Herr Arens, die Marke Terra X ist fast 40 Jahre alt. Wie hat sich die Ausrichtung des Sendeplatzes in all den Jahren verändert?

Anders als zu Beginn der "Terra X"-Epoche sind inzwischen die politischen Stoffe gefragter und erfolgreicher. Das hängt sicher mit einem gesteigerten Interesse der jungen Menschen nach Verantwortung zusammen. Migration war und ist ein zentrales Thema, bei dem wir selbst unsicher waren, ob wir es mit dem Dreiteiler "Die Reise der Menschheit" als Bildungs-Doku bei "Terra X" umsetzen können – tatsächlich wurde es ein großer Erfolg und gewann den Deutschen Fernsehpreis. "Anthropozän", das jetzt ebenfalls nominiert ist, kreiste um den Konflikt, wie der Mensch die Erde verändert hat, leider zu deren Schaden, was uns Menschen den Ast absägt, auf dem wir selbst sitzen. Oder denken Sie an den Antisemitismus-Zweiteiler "Exodus?" mit Christopher Clark, der über vier Millionen Zuschauer erreicht hat. Solche schwergewichtigen, gesellschaftspolitischen Stoffe hätten wir früher nicht gemacht. Das ist eine wichtige Entwicklung, dass diese Dokumentationen nicht mehr vornehmlich die Schönheit der Welt abbilden. Insbesondere die jungen Menschen erwarten da inzwischen mehr von uns.

Es ist doch ohnehin eine falsche Einschätzung, dass bei Dokumentationen und Reportagen nur die Alten einschalten. Der Anteil jüngerer Zuschauer ist oft erstaunlich hoch.

Das wissen Sie, aber vielen ist das nicht bewusst. In den Köpfen der Medienöffentlichkeit herrscht noch immer das Klischee vor, dass Dokumentationen im Bereich Geschichte und Wissenschaft zu sperrig und zu schwierig seien, um ein großes Publikum anzusprechen. Das ist aber falsch. "Terra X" dürfte die erfolgreichste Reportage- und Dokumarke im deutschen Fernsehen sein, am Sonntag ist es neben dem "heute-journal" oft die jüngste ZDF-Sendung des Tages. Mitentscheidend für unseren Erfolg ist ganz sicher, dass wir seit 1982 diesen herausragenden Sendeplatz am Sonntag um 19:30 Uhr behalten konnten und wir nie unter Budget-Kürzungen zu leiden hatten. Dadurch mussten wir weder bei der Qualität noch bei der Quantität Abstriche machen. 

Der Erfolg liegt aber vermutlich auch darin begründet, dass die Filme heute anders aussehen als vor 20 oder gar 40 Jahren. 

Gemessen an der jeweiligen Zeit, waren wir immer technisch innovativ. Wir gehörten zu den Ersten, die Mitte der 90er Jahre auf 16:9 umgestellt haben, und auch bei HD waren wir früh dabei. Mittlerweile produzieren wir die großen Reihen in 4K. Dazu kamen neue Kamerasysteme wie die Heligimbal-Technik in Hubschraubern, bei der hochauflösende Kameras mit langen Brennweiten in einer speziellen Stabilisierung installiert wären, was eine völlig neue Visualität bei Tierfilmen möglich machte. Die BBC hat dies ganz maßgeblich vorangetrieben, wir haben es beispielsweise bei "Russland von oben" genutzt. Gerade beim jungen Publikum müssen wir brillante Bilder anbieten. Gleichzeitig ist es unser Ziel, immer wieder neue inhaltliche Zugänge zu finden. Gerade erst haben wir die "Welten-Saga" anhand der UNESCO-Welterbestätten erzählt, vor einigen Jahren war es der besondere Kniff Hape Kerkeling, der den Zuschauern als Presenter die Weltgeschichte näherbrachte. 

"Je prominenter wir im Netz sind, desto mehr junge Potentiale erreichen wir auch im linearen Programm."
Peter Arens

Der berühmte erhobene Zeigefinger ist da vermutlich eher störend, oder? 

Ja und nein. Ich bin fast dazu geneigt zu sagen, dass man ihn heutzutage wieder häufiger braucht. (lacht) Gerade wenn man aufklärerisch sein will, ist ja durchaus immer ein Stück weit der Zeigefinger dabei. Beispielsweise wenn es darum geht, Migration in der Geschichte als einen Kulturgewinn für die Menschen zu verstehen und nicht als Bedrohung.

Neuerdings wollen Sie auch der Allgemeinheit Kurzclips von "Terra X" zur Verfügung stellen. Was hat es damit auf sich?

Als wir vor einiger Zeit auf Creative-Common-Lizenzen aufmerksam geworden sind, war die Idee geboren, all die hochwertigen Erklärgrafiken, CGIs oder Reenactments noch einmal zu bündeln und sie Bildungseinrichtungen wie Schulen oder auch Museen anzubieten, ohne dass diese komplizierte, langwierige Rechteklärungen vornehmen müssen. Es geht also um freie Lizenzen zur freien Verwertung, das ist schon eine kleine Revolution und public value im besten Sinne! 

Wie viele Rechte liegen denn beim ZDF?

Prinzipiell sind die Online-Rechte in den Verträgen, die wir mit den Produktionsfirmen schließen, abgegolten. Wenn jedoch Mehrkosten entstehen, indem die Clips für die CC-Nutzung noch einmal neu aufbereitet werden, dann werden wir diese auch vergüten. Da wir bei "Terra X" seit Jahrzehnten fast ausschließlich auf Eigen- und Auftragsproduktionen setzen und kaum fremde Lizenzen einkaufen, können wir diese feine Schatzkiste für die allgemeine Nutzung öffnen. 

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, mit "Terra X" fernab des regulären Sendeplatzes präsent zu sein? 

Schon seit einigen Jahren befassen wir uns zunehmend mit der Frage, wie wir über den linearen Erfolg unserer Sendungen im Fernsehprogramm hinaus mehr in die Öffentlichkeit gehen können, auch um für unsere Marke noch jüngere Menschen zu erreichen. Dazu zählt die "Terra X Show", die wir im Juli und August wieder machen werden, aber insbesondere unsere Präsenz bei YouTube und anderen Drittplattformen. Denn mittlerweile haben wir im Netz 1,7 Millionen Abonnenten und erzielen jeden Monat in der Mediathek, YouTube und Facebook rund 25 Millionen Views. Wir vermuten, dass das sogar auf die Annahme der Fernsehsendung zurückspiegelt. Denn seit wir im Netz verstärkt mit Harald Lesch vertreten sind, ist auch bei seinenFernsehsendungen die Zahl unserer TV-Zuschauer unter 50 gestiegen. Unser zentraler Anker ist weiterhin der Sendeplatz am Sonntag, 19:30 Uhr. Aber die Marke "Terra X" muss darüber hinaus strahlen, die Marke ist alles. Je prominenter wir im Netz sind, desto mehr junge Potentiale erreichen wir  auch im linearen Programm.

"Generell rechnen wir bei vielen Produktionen mit Verschiebungen von sechs bis zwölf Monaten."
Peter Arens

Lassen Sie uns auch inhaltlich nach vorne blicken. Welche Projekte stehen bei "Terra X" in nächster Zeit an?

Ich freue mich sehr, dass wir die "Welten-Saga", die wir in Kooperation mit der UNESCO Paris aus der Taufe gehoben haben, fortführen werden. Die erste Staffel hat die Quoten-Erwartungen mit über 15 Prozent Marktanteil deutlich übertroffen, sodass wir mit weiteren Staffeln hoffentlich eine Art Welterbe-Archiv anlegen können. Das liegt mir sehr am Herzen. Für den August planen wir ein Experiment mit dem Arbeitstitel "Off the road". Darin werden wir drei ganz normale Familien porträtieren, die mit individuellen Reisemobilen in die Welt aufgebrochen sind, zur Panamericana, zum Polarkreis und zur Seidenstraße, um große Abenteuer zu erleben. Expeditionshungrige Zuschauer, die normalerweise "Terra X" gucken, werden jetzt von "Terra X" beobachtet. (lacht) Ich freue mich aber auch auf "Momente der Geschichte" mit Mirko Drotschmann, der inzwischen exklusiv bei uns ist. Wir nehmen uns Weltereignisse wie die Völkerschlacht bei Leipzig und halten historische Entscheidungssituationen mit einem besonderen technischen Verfahren, einer Art Freeze-Frame, an. Das hätten wir gerne schon früher gezeigt, aber dann kam uns Corona dazwischen.

Inwiefern hat die Corona-Krise darüber hinaus Auswirkungen auf Ihre Planungen?

Wenige Probleme haben wir bei Reportagen, die in Deutschland spielen, also bei "Terra Xpress" oder "37 Grad". Da geht es vor allem darum, die Sicherheits- und Hygienevorschriften einzuhalten. Bei "Terra X" ist es schwieriger, weil internationale Dreharbeiten wie für Wildlife auf Eis gelegt wurden. Das betrifft auch unseren Rahmen-Deal mit der BBC. Generell rechnen wir bei vielen Produktionen mit Verschiebungen von sechs bis zwölf Monaten. Bei unserem Format "Faszination Erde" mit Dirk Steffens müssen wir für die Moderationen ins Studio ausweichen und uns was einfallen lassen. 

Stichwort Corona: Die Wissenschaft steht seit Monaten im Fokus und ist mitunter auch starker Kritik ausgesetzt. Wie bewerten Sie die Diskussionen?

Ich bin mir sicher, dass die Mehrzahl der Menschen jetzt durch Corona den objektiven Wert von Wissenschaft für ihr Leben verstanden hat. Das hängt auch damit zusammen, dass es Infektionsmediziner wie Christian Drosten gibt, die eine erfolgreiche Kommunikation mit der Öffentlichkeit aufbauen können. Genau das ist ja auch unser Ansatz mit Wissenschaftlern wie Christopher Clark oder Harald Lesch: Beide verstehen sich herausragend darauf, Wissenschaft in eine klare, verständliche Sprache zu überführen. Sehr humorvoll bisweilen, als eine Art fröhliche Wissenschaft. (lacht) Das war im Übrigen nicht immer so. Verständlichkeit ist ja nicht das primäre Anliegen von Forschung, sondern Inhaltstiefe und Präzision. Als ich hier in den 90er Jahren angefangen habe, galt es bisweilen als standeswidrige Zumutung, wenn Wissenschaftler sich auf ein interessiertes Publikum einlassen sollten. Das hat sich zum Glück verändert. In der Corona-Krise können wir klar sehen: Je besser die Virologen kommunizieren, desto höher ist die Akzeptanz in der Bevölkerung.

Herr Arens, vielen Dank für das Gespräch.