Herr Schmitter, vor fast einem Jahr ist die RTL-Plattform Audio Now gestartet. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Wir sind sehr glücklich mit der Entwicklung. Gegen die Wettbewerber Spotify und Apple sind wir ein großes Risiko eingegangen und werden dafür belohnt. Vor dem Start von Audio Now hatten wir nur die Möglichkeit, unseren Content auf fremden Plattformen anzubieten und damit über keinerlei Insights und Nutzungsdaten zu verfügen. Das wollten wir ändern und waren der festen Überzeugung, dass wir nur gewinnen können.

Und, haben Sie gewonnen?

Insbesondere mit dem Bertelsmann-Hintergrund wollen und müssen wir liefern – und das tun wir Tag für Tag. Unsere Nutzungszahlen steigen rasant. Im Januar verzeichnen wir – auch beflügelt vom Dschungelcamp-Podcast – bereits weit über eine Million Monthly Active User auf Audio Now. Das hätten wir so schnell nicht erwartet und der Markt sicherlich auch nicht. Besonders hilft uns dabei die enge Verzahnung mit der Mediengruppe RTL, Gruner + Jahr, Random House und innerhalb der gesamten Bertelsmann Content Alliance. Alle Kollegen geben unheimlich Gas und ziehen gemeinsam an einem Strang. Das macht sehr viel Freude und bringt unsere tollen Brands und Personalities jetzt auch im Audiouniversum zum Strahlen. Gleichzeitig schätzen es die anderen deutschen Publisher, ihre Inhalte auf Audio Now einzubringen und wichtige Informationen über die Nutzung ihrer Angebote zu erhalten. Nach einem Jahr sind wir damit wesentlich weiter als wir gedacht haben.

Welches Ziel haben Sie sich gesetzt?

Das erste Zwischenziel ist analog zu unseren Fernsehkollegen: Wir wollen der Local Hero werden. Neben Spotify und Apple möchten wir dauerhaft zur Top 3 gehören. Wir haben schon viel erreicht, geben uns damit aber noch längst nicht zufrieden.

Was gab den Ausschlag, Audio so stark in den Fokus zu stellen?

Im klassischen Radiogeschäft sehen wir, dass die Reichweite auf hohem Niveau stabil bleibt, obwohl das Radio schon oft totgesagt wurde – erst kam die CD, dann der iPod und schließlich die Streaming-Dienste, die jedoch in erster Linie den physischen Musikkauf ersetzen. Das Radio ist letztlich ein völlig anderes Produkt, weil es eine Mischung aus Musik und Wort abbildet und eine starke regionale Verankerung hat. Mit diesem Mix erreichen wir eine deutlich höhere und längere Aufmerksamkeitsspanne als reine Musik-Channels. Dazu kam der große Erfolg von Hörbüchern und Podcasts, die unabhängig von der Tageszeit genutzt werden können. Davon ausgehend wollen wir die zentrale Rolle im deutschen Audiomarkt spielen, vor allem auch mit der kreativen Kraft der Bertelsmann Content Alliance. 

Wird das Radio perspektivisch unwichtiger?

Nein, weil das Radio eine ganz andere Wirkkraft hat. Ich muss als Hörer nichts aussuchen, sondern werde mit einer guten Mischung versorgt. Bei Audio Now sehen wir, dass es abends die meiste Podcast-Nutzung gibt, während das Radio vor allem morgens und tagsüber eingeschaltet wird. Damit haben wir zwei sich wunderbar ergänzende Medien.

Podcasts zeigen, dass die Hörer durchaus bereit sind, sich durchaus auf lange Wortbeiträge einzulassen. Haben Radiomacher Ihr Publikum über die Jahre hinweg unterschätzt?

Das ist eine spannende Frage, die wir uns auch stellen. Die Radiosender machen am Ende das, was sich die Hörer wünschen. Unsere Analysen und die sehr guten Reichweiten zeigen, dass wir dabei viel richtig machen. Wenn man die Hörer fragt, was sie am Radio am meisten mögen, kommt oft die Antwort: viel Musik, ohne Unterbrechungen. Dennoch sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir sehr aufpassen müssen. Wenn wir noch mehr Musik spielen und die Moderationen immer weiter in den Hintergrund rücken, sind wir irgendwann nicht mehr von Musikstreaming-Diensten zu unterscheiden. Im jetzigen Mix haben wir eine Alleinstellung. Mit noch mehr Musik drohen wir, in die Falle zu laufen. Musik pur können Streaming-Anbieter viel besser, weil die Dienste die Nutzer individuell ansteuern. 

"Wir haben zu wenig in den Nachwuchs investiert."
Stephan Schmitter

Radiosender liefern dagegen fast nur noch vorhersehbare Musik und keine Überraschungen mehr.

Da wurden in der Vergangenheit sicher auch Fehler gemacht und sehr stark auf die sichere Nummer gesetzt. Aber es wird wieder mehr experimentiert, die Stationen besinnen sich auf ihre kreativen Stärken. Die ersten Influencer waren unsere Radiomoderatoren. Schon vor Jahren haben sie gesagt: "Hör dir diese oder jene CD an." Was heute vermeintlich neu und hip daherkommt, machen wir schon lange. Darauf müssen wir uns wieder besinnen – und ja, wir haben auch zu wenig in den Nachwuchs investiert. Das machen wir seit zwei, drei Jahren wieder intensiver. 

Im Podcast-Bereich gibt es zahlreiche Angebote in der Nische. Wie sorgen Sie dafür, dass diese Inhalte auch gefunden werden?

Das ist ein großes Thema. Als Konsument wird man ja förmlich erschlagen von der Menge an Content. Das ist in den USA noch viel krasser als hier, da es dort noch viel mehr Angebote gibt. Im Vergleich zum amerikanischen Podcast-Markt hinken zwar wir noch knapp vier Jahre hinterher, das Problem stellt sich aber schon jetzt. Vor allem, weil der User meistens nur einen kleinen Screen zur Verfügung hat. Wir sehen jedoch gut, welche Genres funktionieren und machen entsprechende Empfehlungen. Eine gewisse Bandbreite auf dem Startscreen der App ist wichtig und auch aufgrund der Einbindung der ARD-Podcasts ist es uns nun möglich, Podcasts von der "Tagesschau" bis zu "GZSZ" anzubieten. Zusätzlich müssen die Schlagworte gut funktionieren: Wenn man nach "Ernährung" sucht, sollten auch wirklich nur Formate angezeigt werden, die sich mit Ernährung beschäftigen.