Die Verantwortung für fiktionale Programme der gesamten Mediengruppe liegt künftig bei einem Duo. Geben RTL und Vox damit ein Stück weit ihre Souveränität auf?

Sascha Schwingel: Nein.

Jörg Graf: Danke fürs Gespräch. (lacht) Also ich führe Saschas Antwort mal etwas aus. Wir reden von einem Genre, das es bei uns wie auch den Kollegen von Vox und eben TVNow gibt. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Produzenten zuletzt öfter gefragt haben, zu wem sie denn nun bei der Mediengruppe RTL Deutschland mit ihrer Programmidee gehen sollen. Da das Genre für uns alle drei gleich wichtig ist, macht es Sinn, das zu bündeln, um den Überblick zu haben, mit welchen Projekten wir arbeiten können. Was passt zu RTL, was zu Vox? Was macht vorab Sinn bei TVNow? Daher ist das für uns in diesem Genre die einzig vernünftige Organisation. Für die Unterhaltung dagegen sehen wir das heute anders. Denn große Live-Shows von RTL finden sich beispielsweise nicht im Programm von Vox oder TVNow. In der Fiction aber ist eine gute Geschichte per se erst einmal sowohl für RTL als auch TVNow oder Vox interessant.



Aber in der non-fiktionalen Unterhaltung sind Vox, RTL und TVNow auch gleichermaßen aktiv, wenn ich an Realityshows denke…

Jörg Graf: Wobei die non-fiktionale Unterhaltung deutlich breiter aufgefächerter ist und wir da bei RTL, Vox und TVNow deutlichere Unterschiede sehen. Die großen Live-Shows wie „Let’s dance“ oder „Denn sie wissen nicht was passiert“, die Castingshows wie „DSDS“ oder „Supertalent“, Datingformate von RTL wie „Bauer sucht Frau“ - die finden sich so nicht bei den Kollegen wieder. Außerdem sind diese Formate stark von Gesichtern geprägt, die zu den jeweiligen Sendern gehören.

Sascha Schwingel: Die neue Struktur ist ein Mittel zum Zweck und das Ergebnis vieler Gespräche bei denen wir alle aufmerksam zugehört haben. Wir machen das, um im Markt als attraktivster Partner für fiktionale Projekte wahrgenommen zu werden. Wir haben jetzt in der Fiction eine Doppelspitze, die im Markt agiert und für kreative Ideen gleich drei Ausspielwege repräsentiert und so jeder Idee gerecht werden kann. Statt des Sendeplatzes steht die Idee im Vordergrund, nicht mehr die Frage für welchen Platz oder welches Format ich entwickeln muss oder an welcher Stelle man es ins Sendeschema pressen kann. Mit neuen Chancen, auch der Koproduktion zwischen TVNow und einem unserer Sender, lassen sich Projekte realisieren, die vorher nicht zu stemmen gewesen wären.

Herr Tewes, wie versteht sich TVNow im Konzert der Streamingangebote bzw. auch gerade innerhalb der Mediengruppe?

Henning Tewes: Wir sind mit TVNow der ´Main-Streamer´ unter den Streamingangeboten. Das ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Einmal geht es um ein möglichst umfängliches Angebot für die ganze Familie mit allen Genres, also Fiktion, Factual, aber auch Unterhaltung - da aber mehr Dokutainment und weniger live als bei den Sendern. Kinderprogramme werden 2020 auch dazu kommen. Und wir schauen uns auch Sportrechte an, wenn es passt. Das ist die eine Dimension des Main-Streamers. Die andere ist eine noch stärker inhaltliche: Wir sind gut beraten mit Geschichten, mit denen sich ein breites Publikum identifizieren kann. Das unterscheidet uns von anderen Anbietern.

Aber damit hebt sich TVNow in der Ausrichtung nicht sehr von dem ab, was RTL macht. Der Unterschied wäre dann technisch die Bereitstellung auf Abruf…

Henning Tewes: Es wird, wie auch jetzt schon, Programme mit hoher Strahlkraft geben, die nur bei TVNow laufen, weil wir uns damit auch von unseren Sendern differenzieren und TVNow eine eigene Identität geben. Aber unterschätzen Sie nicht die Komponente der Bequemlichkeit des ständig verfügbaren Angebots: TVNow bedient diesen ganz elementaren Wunsch des zeitsouveränen Streamings. Wir wissen ja, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die Programme der Mediengruppe RTL Deutschland lieben und machen sie mit TVNow noch zugänglicher, überall und jederzeit.

Bleiben wir nochmal bei der Fiktion. Sie kommen ja von der Produzentenseite Herr Schwingel. Ist es ein Gewinn für die Produzentenseite, künftig mit einer Serien-Idee nur noch eine Chance bei der Mediengruppe RTL Deutschland zu haben?

Sascha Schwingel: Als ehemaliger Produzent habe ich mir immer starke Ansprechpartner gewünscht, die offen sind für gute Stoffe ohne schon direkt mitdenken zu müssen, für welchen Sendeplatz das jetzt machbar wäre. Und einen Ansprechpartner zu haben, der gleich mehrere Verwertungsfenster selbst übernehmen kann, erhöht die Chancen einer Umsetzung auch von ambitionierten Projekten enorm.

Henning Tewes: Wir entwickeln zum Beispiel eine historische Serie, in der eine junge Frau und ihre unglaubliche Liebesgeschichte im Zentrum stehen, die über mehrere Jahrzehnte fesselt und tief berührt. Eine Serie über einen Traum, Glück, Liebe und Schmerz. Sie wird zuerst und exklusiv bei TVNow und später dann bei Vox zu sehen sein.

Sascha Schwingel: Die Serie machen wir mit den Kollegen von X-Filme, mit denen ich bereits bei „Babylon Berlin“ zusammenarbeiten durfte. Wir sprechen gerade mit zwei wundervollen Regisseurinnen und freuen uns, bald mehr verraten zu können. Ein Programm dieser Größenordnung wäre für einen von uns nicht umsetzbar gewesen. Das ist machbar, weil wir gezielt zwei Verwertungsfenster selbst bespielen: SVoD und Free-TV.

Das bedeutet also endlich das Ende der berühmten Sorge großer Free-TV-Sender, dass eine SVoD-Auswertung vorab ja der FreeTV-Ausstrahlung schaden könnte…

Sascha Schwingel: Da haben Sie vollkommen Recht. Ein anderes aktuelles Beispiel ist „Prince Charming“.  An dieser Stelle kann ich verraten: „Prince Charming“ wird im kommenden Jahr bei Vox zu sehen sein. Das Programm hat Kirsten Petersen noch in ihrer Funktion als Bereichsleiterin der Programmentwicklung bei RTL für TVNow mitverantwortet und bringt es jetzt als Vox-Unterhaltungschefin Anfang 2020 ins lineare Free-TV. Ein lebendiges Beispiel dafür, wie wir attraktiven Content bei uns in der Gruppe auswerten. Aber es kann auch andersherum laufen: Wir lieben „Ready to beef“, aber sind mit den Quoten am Freitagabend nicht zufrieden. Und weil Henning das Format genauso gut findet wie wir überlegen wir jetzt die zweite Staffel zuerst als langes exklusives Fenster bei TVNow zu zeigen. In der weiteren Auswertung bei Vox haben wir dann in der Programmierung mehr Möglichkeiten. So wird die Zusammenarbeit zwischen RTL, Vox und TVNow zu einem Gewinn für uns alle. Wir sind künftig zusammen noch stärker, aber auch viel flexibler.

Henning Tewes: Zum Stichwort Kannibalisierung möchte ich noch ergänzen: Wir zeigen bei TVNow ja vorab die Folgen z.B. von „Bachelor“ und „Bachelorette“ und haben intern durchaus diskutiert, was es für die Spannung bei der TV-Ausstrahlung bedeutet, wenn auch das Finale schon bei TVNow zu sehen ist. Sollten wir da nicht eine Ausnahme machen?  Um unser Versprechen gegenüber den Kunden zu halten, haben wir es dann im Pre-TV gezeigt - und trotzdem richtig starke Einschaltquoten gehabt. Wir kannibalisieren uns also nicht.