Herr Fuhst, nach dreieinhalb Jahren verlassen Sie Phoenix. Was hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin Eva Lindenau: Eine Baustelle oder ein bestelltes Haus?

Wir haben Phoenix in den vergangenen Jahren intern und durch den Relaunch nach außen sichtbar umgebaut. Heutzutage kann kein Medienhaus jemals fertig gestellt sein, weil es eine ständige Weiterentwicklung von Struktur, Angebot und Marke braucht. Deswegen wäre es vermessen zu sagen, ich hinterlasse ein bestelltes Haus. Wichtiger aber, gerade bei Phoenix, die inhaltlichen Veränderungen: Wir haben unsere Europa-Berichterstattung ausgebaut, um verlässlich und ständig über Europa zu berichten, und nicht nur dann, wenn Europa aus deutscher Sicht mal wichtig ist. Das ging einher mit dem Brexit. Wir haben noch nie so viele Sitzungen des britischen Unterhauses übertragen.

Freut man sich über das Interesse an den lebhaften Debatten im britischen Unterhaus oder sorgt es einen, dass Debatten im Bundestag nicht mit gleichem Interesse verfolgt werden?

Was in Großbritannien passiert, ist für uns gleichzeitig interessant, aber auch belastend. Für den Journalismus einerseits ist das spannend und ja, es würden natürlich mehr Zuschauer beim Bundestag zuschauen, wenn es dort Debatten gäbe wie im britischen Unterhaus. Andererseits kann man sich als Bürger aber auch glücklich schätzen, wenn die Zukunft des eigenen Landes nicht in dieser Schärfe debattiert wird. Im Bundestag sind - für deutsche Verhältnisse - aber durchaus Entwicklungen zum lebhafteren Austausch zu beobachten, etwa bei der Fragestunde an die Bundesregierung, die wir bei Phoenix übertragen.


Wir sind in unserer Medien-Demokratie mittlerweile gewöhnt, alles in Talkshows zu erörtern. Hat der Einzug der AfD in den Bundestag und damit die teilweise Verlagerung von politischen Debatten zurück ins Parlament, wo sie hingehören, aber in Zeiten der großen Koalition mitunter eingeschlafen sind, einen Anteil daran?

Die Auftritte der AfD haben sich schnell als Effekt entpuppt. Die Partei macht sich oft selbst zum Thema und versucht damit für Aufsehen zu sorgen. Die Debatten im Bundestag haben sich seit der letzten Wahl verändert, sind schärfer geworden. Außerdem gibt es eine grundverschiedene Opposition mit zwei neuen Fraktionen, welche die Bundesregierung mehr fordert als in den Jahren zuvor. Die Debatten in den Talkshows haben deswegen aber nicht abgenommen.

Michel Friedman hat vergangene Woche im DWDL.de-Interview gesagt, es gebe eigentlich noch zu wenig Politik im deutschen Fernsehen. Teilen Sie - angesichts der Vielzahl von Polittalks - diese Wahrnehmung?

Ich habe es gelesen und sehe es genauso. Es ist zwar richtig, dass die eigentliche politische Debatte im Parlament geführt werden muss, nur die Debatten dort werden ja nicht besser, wenn es weniger Polittalks gäbe. Eine Rede zu halten, die Aufmerksamkeit erregt, ist eine Kunst und gelingt immer wieder. Dann gehen Videos auch im Netz viral. Politik muss aber nicht nur durch Politiker formuliert sein, sondern genauso durch Experten und den Mann oder die Frau von der Straße. Davon kann es gerne mehr im deutschen Fernsehen geben.

Worauf sind Sie rückblickend nach dreieinhalb Jahren, knapp zwei davon an der Spitze von Phoenix, besonders stolz?

Ich wollte bei Phoenix "ermöglichen". Es ging nicht darum, selbst die besten Ideen zu haben, sondern ein Team mitzunehmen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der wir die klügsten Gedanken der kreativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sammeln können, um diese möglich zu machen. So wie wir den Podcast von Phoenix eingeführt, die Marke Phoenix digital auf den Weg gebracht, und uns geöffnet haben im Expertenkreis: Wir haben generell mehr Frauen, Youtuber und durch alle Altersgruppen hinweg Persönlichkeiten neu auf den Schirm gebracht. Das bereichert inhaltlich und hilft bei der Außenwirkung von Phoenix als zeitgemäßer Debatten-Plattform.

Auch wenn sich Phoenix öffnet, ist der Sender - wie auch Tagesschau24 - kein Nachrichtensender im klassischen Sinne, was bei Breaking-News-Situationen regelmäßig zu Irritationen führt. Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, einen klassischen öffentlich-rechtlichen Nachrichtsender zu haben?

Zunächst einmal zu den beiden Sendern: Die Tage, an denen Phoenix und Tagesschau24 Ähnlichkeiten haben in den Abläufen, sind selten. Das sind außergewöhnliche Nachrichtenlagen, in denen dann auch Das Erste und das ZDF on air sind. Wenn man genau hinschaut, dann ist Phoenix der Sender für die langen Live-Übertragungen des Politischen und die Einordnung dessen. Tagesschau24 ist wiederum ein sich wiederholendes Angebot der kompakten Nachrichten im "Tagesschau"-Stil, beides ganz effizient produziert. Sie sind in der Tat keine klassischen Nachrichtensender nach zum Beispiel internationalem Vorbild. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Nicht alles Wünschenswerte lässt sich medienpolitisch realisieren. Erst einmal arbeiten wir daran, die bestehenden Angebote weiterzuentwickeln.

ProSiebenSat.1-Vorstandschef Max Conze spielt mit dem Gedanken eines weiteren kommerziellen Nachrichtensenders in Deutschland. Sehen Sie dafür Platz im Markt?

Die Zahl der Nachrichtensender im linearen deutschen Fernsehen ist übersichtlich, wobei man auch sagen kann: Über weite Strecken sind das keine Nachrichtensender, wenn sie über zehn Stunden täglich Dokumentationen und Dokusoaps senden. Als Nachrichtenjunkie und interessierter Bürger begrüße ich natürlich jedes neue, gut gemachte journalistische Angebot. Ob ein weiterer Sender kommerziell erfolgreich sein kann? Ein Handgalopp würde es jedenfalls nicht.

In anderen Märkten besteht Nachrichtenfernsehen zu einem großen Teil auch aus Personality-Shows mit starken Meinungen. Das hat sich in Deutschland nie durchgesetzt. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Ich finde es wichtig, dass wir eine klare Auffassung davon haben, was Nachrichten sind und was ein Kommentar ist. Wir sollten nicht den Fehler anderer Märkte machen, etwas als Journalismus zu bezeichnen, was reine Meinungsmache ist. Ich konnte in den USA länger miterleben, was das mit dem öffentlichen Diskurs macht, wenn Sender 24/7 Meinungen verbreiten, aber sich News nennen. Meinungen können eine Debattenkultur fördern, das Beispiel in den USA zeigt allerdings, dass es ohne Spielregeln zu einer verbitterten Polarisierung führt, wenn Sender keine Binnenvielfalt sicherstellen.

"Wir sollten nicht den Fehler anderer Märkte machen, etwas als Journalismus zu bezeichnen, was reine Meinungsmache ist."
Helge Fuhst

Ich würde aber sagen: Mitunter polarisiert auch das, was man eigentlich unter Journalismus versteht, in Deutschland sehr deutlich. Oder nicht?

Es gibt Negativbeispiele, wobei guter Journalismus auch Zuspitzung beinhalten kann. Worum es nicht geht, ist eine Polarisierung, sondern eine Zuspitzung, um manchen komplexen Sachverhalt auf den Punkt zu bringen.

Der Kommentar in den "Tagesthemen" ist klar als solcher gekennzeichnet, wird sogar an- und abmoderiert. Dennoch erschreckt mich immer wieder fehlende Medienkompetenz, wenn dort der Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar nicht verstanden wird…

Selbst die klare Trennung in den "Tagesthemen" ist keine Garantie dafür, dass ein solcher Unterschied immer verstanden wird. Wir müssen daher Journalismus immer wieder erklären. In der heutigen Zeit mehr denn je brauchen wir ein Schulfach Medienkunde. Außerdem hilft der Dialog. Besuchergruppen, denen wir unsere Redaktion und Abläufe zeigen, können unsere Arbeit besser nachvollziehen.

Diese Aufgabe hat bei ARD-Aktuell ja auch der "Tagesschau"-Blog übernommen, der Hintergründe erläutern soll. Wollen Sie den zusammen mit Marcus Bornheim fortführen?

Wir werden den "Tagesschau"-Blog sicherlich weiterführen und weiterentwickeln. Und darüber hinaus fallen uns hoffentlich noch weitere Ideen ein, wie wir Hintergründe und Sachverhalte modern und noch transparenter darstellen können. Viele Menschen, die kritisch oder misstrauisch sind, wollen unsere Nachrichtenauswahl einfach erklärt bekommen.

Noch eine Frage zu Phoenix vor dem Hintergrund einerseits klimapolitischer Diskussionen und andererseits Effizienz: Der Sender sitzt zur Hälfte in Bonn, zur Hälfte in Berlin. Macht das wirklich Sinn?

Zunächst einmal: Bei Phoenix muss niemand wöchentlich zwischen Berlin und Bonn pendeln. Klar, hin und wieder mal, jedoch nur wenige Kollegen. Aber wir haben klar verortete Aufgaben. Wir haben unser Team für die Bundespolitik in Berlin im Haus des ARD-Hauptstadtstudios. Alle anderen Bereiche, die Doku-Redaktion, die Produktion, die Finanzen etc. arbeiten in Bonn, einer sehr lebenswerten Stadt. Hier zu sein erdet. Auch mein Büro, das den Charme der Bonner Republik hatte. Und wie oft wird kritisch darüber gesprochen, dass die Hauptstadt-Journalisten in ihrer eigenen Filterblase leben? Da tut es Phoenix gut, ein Standbein in Bonn zu haben, und ARD-aktuell mit der "Tagesschau" in Hamburg beheimatet zu sein. Das nutzt den Föderalismus der ARD sehr gut.

Letzte Frage: Wenn Phoenix mir laut Sender-Claim "Das ganze Bild" vermitteln will, was vermittelt mir dann ARD-Aktuell in "Tagesschau" und "Tagesthemen"?

(lacht) Den Anspruch des ganzen Bildes nehme ich mit nach Hamburg. Das ist zwar seit über zwanzig Jahren der Claim von Phoenix, aber für mich elementarer Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in jeder Hinsicht: Wir müssen alle Themen im Blick haben, nicht nur die gerade lautesten und niemals die Regionen vergessen, nah den Menschen vor Ort sein. Wir werden von allen Bürgerinnen und Bürgern finanziert, dann müssen sich auch alle Themen, die die Menschen beschäftigen, wiederfinden.

Herr Fuhst, herzlichen Dank für das Gespräch.