Also gilt nicht mehr "Bad news are good news"?

Matthias Pfeffer: Das hat der Journalismus völlig übertrieben und damit sich selbst die Leser, Zuschauer und Zuhörer vertrieben. Wir brauchen konstruktiven Journalismus, der auch Lösungen aufzeichnet.

Claus Strunz: Es ist auch mit Blick auf die Rahmenbedingungen ein sehr passender Zeitpunkt um sich Gedanken über die Positionierung der "Akte" zu machen.

Warum?

Claus Strunz: 2017 ist ein Wahljahr. Uns interessiert nicht in erster Linie die Wahl selbst, dann wären wir ein Politmagazin. Aber was wird gewählt und welche Themen werden ausschlaggebend sein? Es wird sicherlich eine Abstimmung über die Frage, wie wir zusammenleben wollen in Deutschland; wie verschiedene Kulturen miteinander umgehen. Finanzpolitik ist auch ein ferner Begriff, aber konkret geht es um das Gefühl der Menschen wie sicher ihr Geld und der Euro-Raum ist, in dem sie leben. Uns geht es nicht um Brüssel, Politpersonalien und Taktik. Die Entwicklung in der Türkei ist politisch höchst besorgniserregend, aber im konkreten Alltag schlägt sich das in der völlig nachvollziehbaren, persönlichen Frage nieder: Kann ich unbesorgt Urlaub machen in der Türkei? Aus den ganz großen Themen unserer Zeit lässt sich ein Thementableau erstellen, das ganz pragmatisch Fragen aufgreift und Antworten liefern will. Und das ohne ein Politmagazin zu machen. Wir betrachten die Zuschauer nicht als Wähler sondern als Bürger und interessierten Verbraucher.

Matthias Pfeffer: Sowohl das Brexit-Referendum als auch die Wahl von Donald Trump haben uns ja gelehrt, dass im Journalismus in den vergangenen Jahren an den falschen Enden gespart wurde. Alles wurde zentralisiert. Daten-Journalismus war sexy. Journalisten waren begeistert von Tools und technischen Möglichkeiten. Vergessen wurde aber eine klassische Tugend: Die des Reporters, der Stimmungen und Themen einfängt. "Akte" war immer ein Reporter-Magazin und draußen und hat sich anhand von Einzel-Schicksalen großen Themen genähert.

Das war früher mal so. Zwischendurch war die „Akte“ auch mal sehr beliebig.

Matthias Pfeffer: Ja, aber wir haben auch im vergangenen Jahr schon begonnen, einige Geschichten zu machen, die eine größere Aufmerksamkeit verdient hätten. Das ist in der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie aber nicht immer gelungen, die erhoffte Verbreitung zu bekommen.

Schön formuliert "größere Aufmerksamkeit verdient hätten". Unter Umständen hat man die Zuschauer zu lange mit Factual Entertainemnt entwöhnt.

Matthias Pfeffer: Wir arbeiten sehr daran, die DNA der "Akte" wieder freizulegen und haben eben im vergangenen Jahr beispielsweise über Gesetzeslücken beim Thema Kinderpornografie und Lücken im deutschen Waffenrecht berichtet. Wir hatten mit als Erste Eltern im Programm, deren Kinder sich vom IS haben locken lassen. Und am Abend seiner Wahl haben wir Trump intensiv beleuchtet.

Claus Strunz: Ich habe das im vergangenen Jahr sehr genau beobachtet. Hätten all diese Themen, bei denen sich die "Akte" auf ihre Kernkompetenz besinnt, beim Publikum nicht funktioniert, hätte ich diese Aufgabe nicht übergenommen. Dann hätte man vielleicht analysieren müssen, dass der Lebenszyklus der „Akte“ beendet ist und Ulrich Meyer die "Akte" schließen kann. Aber weil genau das Gegenteil der Fall ist, motiviert es mich so, mit der "Akte" das wichtigste wöchentliche Magazin bei der größten Senderfamilie des Landes im zweitgrößten Fernsehmarkt der Welt zu übernehmen.

Hat Magazin-Journalismus im Fernsehen denn noch eine Zukunft? Viele kleine Geschichten, Anekdoten und Schicksale spülen inzwischen Soziale Netzwerke und Websites in meine Wahrnehmung. Nagt all das nicht am Bedarf für Häppchen-Journalismus in Fernsehmagazinen?

Matthias Pfeffer: Im Internet werden aber oft Dinge ohne Einordnung verbreitet. Oft herrscht dort die Banalität des Blöden. Inzwischen werden Nichtigkeiten vermeldet oder als Video aufbereitet, wenn es nur eine Überschrift hergibt mit der man Clickbaiting betreiben kann. Oftmals wird da Rohmaterial einfach für sich stehen gelassen in kurzen Clips. Da zählt die Sensation, nicht der Journalismus.

Claus Strunz: Ich glaube, dass wir als Journalisten unseren Konsum von Medien, Newsfeeds und sozialen Netzwerken nicht zum Maßstab nehmen dürfen. Wir fragen mobil all das ständig ab, aber es gibt gute Freunde von mir, die das vielleicht nur einmal am Tag tun. Wir haben unverändert die Gelegenheit einem breiten Millionen-Publikum ein Thema oder Schicksal näher zu bringen. Wir sollten unsere Zuschauerinnen und Zuschauer übrigens auch nicht unterschätzen.

Wird das Ihrer Meinung nach zu oft getan?

Claus Strunz: Wenn Frau Merkel zur Flüchtlingskrise sagt: "Wir schaffen das", dann weiß auch der Handwerksmeister, dass ein Mehr an Menschen auch mehr Ausgaben für Verpflegung und Unterkunft bedeuten. Es geht gar nicht um Zweifel daran, dass man das schaffen könnte. Aber er weiß, dass das Mehrkosten verursacht und dass dafür irgendjemand bezahlen muss. Das wird aber nicht gesagt. Das verstehe der Bürger ja eh nicht, deshalb gibt es nur "Wir schaffen das" - so als wenn der Wille allein Berge versetzen würde. Da darf sich die Politik nicht wundern, wenn die Bürger mit einem unguten Gefühl zurückbleiben. Und der Journalismus darf es schon gleich gar nicht tun. Wir sind ja dafür da, diese Lücke zu schließen. In dieser Lücke stecken schon so viele Geschichten. Da geht es nicht um Parteipolitik sondern den Alltag in den Gemeinden.

Woran wollen Sie sich mit der neuen "Akte" messen lassen?

Claus Strunz: Für mich zählt die qualitative Quote. Die Quote am nächsten Morgen lässt sich anhand so vieler Faktoren analysieren und interpretieren. Ich mein’: Unsere zweite und dritte Sendung läuft gegen den Dschungel. Da kann mir die Quote keine Erkenntnis liefern. Da kann ich Ihnen jetzt schon einen Satz für Ihre Quotenanalyse liefern: "Erwartungsgemäß schwer tat sich die ‚Akte‘ gegen den Dschungel" (lacht) Aber das Gefühl, eine gute Sendung gemacht zu haben, das spürt man selbst schon bevor die Einschaltquoten kommen. Und wenn wir merken, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer das Gefühl und diese Einschätzung teilen, dann ist der Journalist in mir glücklich.

"Ich glaube an unsere Taktik und unser Vermögen. Das muss eben so gut sein, dass man sich nicht mit dem starken Gegenprogramm rausreden muss."

Claus Strunz

Ich tue mich - auch aufgrund von Erinnerungen an frühere Diskussionen - schwer Ihnen zu glauben, dass Ihnen die Einschaltquote so egal ist.

Claus Strunz: Sie interessiert mich sehr. In meiner Position ist inbegriffen, dass die Scheinwerfer auf mich gerichtet sind und ich kann damit gut umgehen. Die Kritik kommt mit dem Beruf. Aber wir brauchen inhaltliche Kritik.

Matthias Pfeffer: Ich wundere mich immer, dass sich die Menschen über bissige Medienkritik beklagen. Literatur- und Musikkritiken sind traditionell doch auch immer bissig und böse gewesen - und wurden dafür gefeiert. Wichtig ist nur, dass man die Leidenschaft des Kritikers spüren kann.

Claus Strunz: Ich mag Kritik, nur nicht diese Zahlendeuterei. Und wenn dann würde ich die beiden Ausgaben gegen den Dschungel mit unseren Werten vom Vorjahr vergleichen und generell möchte ich mit der Mehrzahl der Sendungen im Jahr 2017 über den "Akte"-Reichweiten vom Vorjahr liegen. Eigentlich wollte ich ja heute mal keinen Sportvergleich bringen…

…aber machen Sie ihn ruhig.

Claus Strunz: Ich sehe uns als Einzelsportler in einem WM-Finale. Die ganze Welt schaut darauf, ob es Bronze, Silber oder Gold wird. Aber wenn du als Leistungssportler mit einer persönlichen Bestleistung den 4. Platz belegt, bemitleiden dich alle um das verpasste Treppchen. Das regt mich immer auf, denn die Sportler selbst sehen den neuen persönlichen Bestwert – und sind stolz darauf. Man ist dann schließlich so gut gewesen wie noch nie.

Matthias Pfeffer: Und wir wissen übrigens, dass wir den Dschungel in diesem Jahr noch nicht schlagen werden (lacht).

Diese Bescheidenheit (lacht) Aber wann wollen Sie sich denn messen lassen?

Claus Strunz: Kennen Sie irgendein Format, bei dem die allererste Sendung gleich die beste war? Mich interessiert bei der "Akte" zumindest nicht, was die anderen parallel zu uns machen. Also das Gegenprogramm. Wenn ich mich damit aufhalten würde, dann wäre ich wie Thomas Tuchel, der kürzlich die schlechtere Leistung seiner eigenen Mannschaft mit dem Satz "Aber die anderen spielen halt so hart und unfair" erklärt hat. Ich glaube an unsere Taktik und unser Vermögen. Das muss eben so gut sein, dass man sich nicht mit dem starken Gegenprogramm rausreden muss.

Matthias Pfeffer: Wir haben schon viele schöne Eisen im Feuer, ob davon schon alle in den ersten Wochen geschmiedet werden können - das wird man sehen. Investigativer Journalismus lässt sich nur bedingt planen. Aber wir wollen mit der "Akte" in 2017 erfolgreicher werden. Wir setzen darauf, dass die Quote der Qualität folgt. Wir wissen aber, dass wir da erst einmal in Vorleistung gehen müssen.

Meta Productions wollte immer mehr sein als nur "Akte". Wie soll sich Meta unter Ihrer Führung aufstellen, Herr Pfeffer?

Matthias Pfeffer: Die "Akte" ist das wichtigste Produkt bei uns im Haus und ich hoffe, dass sie das noch sehr lange sein wird. Sie ist schließlich auch das Gründungsprodukt dieser Firma. Wir glauben aber, dass es möglich ist, darum herum das ein oder andere zu bauen. Unser klassiches Revier war ja bisher Consumer and Crime oder auf deutsch: Verbraucher und Verbrecher. So machen wir die "Service-Akte" für Sat.1 Gold auch in 2017 - sogar in einem neuen Setting aber weiterhin mit Ulrich Meyer. Das wird eine tolle Weiterentwicklung. Für Kabel eins produzieren wir weiter "Achtung Abzocke" und "Die großen Kriminalfälle". Wir haben jetzt auch erstmals für RTL II produziert und sind mit weiteren Sender in Gesprächen. Aber die "Akte" wird immer absoluten Vorrang haben. Die Möglichkeit zu haben, 50x im Jahr journalistische Inhalte on air zu bringen, ist ein Geschenk. Ein Geschenk, das uns anspornt und verpflichtet.

Herr Pfeffer, Herr Strunz, herzlichen Dank für das Gespräch.