Frau Müller, in dieser Woche lief im Ersten Ihre Doku über die drei Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe, Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl. Sie haben die Drei über fünf Jahre hinweg begleitet, wie kam es zum ersten Kontakt?

Eva Müller: Als die Verbrechen des NSU 2011 öffentlich wurden, haben ich gemeinsam mit Anne Kathrin Thüringer und Matthias Deiß eine Doku über die Familien der Mordopfer gemacht ["Acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin - Die Opfer der Rechtsterroristen", Anm.]. Da konnten wir mit allen Familien sprechen, waren auch in der Türkei. So bin ich zu dem Thema gekommen und hatte danach auch schnell die Information, dass Wolfgang Heer Beate Zschäpe vertreten wird.

Hinzu kamen dann noch Stahl und Sturm. Warum haben Sie sich für einen Film über die Anwälte entschieden?

Ich fand das von Anfang an spannend, weil schnell klar war, dass die Drei keine Anwälte aus der rechten Szene sind. Sie machen das also nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus anderen Gründen. Ich hatte dann zunächst Kontakt mit Wolfgang Heer, mit dem ich mich zum Hintergrundgespräch getroffen hatte. Er kannte den früheren Film über die Familien der Opfer, so sind wir ins Gespräch gekommen. Er hat sich einige Wochen Zeit ausgebeten und dann zugesagt.

Wie schwer war es denn, die drei Anwälte von der Doku zu überzeugen? So ein Projekt ist ja durchaus ungewöhnlich und auch nicht ohne Risiko für die Akteure. Anwälte haben ein Verschwiegenheitspflicht und man sieht im Film auch immer sehr schön, wie lange sie vor ihren Antworten überlegen, was genau sie sagen (können).

Genau, sie haben immer aufgepasst. Aber sie wussten von Anfang an, dass der Film erst nach dem Prozess gesendet wird. Mit dieser Gewissheit konnten sie, denke ich, freier sprechen. Herr Stahl, Herr Heer und Frau Sturm haben immer wieder hinterfragt, ob ihre Teilnahme an diesem Film eine gute Idee ist. Zwischendurch haben wir auch Pausen eingelegt, weil sie nicht mehr wollten. Dann haben wir miteinander diskutiert und es ging doch weiter, das war ein ständiges Ringen, ein Prozess über Jahre hinweg. Wir mussten auch immer schauen, zu welchen Terminen genau ich hinzustoßen konnte. Mein Job ist natürlich, so nah und so aktuell wie möglich zu protokollieren, was geschieht. Ich war also am liebsten immer sofort an den Tagen da, an denen etwas passiert ist. Das war an dem ein oder anderen Punkt verständlicherweise auch für die Anwälte herausfordernd.

Die Anwälte haben also nur mitgemacht, weil Sie wussten, dass der Film erst nach der Urteilsverkündung gezeigt wird?

Ja, das war ein entscheidender Punkt. Aber natürlich macht es auch einen Unterschied, ob man einen 5-Minuten-Beitrag macht oder eine 45-minütige Doku, die es ja erst werden sollte. Später haben wir den Film auf 90 Minuten ausgedehnt. Da kann man natürlich sehr viel mehr in Ruhe sprechen und die Dinge ausführlich darlegen.

Heer, Stahl und Sturm© WDR/dpa/Peter Kneffel
Die Doku "Heer, Stahl und Sturm" begleitet die drei Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe.

Gab es rechtliche Bedenken? Seitens der Anwälte oder des Senders?

Wie gesagt: Das wichtigste war, dass die Doku nicht gesendet wird, bevor das Urteil gesprochen ist. Da wollten wir keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen. Und man sieht im Film auch sehr schön, dass es nicht um interne Mandatsgeheimnisse geht, der Film ist ein Porträt der drei Anwälte. Das war auch eine wichtige Grundlage. Die Doku sagt viel über das Recht zu Schweigen und die Grundprinzipien unseres Rechtsstaates aus.

Was war in den vergangenen fünf Jahren die größte Herausforderung?

Dass es ein Film über die drei ersten Verteidiger von Beate Zschäpe wird und die Doku trotzdem nicht die übergeht, die dieses Verfahren sehr stark betrifft und belastet: Die Familien der Opfer, die Betroffenen der Bombenanschläge, der Banküberfälle. Uns war es sehr wichtig, dass jedem Zuschauer am Ende deutlich wird, dass uns das bei allem Interesse für die drei Verteidiger bewusst ist. Dass die Familien auch im Film eine wichtige Rolle spielen, auch wenn der Fokus in diesem Fall auf jemand anderem liegt.

Was haben Sie während der Zeit über Anwälte gelernt?

Mir war vorher nicht so klar, dass es auch unter Anwälten Diskussionen darüber gibt, ob man jeden verteidigen sollte. Direkt zu Beginn des Verfahrens hatten sich einige Anwälte geäußert, dass sie Personen wie Beate Zschäpe nie verteidigen würden, andere arbeiten nicht für Kinderschänder oder andere Beschuldigte. Heer, Stahl und Sturm haben eine andere Berufsauffassung: Jeder Mensch, der Vorwürfen ausgesetzt ist, zunächst sind es ja nur Vorwürfe, hat das Recht auf eine Verteidigung. Ich fand es interessant zu beobachten, zu was diese schrecklichen Verbrechen des NSU geführt haben. Normalerweise gibt es das Recht zu Schweigen und eine Unschuldsvermutung. Nicht wenige haben mit dem Verweis auf die Monstrosität dieses Verbrechens argumentiert, dass das in diesem Verfahren anders ist. Um die Verbrechen aufzudecken, solle Beate Zschäpe aussagen. Da haben sich Politiker zu einigen Aussagen hinreißen lassen und es gab auch Presseberichte dazu, die "taz" hat getitelt "Rede endlich!". Das zeigt, wie sehr diese Verbrechen uns alle angegriffen haben und wie schwer es fällt, darauf zu reagieren.

Hatten Sie zwischendurch auch mal Angst, dass der Film scheitert?

Ja klar, andauernd. Es gab auch Zeiten, in denen ich zwei oder drei Wochen lang auf mein Handy gestarrt und mich gefragt habe, ob sie sich noch einmal melden. Das kann ich auch total verstehen: Wenn man in solchen Extremsituationen ist, will man nicht unbedingt auch noch die Journalistin dabei haben, die immer Fragen stellt. Zum Glück ging es dann immer weiter. Das ist der Vorteil bei einer Langzeitbeobachtung über fünf Jahre hinweg.

"Es gab auch Zeiten, in denen ich zwei oder drei Wochen lang auf mein Handy gestarrt und mich gefragt habe, ob sie sich noch einmal melden."
Eva Müller

Der Sender wusste auch, dass die Anwälte das Projekt immer abbrechen können und das die bisherige Arbeit dann umsonst ist?

Ja, das haben wir immer sehr offen kommuniziert.

Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Anwälte sind sehr schön in der Doku zu sehen. Stahl wirkt viel offener und antwortet auch mal aus dem Bauch heraus. Sturm und Heer haben oft lange überlegt, bevor sie geantwortet haben. Ist das auch Ihre Einschätzung?

Da will ich keine Einschätzung abgeben und verweise auf den Film: Dort kann man sich die Frage hoffentlich gut selbst beantworten. Grundsätzlich muss man natürlich festhalten, dass Heer, Stahl und Sturm nicht ein und dieselbe Person sind. Das sind drei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, die durch das Mandat in eine sehr extreme Situation gekommen sind. Das sieht man auch im Film.

Wie oft haben Sie in den vergangenen fünf Jahren mit den drei Anwälten gesprochen?

Das kann ich nicht redlich beantworten, ich weiß es einfach nicht. Es waren sehr viele Treffen.

War Ihnen von Anfang an die Tragweite bewusst?

Nein. Dass es nicht nur ein oder zwei Jahre dauert, wusste ich schon. Aber dass der Prozess nun fast sechs Jahre geht, inklusive dieser extremen Wendungen bei den Anwälten, das war mir natürlich vorher nicht klar.

Dramaturgisch ist das für Sie und die Doku ja ideal verlaufen.

Ja. Aber es fällt schwer, das bei solch schlimmen Verbrechen und einem solchen Verfahren so zu formulieren. Wir wussten schon, dass das ein spannendes Thema mit einer interessanten Ausgangslage war, aber natürlich gab es anfangs schon die Frage, ob das Thema überhaupt eine 45-minütige Doku trägt. Das hat sich über die Zeit hinweg entwickelt. Da muss ich mich auch beim WDR bedanken, der die Sendezeit dann ja noch einmal verdoppelt hat.

Etwas Verwirrung gab es rund um den Sendeplatz. Zunächst sollte die Doku um 23:45 Uhr laufen. Dann hieß es, der Start sei um 0:05 Uhr. Bei der Dauer von 90 Minuten hätte man dann ganz schön lange wach bleiben müssen. Dann war der Film doch schon um 22:35 Uhr zu sehen. Wie beurteilen Sie den Sendeplatz? Hätten Sie sich 20:15 Uhr gewünscht?

Ich habe mich gefreut, dass der Sendeplatz letztendlich doch noch um eineinhalb Stunden vorgezogen wurde und die Doku am Tag der Urteilsverkündung um 22:35 Uhr gelaufen ist. Der Film ist jetzt bei Youtube und in der Mediathek und das ganze ist ja auch etwas, das sich die Zuschauer vielleicht dann angucken wollen, wenn sie dafür die nötige Ruhe und Zeit haben. Den Sendeplatz im klassischen TV sehe ich mittlerweile entspannter. Ich denke, viele Zuschauer sehen sich das online an.

Wie viel Ihrer Zeit hat die Doku gefressen? Sie machen nebenbei auch noch docupy für den WDR, aber ich nehme an, dieser Film war ihr Hauptprojekt in den vergangenen fünf Jahren?

Tatsächlich war es ein Projekt von mehreren, es lief die ganze Zeit nebenher. Wir hatten über den gesamten Zeitraum hinweg eine große Konstanz: Mathias Werth, der heutige ARD-Korrespondent in Paris, ist trotz seines Wechsels nach Frankreich als Redakteur mit dabei geblieben. WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich hat sich immer für den Film eingesetzt, übrigens auch für die Ausdehnung auf 90 Minuten. Sie hat mich immer unterstützt, genauso wie der stellvertretende WDR-Chefredakteur Udo Grätz. Alleine kann man so ein Projekt ja gar nicht stemmen, Christa Ahrens war die ganze Zeit als Kamerafrau dabei und das hilft natürlich auch beiden Protagonisten. Wenn diese immer mit den selben Leuten zu tun haben, fühlen sie sich einfach wohler, als wenn da immer andere Personen auftauchen. Olaf Strecker war über fünf Jahre immer wieder im Schnitt und ist in Wahrheit der zweite Autor des Films. Es gibt einfach eine unglaubliche Ruhe, wenn man sechs Jahre lang mit den gleichen Menschen arbeitet. Sowas ist heutzutage sehr selten.

Sie fragen die drei Anwälte am Ende des Films, ob sie das Mandat noch einmal annehmen würden. Daher die Frage an Sie: Würden Sie die Doku nochmal machen?

Ja, auf jeden Fall. Das war zwar sehr anstrengend, aber es ist das Tolle an diesem Beruf, bei einem so wichtigen Prozess ein wenig hinter den Vorhang zu schauen.

Frau Müller, vielen Dank für das Gespräch. 

Die Doku "Heer, Stahl und Sturm - Die Zschäpe-Anwälte" ist in der ARD-Mediathek zu sehen.