Herr Bickel, beim ZDF haben Sie eine große Bandbreite abgedeckt, von "Blind Date" über "Ella Schön" bis hin zu "Unsere Mütter, unsere Väter". Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit?

Ich nehme die Leidenschaft mit, für ein breites Publikum zu erzählen. Es geht nicht darum, mit jedem Programm alle zu erreichen, aber in der Bandbreite dessen, was wir als Öffentlich-Rechtliche anbieten, doch einen möglichst großen Teil der Beitragszahler. Und zwar mit einem Angebot, von dem wir selbstbewusst sagen können, dass es das beste ist, das wir machen können.

Hinter Ihrer neuen Redaktion liegt ein turbulentes Jahr, allen voran durch die Ereignisse um Ihren Vorgänger Gebhard Henke. Was war Ihre erste Aufgabe beim WDR?

Meine erste Aufgabe war und ist es, Gespräche mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen, aber auch mit all jenen, die für uns Programm machen. Da geht es darum, auch zwischen den Zeilen zu lesen und zu spüren, wo der Schuh drückt. Das wäre aber auch so gewesen, hätte es dieses Jahr, von dem Sie sprechen, nicht gegeben. Abgesehen davon haben zwei Kolleginnen und ein Kollege zusammen mit Jörg Schönenborn in dieser längeren Interimszeit zu einer guten kommissarischen Leitung gefunden. Das hat sehr geholfen.

Für Sie ist es eine Art Rückkehr, auch wenn es knapp 20 Jahre her ist, dass Sie schon einmal für den WDR gearbeitet haben. Wie hat sich der Fiction-Markt in Deutschland seither verändert?

Ich scheue mich ein wenig davor, von einer Rückkehr zu sprechen; ich war damals ja als freier Lektor tätig und nur einmal die Woche im Haus. Aber wenn Sie die Frage auf den Fernsehmarkt insgesamt münzen, dann habe ich die Arbeit des WDR damals vor allem über seine Kinokoproduktionen wahrgenommen. Die Serie hat nicht diese Rolle gespielt, die sie heute spielt – und auch der Fernsehfilm besaß einen anderen Stellenwert. Da hat sich viel geändert. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns heute fragen, wo die Stellschrauben sind, auf die wir schauen müssen. Die Serie, der Fernsehfilm und der Kinofilm stehen alle drei im Namen meines Programmbereichs. Dieses Portfolio so zu bespielen, dass unser Engagement auf einem Feld den anderen hilft, ist für mich Reiz und Herausforderung zugleich.

Dann gehen wir es doch nach und nach durch. Wo steht der Fernsehfilm heute?

Lassen Sie uns den Fernsehfilm nicht totschreiben. Der Fernsehfilm war im internationalen Vergleich hierzulande immer atypisch stark. Ich bin selbst ein großer Anhänger guter Fernsehfilme. Für Zuschauer ist es doch sehr erfreulich, eine Geschichte zur Abwechslung auch mal in 90 Minuten zu Ende erzählt zu bekommen. Ich sehe aber für uns alle die Aufgabe, diesen ursprünglichen Reiz einer verdichteten Erzählung für das neue, non-lineare Zeitalter wiederzubeleben und weiterzuentwickeln.

Alexander Bickel und Alexander Krei

WDR-Fernsehfilmchef Alexander Bickel im Gespräch mit DWDL.de-Redakteur Alexander Krei

Was meinen Sie damit?

Wir haben es heute ja mit einem anderen Publikum zu tun, mit anderen Sehbedürfnissen. Wie verkaufen wir jungen Menschen, die ARD und ZDF im Zweifel gar nicht mehr auf dem Zettel haben, die Idee, dass 90 Minuten fiktionales Programm nichts Dummes sind? Da geht es sehr stark um Erzählweisen. Ich glaube, dass wir uns diesbezüglich etwas von den Serien abschauen müssen – wenn es beispielsweise darum geht, eine Geschichte lustvoll oder über die Figuren und die Visualität zu erzählen. Gerade bei den Filmen am Mittwoch passiert die Vermittlung traditionell doch sehr häufig über Themen und Dialoge.

Der Mittwochsfilm ist in der ARD allerdings heilig.

Er ist sehr verdienstvoll, aber nicht so heilig, dass wir ihn in einen Schrein stellen müssen und nicht anfassen dürfen. Im Gegenteil, wir sollten sehr ernst nehmen, was die Ausgangsidee des Fernsehfilms war, nämlich aus der Not des formatierten Erzählens und der Schemazeiten eine Tugend zu machen – also in 90 Minuten eine Geschichte zu Ende zu erzählen, so kunstfertig und unterhaltsam wie nur irgend möglich.

Ist dieses starre Programmschema nicht ein Problem? Mancher Film wäre vielleicht schon nach 85 Minuten zu Ende erzählt, ein anderer benötigt etwas mehr Zeit.

Wir brechen ja auch immer wieder aus dem Schema aus. Allerdings haben wir es im linearen Fernsehen mit gewissen Grenzen zu tun, die es in dieser Form im Non-Linearen nicht mehr gibt. Wenn wir von der Mediathek ausgehen, ist es ganz selbstverständlich, dass sich das Gefäß dem Erzählinhalt stärker anpasst als bisher. Ich nenne das den Mittwochsfilm XL. Das kann ein Mehrteiler oder auch eine Reihe sein, aber eben auch ein Einzelstück. Es geht darum, zu einer anderen Perspektive zu finden zwischen dem, was wir erzählen wollen und dem, wie wir erzählen wollen. Diese Freiheit gewinnen wir im Non-Linearen und wir sollten uns fragen, wie wir diese möglichst effektiv nutzen können.

Frank Beckmann hat kürzlich angekündigt, dass die ARD künftig auch Formate rein für die Mediathek entwickeln will. Inwiefern ist der WDR daran beteiligt?

Da sind alle dabei, auch wir – und zwar unserer Größe in der ARD entsprechend. Der Weg muss dahingehen, dass Jahr für Jahr mehr Mittel in Richtung des non-linearen Fernsehens wandern, Geld, das aus dem vorhandenen Programm erwirtschaftet wird. Wir müssen dafür gemeinsam mit Produzenten an Strukturen und Prozessen arbeiten, die uns helfen, die Programme bezahlbar zu halten – freilich ohne den Preis zu drücken. Wichtig ist, mit einem starken Aufschlag die Aufmerksamkeit zu erhalten, die die ARD verdient.