Frau Schön, der kleine RBB verantwortet mit dem "ARD-Mittagsmagazin" seit knapp zwei Jahren ein großes Projekt. Was bedeutet die Sendung für den RBB?

Bislang hat der RBB vor allem regional und national gearbeitet. Durch die internationalen Themen des "Mittagsmagazins" binden wir jetzt gewissermaßen die Welt in den RBB ein. Gleichzeitig ist es für ein tagesaktuelles Magazin wie unseres großartig, wenn man in die Hauptstadt gehen und näher an das politische Geschehen heranrücken kann. Daneben sind wir aber auch sehr fordernd, etwa hinsichtlich der Infrastruktur im Haus. Gerade mit Blick auf das neue Medienhaus, dessen Kern ein großer Newsroom sein wird, können wir ein guter Treiber sein.



Das "Mittagsmagazin" ist vor 30 Jahren gestartet, wenige Wochen vor dem Mauerfall. Inwiefern hat dieses historische Ereignis das "Mittagsmagazin" vielleicht ein Stück weit geprägt?

Die Ursprungsidee war keine inhaltliche, sondern eine programmplanerische. Ziel war es, die Lücke zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsprogramm bei ARD und ZDF zu füllen. Als die Kollegen um Robert Franz in München begannen, die Sendung zu planen, ging es daher zunächst darum, wie man gusseiserne Pfannen sauber bekommt oder die Fenster reinigt. Die erste Sendung begann dann allerdings mit Bildern von den Demonstrationen in Leipzig, weil die Rufe aus den Sendern nach aktueller Berichterstattung lauter wurden. Das "Mittagsmagazin" hat innerhalb weniger Monate ein rasantes Coming-of-Age hingelegt vom Lückenfüller zum politischen Magazin mit Anspruch, das die Bedeutung von Demokratie und Freiheit für die Gesellschaft betonte. Insofern haben die Ereignisse von damals das "Mittagsmagazin" tatsächlich geprägt. Die Berichte über das Reinigen von Pfannen kamen daher erst etwas später. (lacht)


Dazu passt, dass die Sendung inzwischen aus Berlin kommt. Haben sich die inhaltlichen Erwartungen, die ja auch mit dem Wechsel verbunden waren, seither erfüllt?

Ja, das "Mittagsmagazin" ist in der Hauptstadt angekommen. Wir wollen Geschichten erzählen im Sinne von: "Uns bewegt, was euch bewegt." Das bedeutet, die Zuschauerinnen und Zuschauer mit ihren Sorgen in der Sendung stattfinden zu lassen. Da geht es ganz konkret darum, dass keine Bank mehr vor Ort ist oder die Mobilität eingeschränkt wird. All das sind Dinge, die das Land umtreiben, die aber hier in Berlin entschieden werden. Diese Fragen wollen wir direkt an die Politik herantragen und das gelingt uns meiner Meinung nach total gut. Erst in der vorletzten Woche hatten wir jeden Tag eine Ministerin oder einen Minister im Studio. Das zeigt, dass unsere Sendung ein wichtiger Player im politischen Journalismus geworden ist.

Hilft die Doppelmoderation, die Sie mit dem Umzug eingeführt haben, bei der Präsentation der Sendung? 

Ich sehe Vor- und Nachteile von Doppelmoderationen. Wenn man inhaltlich argumentiert, erkenne ich einen ganz klaren Vorteil, weil unsere Moderatoren immer wieder komplexe Themen innerhalb kurzer Zeit erfassen müssen, beispielsweise um gut vorbereitete Interviews zu führen. Die Arbeitsteilung hilft dabei, sich in Ruhe einzuarbeiten. 

Sie selbst waren auch vor dem "Mittagsmagazin"-Wechsel in die Hauptstadt in der Redaktion tätig. Was ist heute anders als damals, was man vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennt?

Wir haben einen anderen Föderalismus. In München bestand der Föderalismus aus Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz und Franken. Nichtsdestotrotz hatten wir mit einem tollen Team an der Sendung gearbeitet, das eine gute Ausstrahlung in die ARD hinein hatte. Jetzt haben wir hingegen Leute aus allen ARD-Häusern, die das Know-How über verschiedene politische Hintergründe aus dem ganzen Land zu uns in die Redaktion tragen. Die Redaktion kommt wie kaum eine andere in der ARD gleichermaßen aus dem Osten und dem Westen. Dadurch diskutieren wir offen über sämtliche Themen wie etwa den Religionsunterricht in Schulen. Was in Bayern selbstverständlich ist, wirft anderswo Fragen auf. Daran merkt man, wie wichtig es ist, mit Sozialisationshintergründen umzugehen, um klugen Journalismus auf Augenhöhe zu machen.

Was verstehen Sie unter Augenhöhe?

Es wird viel darüber diskutiert, ob Journalisten und Redaktionen eine Haltung haben müssen. Darüber haben auch wir gesprochen und uns schließlich den Begriff "Perspektive" auf die Fahnen geschrieben. Wir versuchen, verschiedenen Sichtweisen einen Raum zu geben, indem wir eine Perspektive einnehmen – was übrigens nicht heißt, dass das immer unsere Meinung ist. Auf den G20-Gipfel kann man zum Beispiel aus der Sicht von erschöpften Polizisten, aus der Sicht eines überforderten Politikers wie Olaf Scholz oder aus der Sicht eines genervten Anwohners blicken. Das wollen wir nicht alles in einen Beitrag packen, sondern lieber an verschiedenen Tagen einzelne Perspektiven vertiefen.

Die Sendung erreicht seit Jahren recht konstante Zuschauerzahlen, nur die Jüngeren kommen nicht nach – trotz zeitgemäßerer Verpackung und veränderter Ausrichtung. Was schließen Sie daraus?

Wenn man sich unser Publikum in der Analyse ansieht, dann ist klar, dass wir viele Menschen erreichen, die mittags zuhause Zeit haben – und das sind natürlich vorwiegend ältere Menschen. Dazu gibt es Studenten und Schichtarbeiter. Wir haben uns ein bisschen verjüngt und erreichen sogar mehr Zuschauer als 1989. Mit einer ähnlichen Reichweite hatte man damals allerdings gut 33 Prozent Marktanteil. Jetzt liegen wir knapp über 20 Prozent und sogar etwas vor dem ZDF, was lange nicht so war, obwohl wir als inhaltlicher identifiziert werden. Über andere Distributionswege wie Facebook oder YouTube versuchen wir außerdem jüngere Menschen zu erreichen.

Wenn ich abends ein Posting aus Ihrer Redaktion sehe, dann hat das allerdings nicht mehr viel mit "Mittagsmagazin" zu tun. Ist diese feste Verabredung zur Mittagszeit womöglich etwas aus der Zeit gefallen? 

Der Zuspruch unserer Sendung zeigt uns etwas anderes. Es besteht ein wachsendes Interesse daran, permanent "up to date" zu sein  – trotz vieler neuer Angebote können wir da als vertrauter player gut punkten. Tatsächlich kommen wir durch die sozialen Netzwerke auch in andere Tageszeiten hinein, die auch nochmal andere Zuschauergruppen erreichen. Wir fangen allerdings nicht damit an, von diesen Kanälen aus unsere Sendung zu planen.

An welchen nächsten Schritten arbeiten Sie für das dritte "Mittagsmagazin"-Jahr aus Berlin?

Wir versuchen neben der vertiefenden Schwerpunktbildung an Geschichten dran zu bleiben und diese über eine Woche hinweg zu erzählen. Da geht es dann um die täglichen Herausforderungen beispielsweise in der Pflege, in der Ganztagsbetreuung oder in der LandwirtschaftDieses Modell ist auch für Synergien gut, weil aus den einzelnen Beiträge auch 30-Minuten-Reportage in den Dritten oder bei Arte werden können. Da können wir in Zukunft noch besser werden. Wichtig ist es für uns,  dass Erkenntnis oder Einstellungsänderungen, eher nicht - wie beim klassischen Nachrichtenjournalismus üblich - über die reinen Fakten kommen, sondern auch über eine emotionale Auseinandersetzung, über Empathie. Wir müssen die Emotionalität von Themen identifizieren, um in der Gesellschaft Brücken zu bauen. Dadurch lassen sich die Probleme anderer Menschen besser nachvollziehen.

Sie senden nur alle zwei Wochen. Kribbelt es eigentlich in den Fingern, wenn die Kollegen vom ZDF an der Reihe sind?

Momentan geht’s noch, weil wir vor großen Herausforderungen stehen, auch was unsere Infrastruktur angeht. Wir sind jetzt 70 Leute, die sich vor zwei Jahren noch nicht kannten. Da sind wir in den Nicht-Sendewochen mit dem Planen gut beschäftigt und freuen uns, wenn unser gemeinsames Studio von den ZDF-Kollegen bespielt wird. Inhaltlich legen die ZDF-Kollegen ihren Fokus etwas anders als wir es tun. Das sorgt für einen sportlichen Wettbewerb.

Frau Schön, vielen Dank für das Gespräch.