Wie kommuniziert man bei so einer intensiven Abstimmung mit dem anderen Ende der Welt?
 
Matthias Murmann: Videokonferenzen! Die Serie ist sozusagen in Google Hangouts entstanden. Die Zeitverschiebung hat alle viele Nerven gekostet, weil entweder die Netflix-Kollegen super früh aufstehen mussten oder wir spätabends noch gearbeitet haben. Das klappte aber im Verlauf immer besser, so dass nicht zu viel Zeit vergeudet wurde.
 
Philipp Käßbohrer: Also wenn ich eins bei dem Projekt gelernt habe, dann ist es englisch.
 
Matthias Murmann: Das klingt so als könnten wir kein Englisch, aber es ist definitiv nochmal was anderes im Detail über die Motivation einer Serienfigur zu sprechen als Small-Talk zu betreiben. Da mussten wir erstmal reinkommen.


 
Bleiben wir nochmal kurz ganz pragmatisch: Wie war das denn mit den Drehbüchern?
 
Matthias Murmann: Die Drehbücher wurden auf Deutsch geschrieben und dann ins Englische übersetzt. Die englische Fassung haben wir dann inhaltlich gecheckt, bevor wir sie nach Los Angeles rübergeschickt haben. Änderungen wurden dann auf Englisch besprochen und geschrieben wurde dann wieder auf Deutsch, bis es dann wieder ins Englische übersetzt wurde. Verstanden? Wir auch nicht…
 
Die Geschichte der Serie ist angeblich „inspiriert von wahren Begebenheiten.“ So, wer von Ihnen hat also von zuhause aus mit Drogen gedealt?
 
Matthias Murmann: Basis war damals, 2015, ein Vice-Interview mit einem Typ aus Leipzig, der sich Shiny Flakes nannte und übers Netz Drogen verkaufte. Das fanden wir sehr interessant, weil es eben nicht der typische Pablo Escobar Drogenboss war, sondern einfach nur ein ganz normaler Typ.
 
Philipp Käßbohrer: Genau, im Interview sprach er immer von seinem Versand- und Supportteam. Das klang alles total nach “Start-Up”. Es gab einen professionellen Amazon artigen Online-Shop inklusive Kundenbewertungen. Allein diese zu lesen war ein großer Spaß. Noch besser: Nachdem man etwas in den Warenkorb gelegt hatte, kam tatsächlich das altbekannte „Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch…“ Es war alles seriös aufgezogen, sah aus wie bei vielen anderen Startups, nur halt mit Drogen. Als Shiny Flakes später dann gefasst wurde, kam raus, dass es kein Team gab und er alles allein aus seinem Kinderzimmer gemacht hat. Da war klar: Die Prämisse ist großartig, aber die Originalgeschichte allein ist zu wenig für eine Serie. Wir haben dann also den Internet-Kinderzimmer-Drogenhandel als Basis genommen und eine ganz neue und eigenständige Geschichte entwickelt.
 
Die wird oft non-verbal über eingeblendete Chat-Kommunikation erzählt, was die Serie sehr prägt…
 
Philipp Käßbohrer: Es war relativ früh klar, dass ein Großteil der Kommunikation übers Bild laufen würde, non-verbal, weil wir die Welt junger Menschen sonst nicht glaubhaft darstellen können. Das ist ja ein Kern der ganzen Geschichte: Die non-verbale Kommunikation ermöglicht es unserer Hauptfigur so konsequent im Netz vorgeben, jemand völlig anderes zu sein. Die Stimme verrät zu viel und Telefonate bedürfen spontaner Reaktionen. Non-verbal bleibt Zeit und Gelegenheit sich zu verstellen. Auf Instagram haben ja auch alle ein richtig geiles Leben.
 
Matthias Murmann: Die Serie ist ein Portrait der Generation Z, die ihre online Persönlichkeiten sehr bedacht zu steuern vermag und dadurch immer wieder im Konflikt zwischen virtuellem und realem Ich steht. Und das auf diversen Kanälen gleichzeitig. Heutige Kommunikation ist hektisch und schnell - so wie das Internet selbst – das wollten wir visualisieren. Stichwort: Mixed Media. Das macht viel Arbeit, ist aber auch etwas ganz Besonderes und wir hatten großen Spaß dabei. Es gibt wilde Erklärsequenzen über Ecstasy oder das Darknet. Und für Zuschauer, die sich mit MDMA bereits auskennen, wird der bekannte “Skip”-Button eingeblendet, um die Erklärung zu überspringen.

"Es geht gerade erst richtig los."
Philipp Käßbohrer

Ach, das ist nicht nur ein angedeuteter Gag sondern funktioniert wirklich?

Matthias Murmann: Ja, den haben wir einfach mal so ins Drehbuch geschrieben. Als Netflix dann irgendwann gemerkt hat, dass das unser Ernst ist, mussten wir ein bisschen dafür kämpfen. Jetzt gibt es ihn. Wir feiern das sehr.
 
Philipp Käßbohrer: Wir sind einfach gerne selbstreferenziell. Das merkt man schon zu Beginn der Pilotfolge, wenn unsere Hauptfigur sich bewusst ist, dass der Zuschauer eine Netflix-Serie sieht. Willkommen im Informationszeitalter. Mir kann keiner erzählen, dass ein Typ, der 2019 übers Netz Drogen vertickt, nicht schon mal kurz darüber nachgedacht hat, ob Netflix vielleicht irgendwann mal eine Serie über ihn dreht.
 
Sie haben beide Film studiert und sind dann, wie Sie vorhin sagten, in die Fernsehunterhaltung gestolpert. Ist das als erste fiktionale Produktion der btf also auch ein persönliches Herzensprojekt? Ein kleiner Reset-Button gedrückt?
 
Philipp Käßbohrer: Unsere Rolle bei dem Projekt ist nicht so wahnsinnig anders als bei anderen btf-Produktionen. Aber grundsätzlich mögen wir neue Herausforderungen und es war definitiv eine echte Herausforderung. Aber eben auch genau das, was wir schon immer mal machen wollten.
 
Bei einigen Visualisierungen merkt man schließlich sehr deutlich die Handschrift der btf, die man auch aus z.B. dem „Neo Magazin Royale“ kennt.
 
Matthias Murmann: Ich finde es toll, wenn gesagt wird, wir hätten eine eigene Handschrift. Das liegt daran, dass an den Schlüsselpositionen schon immer die gleichen Leute sitzen. Die sehr aufwändige Postproduktion der Serie hat natürlich externe Verstärkung gebraucht, aber unser inhouse Team hat den Style definiert.
 
Ist die Geschichte denn mit dieser nur sechsteiligen Staffel von halbstündigen Folgen beendet?
 
Philipp Käßbohrer: Ich hoffe nicht. Es geht ja gerade erst richtig los.
 
Also könnte es weitergehen. Wie sieht es mit weiteren fiktionalen Projekten aus? Blut geleckt?
 
Matthias Murmann: Also zu viele fiktionale Stoffe wollen wir neben all den anderen Projekten nicht machen. Dann könnten wir uns persönlich und mit unserem Kernteam nicht mehr so reinhängen wie es bisher der Fall ist. Das wäre nicht mehr die btf, das würde schief gehen. Aber natürlich sind wir persönlich auch schon jetzt nicht mehr das Nadelöhr bei allen Projekten. Wir haben großartige Teams geschaffen, die sehr eigenständig agieren und tolle Projekte umsetzen.
 
Philipp Käßbohrer: Wir wollen unsere Projekte sorgfältig machen und so immer besser werden. Die erste Staffel „How to sell drugs online (fast)“ war eine sehr lehrreiche und tolle Erfahrung und wir würden uns freuen, wenn Netflix sagt: Macht weiter!
 
Herr Murmann, Herr Käßbohrer, lieben Dank für das Gespräch.