Die Risikoscheu der Sender gegenüber Formaten, die nicht schon in anderen Ländern erfolgreich gelaufen sind, ist das eine. Aber sind sie im Fall einer Beauftragung wenigstens bereit, die Arbeit der Produzenten angemessen zu budgetieren?

Ruff: Schön wär's. Die börsennotierten Sendergruppen lassen uns quasi pausenlos wissen, wie wahnsinnig erfolgreich sie sind. Da wird angesichts von Rekordgewinnen gejubelt und gejauchzt. Gleichzeitig muss ich mehr denn je über einen einzelnen Scheinwerfer mehr oder weniger debattieren. Bei steigendem Qualitätsanspruch wird der Produzent nach wie vor nach unten gedrückt. Unsere Ansprechpartner in den Sendern geben das auch zu und sagen: Wir wissen, dass es für euch Produzenten immer schwerer wird, Marge zu machen. Ich frage mich: Kommt der Tag, an dem ich Geld mitbringen muss, damit ich etwas produzieren darf?



Kühn: Zu dieser Schieflage gehört auch die Erwartungshaltung an die immensen Vorleistungen, die wir zu erbringen haben. Bei den Verhandlungen über ein neues Factual-Entertainment-Format habe ich kürzlich von einem Sender zu hören bekommen, das Casting sei doch Formatbestandteil, daher müsse ich es bitte vorab machen. Mit anderen Worten: unbezahlt und auf eigenes Risiko. Auch die Kalkulation von Pre-Production-Zeiträumen wird immer knapper, obwohl man genau weiß, dass man in Wahrheit mehr Vorbereitung braucht. Und wann sind mal die kalkulierbaren Gagen für Redakteure angepasst worden? Die sind doch seit mindestens zehn Jahren gleich geblieben.

Benthues: Immer mehr Berufsgruppen organisieren sich bekanntlich und fordern bessere Arbeitsbedingungen. Die Sender sehen das Thema aber weiter bei uns.

Und damit finden Sie sich dann ab?

Ruff: Ich finde mich grundsätzlich ungerne mit irgendetwas ab. Da müssen wir kämpfen. Und wenn die Sender nicht mehr zahlen wollen, dann müssen wir – wie bei fiktionalen Produktionen schon häufiger üblich – einen Rechte-Rückbehalt diskutieren.

Jamm: In das Thema ist nach all den Jahren endlich mal Bewegung gekommen. Die Hebel, die wir als Produzenten haben, um das magere Budget auszugleichen, sind vielfältiger geworden. Besonders bei RTL und ZDF hat man das verstanden und ist partnerschaftlicher geworden.

Die Video-on-Plattformen, die bisher vor allem für Serien standen, öffnen sich mehr und mehr auch anderen Genres. Welches Potenzial sehen Sie dort für Ihr Geschäft?

Ruff: Bis auf weiteres gilt: Ohne das Geschäft mit den klassischen Sendern könnten wir nicht existieren. Ich bin bei den neuen Plattformen noch skeptisch. Netflix ist sicher interessant, aber alles andere als ein Selbstläufer, wenn es um die Entwicklung von Nonfiction-Formaten geht. In Gesprächen mit Sky habe ich den Eindruck gewonnen, dass nonfiktionales Entertainment dort eher nicht als großes Zukunftsfeld gesehen wird.

Kühn: Auch wenn die kommerzielle Bedeutung für uns momentan noch nicht vorhanden sein mag, finde ich die Plattformen doch aus inhaltlicher Sicht spannend. Was mir bei Terminen mit Amazon und Netflix so gut gefällt, ist, dass du auf unheimlich euphorische, begeisterungsfähige Gesprächspartner triffst. Da sitzen dir Leute gegenüber, die nicht immerzu nach Gründen suchen, warum man etwas nicht machen sollte, sondern im Gegenteil wissen wollen: Wie kriegen wir's hin? Wir alle sind gefordert, uns eine andere Art von Unterhaltungsfernsehen für die Plattformen zu überlegen. Während die Sender uns eingetrichtert haben, dass wir möglichst "eventig" werden müssen, um den On-Demand-Plattformen Konkurrenz zu machen, suchen die Plattformen selbst vor allem nach repertoirefähigem Programm, das die nächsten zehn Jahre lang abgerufen werden soll. Wie toll wäre es für uns, wenn beides komplementär nebeneinander funktionieren würde.

Benthues: Ich glaube, die VoD-Plattformen verstärken insbesondere den Druck auf die kleineren Sender, sich in dieser riesigen Angebotsvielfalt wieder mehr mit Local Content zu positionieren, um in der Wahrnehmung der Zuschauer zu bestehen. Auch das bedeutet zusätzliche Chancen für uns.

Jamm: Noch spannender finde ich die Verschiebung des klassischen linearen Fernsehens ins Netz. Je mehr Programm online genutzt wird, desto höher ist auch der Bedarf an Add-ons zu unseren Formaten. Der "Bachelor" ist das beste Beispiel dafür, weil es derzeit weltweit umgebaut wird. In Japan läuft es bei Amazon, in Finnland auf der Web-TV-Plattform Ruutu. Auch für die linearen Sender, die ein solches Format ausstrahlen, wird der Stellenwert dieser Marke auf sämtlichen Plattformen immer größer. Wir sind diejenigen, die ihnen am besten dabei helfen können, inhaltlich und wirtschaftlich attraktive Verlängerungen zu schaffen. Da sehe ich sehr viel Potenzial und das nicht theoretisch in der Zukunft, sondern ganz praktisch und zeitnah.

DWDL Roundtable 1© Marc Walter/DWDL


Kühn (Foto): Darf ich mal eine Frage stellen, die mich seit längerer Zeit interessiert? In vielen Märkten spielen die Overnight-Ratings inzwischen keine Rolle mehr. In England werde ich ausgelacht, wenn ich zur Beurteilung nach den Quoten vom Vortag frage. Mal eine Frage an die Medienjournalisten: Was verhindert in Deutschland die Umstellung der Quotenmessung?

Thomas Lückerath: Die AGF. Fernsehen ist das einzige Medium, das sich seine Reichweitendaten teuer bezahlen lässt. Solange die Branche also selbst nicht den Sprung auf eine +3 oder +7-Quote mit nachträglicher Gewichtung macht, werden wir nicht doppelt für zweierlei Quotendaten zahlen. Wir haben stets versucht, Diskussionen anzuregen und haben zum Beispiel neue Zielgruppen-Daten veröffentlicht. Aber die Branche bewegt sich träge.

Torsten Zarges: Auf jeden Sender, der schlechte Quoten vom Vortag mit Verweis auf die zeitversetzte Nutzung relativiert, kommt ein Sender, der seine starke Quote vom Vorabend dann aber auch nicht erstmal gewichten lassen will, sondern sofort kommuniziert.

Lückerath: Sollte jedenfalls die Online-Nutzung nicht zügig endlich im Rahmen einer genutzten und ausgewiesenen Konvergenzwährung veröffentlich werden, wird es besonders für junge Formate und Sender doch beinahe geschäftsschädigend, weil die GfK-Messung an ihren Zielgruppen vorbei geht…

Ruff: Wenn man "Love Island" unter altmodischen Gesichtspunkten, sprich reinen On-Air-Quoten der GfK, bewerten würde, hätte man das vielleicht nicht in eine zweite Staffel geschickt. Da wäre die Performance ja bestenfalls okay gewesen. Aber die Online-Nutzung zu "Love Island" ging ja dermaßen durch die Decke und ich freue mich, dass ein Sender das in die Betrachtung mit einfließen lässt. So kann ein Programm immer noch ein Gamechanger für den Sender werden. Bleibt nur abzuwarten, wie sich die Monetarisierung von Reichweite im Netz entwickelt. Die Nuss ist leider noch nicht geknackt … weder für den Sender noch für uns.

Zum Abschluss noch eine Frage, die wir beim Edinburgh TV Festival entlehnt haben: "The worst TV I've ever made and everything it taught me". Also: Welche Sendung ist Ihnen so richtig danebengegangen und was haben Sie daraus gelernt?

Kühn: "Das Tier in mir", eine Shine-Produktion für RTL II, in der Prominente mehrere Tage lang wie ein Tier leben mussten. Leider haben es zu viele Zuschauer für Comedy gehalten, obwohl es eigentlich Reality sein sollte.

Ruff: Alle studiobasierten Sitcoms in meiner frühen RTL-Zeit – grauenhafte Adaptionen amerikanischer Vorbilder. Danach habe ich nie wieder mit Multicamera und Laughtrack gearbeitet.

Jamm: "Ich weiß, was du letzten Freitag getan hast!", eine Show bei RTL II, die wir von heute auf morgen aus dem Boden gestampft haben. Daraus habe ich zwei Dinge mitgenommen: nie wieder mit einem Moderator arbeiten, der sich eigentlich schon nach Mallorca verabschiedet hat, und nie wieder eine Show von heute auf morgen aus dem Boden stampfen.

Benthues: Bei mir war es als Unterhaltungschef von ProSieben die "Comeback"-Show. Von den zehn Altstars, die da im Studio standen, konnten die wenigsten noch ihre eigenen Songs singen. In der Anfangsphase von RedSeven war die zweite Staffel der "Alm", die wir gemeinsam mit Blue Eyes produziert haben, ein schlimmer Moment. Wir haben in zwei Wochen alles vom flüchtenden Cast bis zum abgebrannten Sendezentrum erlebt. Um ein Haar wäre uns die junge Firma um die Ohren geflogen.

Wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.