Wie kann die ARD außerhalb des linearen Programms noch attraktiver werden für seine Zuschauer? 

Der Hörfunk hat das Video schon vor vielen Jahren entdeckt. "Visual radio" war ein Weg, um als Radiomacherin und Radiomacher Videos für die Online-Nutzung herzustellen. Inzwischen gibt es die umgekehrte Entwicklung von Seiten des Fernsehens. Mit Audible TV versuchen wir, Fernsehinhalte für die Audiowelt nutzbar zu machen. Ein Beispiel: Es gibt seit einiger Zeit den großen Trend zu Podcasts. Dazu will das Fernsehen ein Angebot machen: Dafür werden wir unser hochwertig produziertes fiktionales Programm in Podcasts verwandeln.

Was heißt das konkret?

Den kommenden "Polizeiruf 110: Dunkler Zwilling" gibt es erstmals auch als Hörfassung in der ARD Audiothek. Durch die TV-Produktion haben wir schon die drei wichtigsten Dinge, die man auch für ein gutes Hörerlebnis braucht: exzellente Schauspieler, Geräusche an Originalschauplätzen und stimmungsvolle, speziell komponierte Musik. Das, was uns bislang noch gefehlt hat, ist, dass eine Sprecherin oder ein Sprecher das alles miteinander verbindet und die Emotionen beschreibt, die man im Fernsehen erlebt.

Wie sind Sie darauf gekommen, aus dem "Polizeiruf" und dem "Tatort" auch einen Podcast zu machen?

Das war eigentlich ein technisches Versehen. Ich habe mal versehentlich einen "Tatort" mit Audiodeskription gesehen. Ich mutmaßte zunächst ein neues "Tatort"-Experiment. Alle Bilder wurden mir von einem großartigen Sprecher beschrieben. Das war faszinierend. Ich hatte das Gefühl, alles direkt vor meinem geistigen Auge zu sehen. Ich hätte fast kein Bild mehr gebraucht. Den Fachleuten der Audiodeskription gelingt es wirklich, komplexe Bilderwelten für Menschen mit Sehbehinderungen zu erschaffen. Wir mussten aber auch feststellen, 1:1 kann man das nicht als Podcast umsetzen. Wir brauchten die Unterstützung der Hörfunkkolleginnen und -kollegen.

Sie klingen sehr euphorisch.

Das bin ich durchaus. Das Ergebnis ist wirklich toll geworden. Ein echtes Hörerlebnis. Bislang ist es nur ein Experiment. Der NDR wird es mit dem Audio-"Tatort" fortsetzen. Wenn es von Hörerinnen und Hörern angenommen wird, dann ließen sich mit geringerem Aufwand hochwertigste Podcasts herstellen. Die Produktion ist extrem günstig, weil bereits so gut wie alle Inhalte vorliegen. Funktioniert unsere Idee, könnten wir einen Trend setzen. Ich hoffe, dass auch unsere Zuschauerinnen und Zuschauer begeistert sein werden, wenn sie künftig einen "Tatort" oder einen "Polizeiruf 110" zum Beispiel auf einer Autofahrt nachhören können.

"Das ist wieder ein kleiner Meilenstein in der Zusammenarbeit zwischen Hörfunk und Fernsehen. Und die aktuelle Berichterstattung – insbesondere bei tagesschau24 - wird davon profitieren."

Wie kann man Radio und TV darüber hinaus noch enger verzahnen?

Wir haben im Rahmen von Audible TV ein spannendes Experiment im Bereich der Information gemacht, das bald in den Regelbetrieb gehen soll. Anlass waren die Ereignisse rund um den Brand von Notre Dame. Fernsehkorrespondentinnen und -korrespondenten brauchen in Breaking-News-Situationen Zeit, um Bildbeiträge zu produzieren. Die Kolleginnen und Kollegen beim Hörfunk sind schneller, weil sie nur Ton brauchen. Wir haben deshalb ausprobiert, die Hörfunk-Korrespondentinnen und Korrespondenten mit ihren Original-Radio-Stücken in der Tagesschau, einem "Brennpunkt" oder bei tagesschau24 zu senden. Das war erhellend, weil die Reporterinnen und Reporter vom Radio in ihren Berichten beschreiben, was sie sehen. Sie ergänzen das Geschehen mit ihren visuellen Eindrücken. Wenn man im TV dazu ein Foto der Korrespondentin oder des Korrespondenten oder ein Livebild des Ereignisses zeigt, dann ist das authentisch und – darum geht es vor allem – informativ. Für das Fernsehen erschließen wir durch die Übernahme der Radioberichte die Kraft von 60 Hörfunkkorrespondentinnen und -korrespondenten der ARD weltweit. Zusätzlich können wir durch diese Herangehensweise rund 30 Minuten im Breaking-News-Fall gewinnen. So wäre es jedenfalls bei Notre Dame gewesen.

Das heißt, die ARD steigt jetzt ins Rennen um die schnellsten Nachrichten mit ein?

Nein. Es geht nicht darum, am schnellsten zu sein. Die sozialen Netzwerke sind zumeist schneller, aber eben nicht immer richtig. Uns geht es vor allem darum, richtig zu sein und dann, so schnell wie möglich. Sie werden künftig also häufiger Radio-Berichte im Fernsehen hören, die aktuelle Themen beleuchten. Das Wichtigste dabei ist: Es gibt keine Mehraufwendungen. Wir nutzen das, was ohnehin schon produziert und vorhanden ist. Wir werden schneller, ohne die Hörfunk-Kolleginnen und -kollegen zu belasten.

Und jetzt müssen die Fernsehkorrespondenten Angst um ihre Jobs haben?

Nein, im Gegenteil. In Breaking-News-Situationen haben die Reporterinnen und Reporter kaum Zeit, um Luft zu holen. Für alle wird es künftig etwas einfacher, wenn wir auf die Berichte des Hörfunks zugreifen können. Und natürlich werden die Fernsehkolleginnen und -kollegen auch weiterhin eigene Stücke produzieren, man bekommt so Informationen auch aus zwei, vielleicht sogar leicht unterschiedlichen Perspektiven. Das verschafft unseren Zuschauerinnen und Zuschauern ein differenzierteres Bild über die Lage. Das ist wieder ein kleiner Meilenstein in der Zusammenarbeit zwischen Hörfunk und Fernsehen. Und die aktuelle Berichterstattung – insbesondere bei tagesschau24 - wird davon profitieren.

Herr Beckmann, vielen Dank für das Gespräch!