Herr Geist, wie würden Sie „moderne Medien-Regulierung“ definieren?

Das ist vor allem eine Regulierung, die ermöglicht und nicht verhindert. Vor ein paar Tagen habe ich die amerikanische Handelsministerin Penny Pritzker beim SXSW-Festival in Austin gesehen. Großartige Frau. Sie sagte dem Publikum: „The President has asked me to be the voice of business, so what can I do to help you?“ Hat man sowas in Deutschland je gehört? Die medienregulatorische Praxis bei uns ist in weiten Teilen Ergebnis einer rückwärtsgewandten wirtschaftsfeindlichen Klientelpolitik. Nach unserer Auffassung ist moderne Medien-Regulierung dynamisch und an den Markt angepasst: Also so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.

Welchem Klientel dient demnach die deutsche Medienpolitik?

Lange Zeit wurden vor allem Partikularinteressen regionaler und kleiner unabhängiger Anbieter geschützt. Jetzt wo wir alle der Konkurrenz durch große und kleine Online-Spieler ausgesetzt sind, fände ich es sinnvoller, einen Regulierungsrahmen zu setzen, der zukunftsfähige Angebote aus Deutschland und Europa ermöglicht.

Ist Fernsehen in Deutschland Ihrer Meinung nach überreguliert? Geht es eher um die Deregulierung des eigenen Geschäfts als die Regulierung des Geschäfts der anderen? Das wiederum ist ja die Haltung der Verlage.

Mehr Regulierung braucht kein Mensch - meiner unmaßgeblichen Meinung nach auch die Verlage nicht. Was wir hingegen alle gemeinsam dringend durchsetzen müssen, ist der gelebte Schutz geistigen Eigentums. Das ist mal ein wichtiges Thema, und nicht dieser Kleinkram! Deregulierung hilft allen Marktteilnehmern nur da, wo sie auch sinnvoll ist. Beispiel: Die Beschränkung der Werbestunde auf zwölf Minuten. Vollkommen willkürlich. Warum denn zwölf und nicht neun oder 18? Kein Sender würde doch riskieren, durch einen zu hohen Werbeanteil die Akzeptanz beim Zuschauer zu verlieren und damit die Quote zu schmälern. Deshalb ist hier eine starre Vorgabe einfach unzeitgemäß. Ähnliches gilt fürs Privat-Radio. Jüngstes Beispiel für eine vollkommen absurde Diskussion ist das Thema dezentrale Werbung: Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist glasklar: Wir und alle anderen bundesweiten TV-Sender dürfen regionale TV-Werbung anbieten. Das Gericht hat festgestellt, dass den bundesweiten Sendern regionale Werbung nie verboten war und von den Ländern auch nicht verboten werden durfte. Punkt.

Ein Punkt, den andere Marktteilnehmer und mancher Medienpolitiker wegradieren möchte.

Jetzt strebt eine rückwärts gewandte Medienpolitik an, eine weitgehende Verbotsregelung in den Rundfunkstaatsvertrag aufzunehmen, die sogar noch HbbTV umfassen soll. Das ist für meinen Geschmack ziemlich gestrig, wenn man bedenkt, dass Google Targeting auf Personenebene macht, ohne irgendwen fragen zu müssen. Ein weiteres Werbeverbot ist wirklich das Letzte, was Deutschland braucht. Aber insbesondere die regionalen Papier-Verleger, denen ja auch viele Radiosender gehören, haben die Lobbymaschinerie auf Hochtouren laufen lassen. In einigen Landtagen wurde angeblich jeder einzelne Abgeordnete angerufen und mit dem Hinweis konfrontiert, dass der „Hinterpfuiteufler Landkreisbote“ ja nun wirklich über jede „kleine Anfrage“ des Betreffenden im Landtag berichte - „mit Bild“ - und ob man diese gute Zusammenarbeit denn nun ernsthaft gefährden wolle? Und das sind dann die Leute, die sich mit ihrem gesellschaftlichen Beitrag brüsten. Anständig ist das nicht.

Aber ist die Krux der Medienregulierung nicht, dass jeder gerne freie Fahrt für sich und nur die Konkurrenz reguliert sehen will?

Natürlich nicht. Im Ernst: Es kann doch nicht sein, dass wir jahrelang mit Behörden prozessieren müssen, weil kabel eins einen Werbeblock angeblich um sieben Sekunden überzogen hat. Und es kann auch nicht sein, dass aufgrund von absurden Marktdefinitionen der Kartellbehörde ein erfolgreicher lokaler Zeitungs-Verleger ein konkursgefährdetes Blatt aus dem Nachbarort nicht retten kann, weil dadurch angeblich eine Monopolstellung entsteht. Monopolstellung? Da draußen gibt es etwas, das heißt Internet - it will not go away - und Google steht vor der Tür. Aber nein, da lässt man eine Zeitung lieber pleite gehen. Unsinnig. Ich glaube, alle Medienunternehmen haben am Ende des Tages sehr ähnliche Interessen.

Der Gegner Google ist am Ende immer der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich beim Thema Medienregulierung alle einigen können.

Wir sind nicht gegen Google, wir sind gegen ein Google mit der aktuellen Machtfülle. Dass man sich auf zentrale Grundsätze verständigt, wie Schutz der Menschenwürde, Jugendschutz, freiheitlich-demokratische Grundordnung, usw., ist ohnehin selbstverständlich. Wie sagte Guido Westerwelle einst so schön: Das ist Deutschland hier.

Sieht sich denn die ProSiebenSat.1 Media AG derzeit bedroht oder eingeschränkt?

Bedroht ist etwas hoch gegriffen. Aber wenn wir nicht schnellstens die Regulierung unserer nationalen Medienangebote an den internationalen Wettbewerb und an die veränderte Mediennutzung anpassen, wird Deutschland den Anschluss verlieren. Manchmal hat man den Eindruck die US-Kollegen reiten hier auf dem Highway ein, während wir uns mit der juristischen Machete erstmal einen Trampelpfad durch sechzehn Bundesländer freikloppen müssen. Bei allem Respekt, aber daran verdienen nur die Anwälte.

Eine kleine, aber wahre Randnotiz.

(lacht). Ich darf das sagen, ich war mal Jurist. Die größte Einschränkung auf nationaler Ebene ist die eklatante Ungleichbehandlung von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Die Lösung ist schnell zusammengefasst: Die Werbung bei denen muss weg und es müssen vernünftige, mit unseren vergleichbare Kontrollmechanismen eingeführt werden.

Zu den Kontrollmechanismen kommen wir gleich. Bleiben wir kurz bei Werbung. Ein weiteres Verbot sei das letzte, das Deutschland bräuchte - sagten Sie eben. Für ARD und ZDF gilt das jetzt aber nicht?

Stand heute darf die ARD regionale Werbung ausstrahlen. Wir nicht. Gleichheit, anyone?

Dann zu den Kontrollmechanismen…

Niemand versteht, warum wir, Sie und ich, von der 8-Milliarden-Euro-TV-Steuer fachlich größtenteils hervorragende Medienwächter zahlen, aber der ÖR-Rundfunk von denen nicht kontrolliert wird. Das ist ein bisschen so, als würde der Schiri beim Spiel Dortmund-Bayern München ausschließlich Dortmund pfeifen, während Bayern erst nach dem Spiel ganz entspannt nur von Uli, Karlheinz und Edmund überwacht wird. Und regionale TV-Werbung darf die ARD auch machen. Die Kollegen vom privaten Radio sind hier übrigens noch stärker benachteiligt. Wir sind uns vollkommen einig, dass das besser werden muss, und ich setze mich bis zum letzten Atemzug für deren Belange ein, auch wenn wir uns gerade wegen anderer Dinge streiten.

Und schon sind wir wieder beim Thema Regionale Werbung. Erhofft sich die ProSiebenSat.1 Media AG hier spürbares Umsatzpotential? Oder geht in der aufgehitzten Debatte letztlich um’s Prinzip?

Beides. Das Gericht hat festgestellt, dass den bundesweiten Sendern regionale Werbung nie verboten war. Das Urteil ist sehr klar und erteilt auch einer Diskussion zur möglichen Verschärfung des Rundfunkstaatsvertrages eine deutliche Absage. Abgesehen davon: Für eine Änderung im Rundfunkstaatsvertrag müssen alle Ministerpräsidenten ihr Einverständnis geben. Und ich möchte den Politiker sehen, der einem mittelständischen Unternehmen in seinem Bundesland erklärt, warum ihm ein wichtiges Werbemedium, nämlich das private Fernsehen, verschlossen sein soll. Wenn ich ein florierendes regionales Möbelhaus betreibe und TV-Werbung brauche, um weiter zu expandieren, stelle ich mir schon die Frage, warum eigentlich der vermeintliche Schutz eines Lokalblatts wichtiger sein soll, als die Arbeitsplätze, die ich als Unternehmer schaffe. Das ist jedenfalls die Rückmeldung, die wir aus dem Mittelstand bekommen.

Sind denn überhaupt so viele mittelständische Unternehmen an aufwändiger TV-Werbung interessiert?

Ja, wir haben wirklich viele Interessenten. Aber selbst öffentliche Organe fragen nach. Interessantes Beispiel aus der Politik: Die Polizei in NRW wollte letztes Jahr gern eine Recruiting-TV-Kampagne bei uns schalten, weil sie ein Nachwuchsproblem hat. Wie erklärt Frau Kraft eigentlich ihrem Innenminister, dass er das auf einem Sender wie ProSieben nur national schalten konnte, was in diesem Fall wirklich nicht effizient war, wenn auch vermutlich noch effizienter als in einer Regionalzeitung? Ich meine, wir haben das gern ausgestrahlt, aber: Ein Politiker, der im Sinne seines Bundeslandes handelt, kann doch nicht aus Angst vor der regional berichtenden Papierpresse etwas verabschieden, das für seinen Standort rückschrittlich und unwirtschaftlich ist. Ich unterstelle jetzt einfach, dass die Regierungschefs der Bundesländer aufgeklärt und modern handeln; sich also von zusätzlicher Regulierung verabschieden und eine moderne und zukunftsweisende Medien-Regulierung unterstützen.