Herr Bonny, ein Kritiker schrieb kürzlich, Sie stünden für "Anspruch bis an den Rand der Zumutbarkeit". Verstehen Sie das als Kompliment?

Ich hoffe mal, das war als Kompliment gemeint. (lacht) Aber ehrlich gesagt, finde ich, dass ich ausgesprochen unterhaltsame Filme mache. Wenn man einen "Tatort" oder "Polizeiruf 110" dreht, ist es schön, dass man ein großes Publikum erreicht, eine sehr breite, heterogene Zuschauerschaft. Man sollte sein Publikum nie unterschätzen und darf ihm auch etwas zumuten. Dabei geht's nicht nur um vermeintliche Härte, sondern vor allem auch um komplexe, vielschichtige Figuren. Das schließt aber keineswegs aus, dass es am Sonntagabend im besten Sinne immer auch um Unterhaltung geht. 

Sie würden sich also nicht um einen der maximal zwei "experimentellen" Sonntags-Krimis bewerben, die ARD-Programmdirektor Volker Herres künftig noch zulassen will?

Ich finde weder den kommenden "Polizeiruf" noch meine bisherigen Krimis experimentell. Die sind sogar ziemlich klassisch, nehmen ihr Genre und ihre Figuren ernst. Diese ganze Diskussion darüber, was nun ein Experimental-Krimi ist und was nicht, hat ein bisschen Sommerloch-Charakter.

Eine andere Diskussion tobt aktuell zwischen Autoren und Regisseuren. Die Autoren-Initiative "Kontrakt '18" will mehr Mitsprache durchsetzen und kritisiert die "Regiehörigkeit" im deutschen TV. Fühlen Sie sich angesprochen?

Ich finde die Debatte völlig in Ordnung, und sie findet ja nicht nur zwischen Autoren und Regisseuren statt. Es kann bei unserer Arbeit gar nicht genug Debatten und Konflikte geben, wenn sie am Ende dem Ziel dienen, bessere Filme zu machen. Aus Sicht von "Kontrakt '18" ist es legitim, erst einmal Maximalforderungen zu erheben. Kein Mensch zieht doch gleich mit einem Kompromissangebot in den Konflikt. "Regiehörigkeit" halte ich allerdings ein bisschen für einen Kampfbegriff. Grundsätzlich muss ich mir als Regisseur das Buch natürlich vor und während eines Drehs zu eigen machen, vor allem auch durch intensive Gespräche mit einem Autor, wenn ich das Buch nicht selbst verfasse. Regie führen und Schreiben sind ja gleichermaßen künstlerische Arbeitsprozesse. Ich bin zwar mitnichten der alleinige Urheber des Films, muss aber in der Lage sein, den Prozess der Herstellung mit einer solchen Überzeugung, Ernsthaftigkeit und Emotionalität voranzutreiben, dass sich dieser Spirit auf alle anderen Gewerke überträgt. 

Was heißt das für die Streitfrage, ob Autoren bei der Regie-Auswahl, bei Leseproben oder im Schnitt dabei sein sollten?

Ich hatte bisher immer das Glück, mit großartigen Autoren zusammenzuarbeiten, und hatte nie das Gefühl, dass wir in einer verbissenen Frontstellung aufeinandergeprallt wären.

"Jeder Film ist anders und hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Ich habe da noch keine Patentlösung erlebt, die sich dreimal wiederholen ließe"

Jan Bonny


Genau darum geht es "Kontrakt '18" aber – dass es eben nicht von der situativen Stimmung abhängt, sondern klar festgeschrieben wird.

Jeder Film ist anders und hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Manche fangen bei einem Regisseur an, andere bei einem Autor, wieder andere bei einem Produzenten oder einem Redakteur. Wo die Ideen herkommen und welche Zusammenarbeiten sich dann bilden, ist von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich. Ich habe da noch keine Patentlösung erlebt, die sich dreimal wiederholen ließe. Man sollte sich davor hüten, diesen Prozess mit allgemein verbindlichen Rezepten regeln zu wollen. Im Gegenteil: Man muss jedes Mal miteinander neue Konstellationen erarbeiten, die zum bestmöglichen kreativen Ergebnis führen. Aber jetzt muss die Diskussion erstmal geführt werden, gern offen und mit viel Einsatz von allen. Das wird noch sehr spannend, es werden ja im Zuge dessen alle möglichen Themen der Filmproduktion und der künstlerischen Freiheit berührt.

Sie lassen sich ohnehin nicht nur auf Film und TV festlegen, sondern drehen auch regelmäßig Werbespots (wie jüngst für Coca-Cola) oder Musikvideos (wie das von der btf produzierte "Boogieman" für Olli Schulz). Was reizt Sie daran?

Was ich daran so mag, ist das formal offene Feld mit unterschiedlichen Erzählweisen und ästhetischen Spielarten. Der klassische 90-Minüter ist bei uns doch immer in einer Schattierung von Realismus erzählt – mal nüchterner, mal gewagter, aber letztlich fast immer in einer Form von – ich nenne es mal – Fernsehrealismus. In der Werbung ist oft auch ein anderer Surrealismus möglich, eine andere Form von Humor oder formaler Offenheit. Außerdem sollte man der Ehrlichkeit halber erwähnen, dass Filmemacher auch Geld verdienen müssen.

Sind das für Sie getrennte Welten oder gibt es so etwas wie wechselseitige Inspiration?

Für mich bereichert es sich ganz klar gegenseitig, vor allem durch die Zusammenarbeit mit den künstlerischen Kollegen. Ein gutes Beispiel ist Benjamin Loeb, der Kameramann meines neuen Kinofilms "Wintermärchen", der am vorigen Wochenende Premiere in Locarno hatte. Ihn habe ich durch mehrere gemeinsame Werbespots, u.a. für die Telekom oder die Deutsche Kinderrheuma-Stiftung, kennen und schätzen gelernt. Ähnliches gilt für Ulrike Scharfschwerdt, die Kostümbildnerin, mit der ich den "Polizeiruf", "Wintermärchen" oder "Über Barbarossaplatz" gemacht habe. Wir haben auch Werbung zusammen gemacht, zum Beispiel für Audi. Die wiederum wurde von der btf produziert, mit der ich unter anderem das Musikvideo für Olli Schulz gedreht habe. Oder mein Lieblingsbeispiel: 2016 habe ich mit der Volksbühne Berlin gemeinsam mit meinem Freund Alex Wissel die satirische Webserie "Rheingold" produziert, in der eine fiktionalisierte Version von Jogi Löw auftaucht. Drei Wochen später habe ich dann eine Coca-Cola-Werbung mit der Nationalmannschaft und dem echten Jogi Löw gedreht. Solche Verquickungen gefallen mir natürlich.

Herr Bonny, herzlichen Dank für das Gespräch.

Der "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit", produziert von X Filme für den BR, läuft am Sonntag, 19. August um 20:15 Uhr im Ersten.

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