Von einem moralischen Standpunkt aus gesehen, war das eine enorme Veränderung.

In der fünften Folge erwürgt Tony Soprano jemanden mit seinen bloßen Händen, da machte sich selbst der Sender Sorgen, dass wir das Publikum verlieren würden, weil es ihn nicht mehr mögen würde. Zum Glück sagte der Serienschöpfer David Chase: ‚Das Publikum wird ihn auch nicht mögen, wenn er es nicht tut’. Er soll ein Mob-Boss sein, und das ist eben das, was ein Mob-Boss tun muss. Natürlich hatte er recht, und in diesem Moment ging die Show ab wie eine Rakete. Es ist wichtiger, sich einer Figur voll und ganz zu verpflichten, statt sich über ihre Taten zu sorgen. Wenn er böse ist, dann mache ihn so böse wie er sein muss und drücke dich nicht davor. Wenn er ein böser Mensch ist, hat man als Autor die Lizenz dazu, alles mit ihm zu tun, was man will. In welche Richtung sich alles nun bewegen wird? Da bin ich genauso neugierig, wie sie es sind.

Zu Zeiten der „Sopranos“ war HBO der einzige Sender, der solche komplexe Geschichten und kontroversen Figuren erzählte, fast zwanzig Jahre später versuchen das alle. Dazu kommen die Streaming-Plattformen von Netflix und Amazon. Ist es einfacher geworden, eine originelle Story zu erzählen oder schwieriger, weil es alle machen?

Sicherlich gibt es mehr Wege sich auszudrücken, mit dem Auftauchen von Netflix und Amazon, aber auch Hulu oder Sendern wie AMC oder FX, gibt es so viele Plätze. Nie zuvor gab es so viele Anbieter, die Inhalte wollen. Die Wahrheit ist aber auch: Mit jeder neuen Serie, die erschaffen wird, gibt es eine Serie weniger, die erschaffen werden kann, denn jemand hat es bereits getan. Die Herausforderung ist es also, etwas Neues und Fesselndes zu bringen, das noch nicht gemacht wurde. Wenn man das kann, gibt es viele Orte, an denen man es verwirklichen kann. Das ist die gute Nachricht.

Und die schlechte?

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Stellen sie sich vor, sie haben die Idee zu einer Serie über eine Transgender-Familie – dann hat das Amazon schon gemacht. Das ist jetzt Teil der Herausforderung, aber das macht den Job so interessant. Eben weil es da so viele Wege gibt, sind die Anbieter offener dafür, etwas zu verwirklichen, das noch nie zuvor gemacht wurde. Um die Menschen auf den Sender aufmerksam zu machen, müssen sie etwas vollkommen Anderes bieten als die Konkurrenz.

Die Vielfalt und schiere Anzahl der Sender, die da mitspielen wollen, ist enorm.

Als ich aufwuchs, gab es in den USA nur drei Sender, und alle Zuschauer sahen das Selbe. Dadurch gab es auch ein kollektives Verständnis für Popkultur. Jeder in den USA wusste, wer Archie Bunker ist, denn 40 Millionen Menschen schauten sich „All In The Family“ Woche für Woche an – alle Erwachsenen sahen dasselbe. Wenn ich also einen Witz über Archie Bunker gemacht habe, hat den jeder sofort verstanden. Wenn heute zwei Millionen Menschen eine Serie sehen, gilt diese als Hit. Das heißt, sie schauen eine Serie, von der ich noch nie gehört habe, und umgekehrt. Wir verlieren diese Verbindung, die wir früher durch die Popkultur hatten. Heute funktioniert alles über Nischen-Programmierung, das hat etwas Trauriges. Auf der anderen Seite ist so für jeden etwas dabei.

Die Entwicklung geht allerdings weg von der originären Idee. Es werden immer mehr Ableger von erfolgreichen Serien produziert oder erfolgreiche Filme noch einmal in Serienform aufgelegt.

Branding ist so wichtig geworden. Vom Standpunkt eines Senders oder einer Filmproduktion ist der halbe Kampf gewonnen, wenn die Leute bereits wissen, um wen oder was es sich handelt. Ein Beispiel: Vor acht Jahren wurden in Hollywood Autoren gesucht, die den Lego-Film pitchen sollten. Ich habe gefragt, was das sein soll und man konnte mir keine Antwort darauf geben. Sie wollten einfach einen Film machen, der „The Lego Movie“ heißt, weil jeder weiß, was Lego ist.

Eine Rechnung, die aufgegangen ist.

Der Fakt, dass jeder weiß, was Lego ist, ist 50 Millionen Dollar an Werbung wert. Das gleiche gilt für eine Serie wie „Supergirl“, jeder weiß, wer sie ist – großartig! Deswegen gibt es Filme wie „Battleship“ – also „Schiffe versenken“ – die auf einem Brettspiel basieren. Wie das? Nun, die Leute wissen bereits, dass „Battleship“ ein Brettspiel ist. Und jetzt ist es ein Film! Es geht immer um die Markenbildung in einer vertrauten Umgebung. Vom Standpunkt eines Senders oder einer Filmproduktion gesehen, ist es nachvollziehbar, denn man will beim Ausstellen der Schecks in der Komfortzone bleiben, weil man weiß, dass es eine bestimmte Anzahl von interessierten Leuten gibt. Sie wissen bereits, wer „Dracula“ ist, also wird das gemacht. Im Gegensatz zu irgendeiner neuen Figur, die gestern erst erfunden wurde.

Hatten sie in den letzten Jahren noch einmal ein ähnliches Gefühl beim Serienschauen, wie damals, als sie „Die Sopranos“ entdeckt haben?

Interessanterweise geht das Hand in Hand mit dem, worüber ich gerade gesprochen habe; die Serie „Fargo“, nach dem Film der Coen-Brüder. Wieder eine Marke, die bereits bekannt ist. Sie hat einen ähnlichen Ton wie das Original, es ist die gleiche Art von Storytelling, und das ist fantastisch! Ich bin absolut gefesselt davon, sie gehört zum Besten, was ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe. Es gibt der Idee von der vertrauten Marke Glaubwürdigkeit, aber auf der anderen Seite wird das in unerwarteter Weise umgesetzt. Ich finde das sehr, sehr cool.

Woran arbeiten sie momentan, jetzt, wo ihre Serie „Vinyl“ so schnell beendet wurde?

Ich arbeite immer noch für HBO, aber an keiner Serie. Gerade schreibe ich am Drehbuch für einen Film über Griselda Blanco, die kolumbianische Kokain-Patin der 70er und 80er. Sie war die alleinige Verantwortliche für die Drogenkriege von Miami in den 1970er Jahren, auch bekannt als die Schwarze Witwe, weil sie eine Reihe ihrer Ehemänner töten ließ. Sie war die Hauptverantwortliche für den Kokain-Schmuggel in die USA zu dieser Zeit, sehr innovativ, was das anging, eine herausragende Kriminelle. Sie wird von Jennifer Lopez gespielt werden. Außerdem schreibe ich ein Biopic über Andy Warhol für Jared Leto, der darin selbst Warhol verkörpern wird.

Das Interview wurde im Rahmen des SERIAL SALON in Berlin geführt – präsentiert vom Erich Pommer Institut (EPI) in Kooperation mit MediaXchange und dem Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg sowie mit Unterstützung des Medienboards Berlin-Brandenburg