Herr Kleinfeld, „krude steht ja für „unverdaulich“ oder „nicht kunstvoll“. Trifft's das – oder wieso haben Sie sich für diesen Namen als Titel Ihrer Sendung entschieden?

Das Wort bedeutet ja auch „roh“ oder „unfertig“ und trifft den Kern der Sendung daher sehr gut. Ich habe es schon seit Jahren im Kopf und wollte ganz bewusst keinen Namen haben, der nach „Fun Freitag“ klingt. Die ganzen Figuren, die wir haben, sind letztlich allesamt gewissermaßen unfertig. Es ist keineswegs eine glattgeschmirgelte Welt, die wir den Zuschauern vermitteln wollen.

In der Tat handelt es sich um sehr außergewöhnliche Figuren, die Sie bei „Krude TV“ zeigen – und mitunter erschließt sich deren Sinn nicht gleich beim ersten Sehen. Wie entstehen diese Charaktere überhaupt?

Die Menschen, mit denen ich die Sendung drehe, sind in der Regel Freunde von mir, die ich über viele Jahre kenne. Und wir beobachten einfach gerne Menschen. Die Mofa-Männer, die bei „Krude TV“ vorkommen, gibt es tatsächlich. Das sind stark alkoholisierte Männer, die ihren Führerschein verloren haben und sich trotzdem noch aufs Mofa setzen. Sie stehen zwar am Rande der Gesellschaft, geben sich aber dennoch nicht auf. Viele Ideen stammen aber auch aus meiner Zeit, in der ich eine Kiezkneipe auf St. Pauli hatte. Da kommen eben schon mal Zuhälter oder zwielichtige Box-Promoter vorbei. All diese Figuren spielen in unserer Sendung eine Rolle, nur eben ein bisschen überzeichnet. Aber nicht zu doll!

Wie sieht denn eigentlich typisch norddeutscher Humor aus?

Es ist ein etwas absurder Humor, der eben tatsächlich etwas „krude“ daherkommt. Bei uns muss nicht immer eine glatte Strecke erzählt werden, an deren Ende eine sauber polierte Pointe steht. Es ist mir gar nicht so wichtig, dass die Leute immer lachen. Wir fabrizieren ja keine Schenkelklopfer. Mir reicht es schon, wenn sich die Zuschauer wundern und fragen: Was ist das denn?! Man kann auf viele Arten unterhalten werden. Wenn man einen Gruselfilm schaut, wird man gruselig unterhalten, wenn man einen Liebesfilm schaut, dann ist es romantisch – und bei uns ist es eben komisch und krude. Allerdings ist diese Art von Humor offenbar längst nicht nur ein rein Phänomen aus dem Norden, wie ich den Kommentaren aus ganz Deutschland auf unserer Facebook-Seite entnehme. Vielleicht es also gar kein norddeutscher Humor, sondern ein kranker Humor, der überall verbreitet ist.

Mancher NDR-Zuschauer wird sich aber doch sicher gewundert haben, was da plötzlich nach „Tietjen & Hirschhausen“ läuft...

Da gab es sehr unterschiedliche Reaktionen, weil „Krude TV“ tatsächlich ungewöhnlich ist. Allerdings ist die Quote während der ersten Staffel von Folge zu Folge gestiegen. Der normale NDR-Zuschauer hat das also schon goutiert. Vielleicht werden Zuschauer ja manchmal auch ein Stück weit unterschätzt. Mit dem „Tatortreiniger“ gibt es außerdem ein weiteres schönes und erfolgreiches Beispiel für unkonventionellen Humor im Programm.

Typisch öffentlich-rechtlicher Humor sieht in der Tat anders aus.

Absolut. Aber da ändert sich gerade etwas. Beim NDR wollte man vielleicht auch nicht noch einmal den Fehler machen, skurrile norddeutsche Figuren einem anderen Sender zu überlassen, so wie es in der Vergangenheit bei „Dittsche“ der Fall gewesen ist. Wir sind übrigens ganz bewusst mit unserer Idee zuerst auf den NDR zugegangen – in der Hoffnung, den Sender zumindest ein wenig mitgestalten zu können. Ich schaue den NDR ja tatsächlich ganz gerne, aber an mancher Stelle fehlte mir in der Vergangenheit manchmal der schräge Humor, wie man ihn von Helge Schneider oder Monty Python kennt.

Klingt nach viel Überzeugungsarbeit.

Es war am Anfang nicht ganz einfach für uns, denn man benötigt ja für eine neue Sendung zunächst ein Budget und einen Sendeplatz. Und natürlich Personen im Sender, die an einen glauben. Als Nils Holst und ich unser Format vorstellten, haben wir einen 20-minütigen Zusammenschnitt präsentiert, der all das beinhaltete, was wir ohnehin schon mal aufgezeichnet hatten. Das kam gut an. Von diesem Momentan an dauerte es nur drei Monate, bis es letztlich zum Auftrag kam.

Gab es vor dem Produktionsauftrag des NDR auch mal Momente der Verzweiflung?

Vorherwussten wir ja nicht, ob wir es überhaupt mit unseren Ideen ins Fernsehen schaffen. Ungewissheit schwingt immer mit. Irgendwann habe ich das ganze Team zu mir geholt und gesagt, dass ich nicht länger warten möchte. Ich wollte endlich loslegen und unseren kranken Scheiß zur Not auf einem YouTube-Kanal veröffentlichen. Zwei Wochen später bekamen wir dann den Auftrag vom Sender. Und jetzt gibt’s Krude TV im Fernsehen und auf youtube. Das freut uns natürlich riesig! Da haben wir Glück gehabt.

Mit einigen Zugeständnissen, nehme ich an.

Glücklicherweise haben Franziska Kischkat und Marco Otto vom NDR einen ähnlichen Humor wie wir, so dass wir nicht allzu viele Zugeständnisse machen mussten. Ich denke, das sieht man dem Format auch an. Das, was krude sein sollte, ist auch wirklich krude geblieben.

Nun sind Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Nils Holst nicht nur als Autor tätig, sondern auch als Schauspieler und Regisseur von „Krude TV“. Bleibt da noch Zeit für etwas anderes?

In der Zeit, in der neue Folgen von „Krude TV“ entstehen, bleibt keine Zeit für Projekte abseits dieses Formats. Als die Entscheidung feststand, dass die Sendung in die zweite Staffel geht, ging es zunächst darum, zusammen mit Nils und unseren Freunden neue Figuren zu entwickeln. Alleine das beansprucht schon sehr viel Zeit.

Interessanterweise kam vom NDR gerade wieder der Vergleich zu Monty Python. Sehen Sie tatsächlich eine gewisse Verbindung?

Ich habe den Vergleich selbst einmal gebracht, meine damit aber zunächst den Entstehungsprozeß unser kruden Geschichten, weil wir nach dem Monty-Python-Prinzip arbeiten. Wenn Sie sich „Ladykracher“ anschauen, dann wissen Sie, dass es Autoren gibt, die all die Sketche schreiben, die Anke Engelke später spielt.  Bei Monty Python handelt es sich dagegen um Freunde, die zusammen gelebt und gearbeitet haben und ihre komplette Sendung alleine auf die Beine stellen wollten. Das ist bei uns ganz ähnlich. Mit den meisten Typen aus Krude bin ich seit mindestens zehn, fünfzehn Jahren eng befreundet. Mit einigen noch viel länger. Daher der Vergleich. Abgesehen davon finde ich den Humor von Monty Python nach wie vor unfassbar lustig – und oft auch total krude.

Aber es ist schon interessant, dass diese Art von Humor im deutschen Fernsehen sehr selten ist. Worauf führen Sie das zurück?

In meinen Augen liegt es daran, dass sich bisher nicht genügend Redaktionen und Sender vorstellen konnten, dass den Zuschauern ein etwas schräger Humor gefallen könnte. Von heute auf morgen wird man aber kaum flächendeckend mehr Mut zu spüren bekommen. Auch unser „Krude TV“ ist ja erst mal nur eine kleine, feine Perle, die langsam, aber sicher bekannt werden muss. Daran arbeiten wir. Auch um Mitternacht.

Herr Kleinfeld, vielen Dank für das Gespräch.