Die Reiseflughöhe ist etwas niedriger mit durchschnittlich 16,2 Prozent im letzten Jahr. Aber es gibt keine Turbulenzen.
 
Als Sie vorhin die Endemol-Woche aufgesagt haben, waren das fast ausnahmslos Primetime-Programme oder Vorabend bzw. später Abend, aber keine Daytime. Ist das für Endemol nicht von Interesse?
 
Endemol ist ein universelles Entertainment-Kaufhaus mit „Prime“-Anspruch. Dieses Kaufhaus hat attraktive Marken-Stores und Designer-Shops. Das sind unsere Business Units und unsere Kreativ-Joint Ventures. Florida für die junge Zielgruppe, Herr P für die öffentlich-rechtliche Zielgruppe, Endemol beyond für die YouTube-Zielgruppe, Wiedemann&Berg für die anspruchsvolle Fiction-Zielgruppe usw. Das ist ein wichtiger Bestandteil der strategischen Neuausrichtung von Endemol. Um das Unternehmen aus der Abhängigkeit von „Big Brother“ zu befreien, haben wir das mit einer bewussten Konzentration auf hochqualitatives Primetime-Fernsehen getan. Das macht die Neupositionierung einfach schneller deutlich. Aber Sie haben Recht: Es gibt Genres auch für die Daytime, in denen wir noch klar Wachstumsperspektiven sehen und die schauen wir uns an.
 
Also demnächst Scripted Reality für die Daytime von Endemol?
 
Ich habe kein großes Interesse daran, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Wir überlegen uns lieber, was die nächste Generation dieses Genres sein könnte. Was ist der nächste Schritt der Scripted Reality? Lässt sich das weiterentwickeln oder gibt es auch ganz andere Formate für die Daytime? Wir sehen ja gerade schon, dass auch der Erfolg dieses Genres endlich ist. Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, einen Trend auszulassen, um den nächsten wieder selbst zu gestalten.
 
Muss man als Fernsehproduzent alle Formate gut finden, die man produziert?
 
Wenn wir an die 31 unterschiedlichen Formate denken, die wir im letzten Jahr gemacht haben, dann klingt es wenig ehrlich und authentisch, wenn ich sage, dass ich alle gleich gerne mag. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir hier im Haus an allen Sendungen extrem leidenschaftlich arbeiten und ich all das, was wir produzieren, gerne verantworte und mittrage. Bevor Sie nachfragen: Ich sage Ihnen jetzt nicht, welche Sendungen meine Favoriten sind. Da bleibe ich diplomatisch (lacht).
 
Welche Rolle spielt denn momentan das internationale Netzwerk von Endemol für das Geschäft in Deutschland?
 
Teil eines internationalen Netzwerkes zu sein, bedeutet nicht, dass man sich darauf verlassen darf, dass von dort ständig etwas kommt. Mit solchem Denken kollabiert ein Netzwerk. Deswegen sind wir ja zum Beispiel so stolz auf die auch international erfolgreichen Ideen von den Herr P-Kollegen in Hamburg. Aber in der Zeit, in der ich bei Endemol bin, haben wir umgekehrt auch 14 Formate aus dem internationalen Katalog ins deutsche Fernsehen gebracht. Um ihre nächste Frage vorweg zu nehmen: Gerade ist ein Endemol-Format namens „Your face sounds familiar“ international sehr erfolgreich – schon in 20 Länder verkauft und wir wollen es gerne nach Deutschland bringen. Da bin ich überzeugt, dass das klappen wird. Zusammengefasst: Endemol kreiert in einer Regelmäßigkeit Hits wie keine andere internationale Produktionsfirma. Die Tore im internationalen Wettbewerb können aber inzwischen auch in Spanien oder Deutschland geschossen werden.
 
Klingt alles ganz so als gehe es Endemol gut. Braucht man, wenn es einem gut geht, einfach keine Allianzen mehr oder warum sind Sie aus der Produzentenallianz ausgetreten?
 
In der Produzentenallianz sind Produktionsfirmen mit völlig unterschiedlichen Strategien, völlig unterschiedlichen Möglichkeiten, völlig unterschiedlichen Horizonten und völlig unterschiedlichen Interessen. Um das alles unter einen Hut zu bringen und mit einer Stimme zu sprechen, muss man sich mit dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner zufriedengeben. Und der ist uns zu wenig.
 
Aber die Mitgliedschaft kostet ja jetzt nicht so furchtbar viel. Irgendwas muss ja passiert sein. Wird ja kaum eine spontane Entscheidung gewesen sein...
 
Nein, wir tun Dinge aus Überzeugung. Und Überzeugung heißt für mich nicht, irgendwo Mitglied zu sein, nur um dabei zu sein. Vielleicht ist es ja eine Mentalitätsfrage. Und ganz ehrlich: Ich bin lieber Manager als Funktionär.
 
Herr Wolter, herzlichen Dank für das Gespräch.