Jochen Breyer, wenn Sie heute Abend wieder den "Puls Deutschlands" fühlen, macht der Sportreporter dann einen Abstecher in die Gesellschaftspolitik oder kehrt er dorthin zurück?

Jochen Breyer: Weder noch. Die meisten Zuschauer kennen mich aus dem "Sportstudio" und von großen Fußball-Übertragungen. Ich selbst empfinde mich aber schon lange nicht allein als Sport-Moderator. Dass das ZDF das genauso sieht und mir vor vielen Jahren zugetraut hat, das "Morgenmagazin" zu moderieren, eine sehr politische Sendung, hat mich total gefreut. Das war sicher nicht selbstverständlich. Umso schöner, dass ich durch mein Reportage-Format dieses zweite Standbein stärken konnte.

Ist Ihnen das auch wichtig, weil Sport verglichen mit Politik vielen als leichte Kost gilt?

Die leichte Kost Sport schmeckt mir jedenfalls sehr. Vielleicht kann man es, um im Bild zu bleiben, mit süßem und salzigem Essen vergleichen: Ich liebe das Süße, aber um auf Dauer satt zu werden, brauche ich was Herzhaftes. Die Mischung aus Sport und Politik füllt mich perfekt aus.

War die Puls-Reihe demnach eine Entscheidung für Ihre Work-Work-Balance?

Es war vor allem eine, etwas zu versuchen, das es so noch nicht gab. Ein Format, bei dem wir die Menschen bitten, uns über die sozialen Netzwerke Ihre Meinung zu bestimmten Themen zu schicken, und daraus Reportagen machen. Immer mehr haben ja das Gefühl, ihre Meinung komme im Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr vor. Deshalb wollten wir ein Format schaffen, in dem jede – egal wie bequem oder unbequem – eine Plattform bekommt. Auch jene, die sich nicht dem sogenannten Mainstream zurechnen, sollten zu Wort kommen. Und zwar nicht in Form kurzer Voxpops, die bei einer Pegida- oder Hygiene-Demo eingeholt werden, um in der Twitter-Filterblase Empörungswellen loszutreten. Sondern in Gesprächen, in denen die Menschen merken, dass sie ernst genommen werden.

Gewissen Standpunkten eine Bühne zu geben ist nicht ungefährlich!

Aber wichtig, um wirklich zu verstehen, was die Leute warum denken. Unsere Gesellschaft ist seit einigen Jahren massiv gespalten; da müssen wir unbedingt wieder mehr ins Gespräch kommen. In "Am Puls" soll den Leuten klar sein: Der Breyer ist an meiner Meinung interessiert, er befragt mich unvoreingenommen. Am meisten freue ich mich, wenn mir Zuschauer schreiben, dass sie den Eindruck haben, ich würde mich nicht so wichtig nehmen. Ich will den Protagonisten auf Augenhöhe begegnen und sie nicht nur als Stichwortgeber missbrauchen, um meine eigene Haltung zu transportieren.

Aber wenn Sie dafür fünf, sechs Betroffene der Flüchtlingsdebatte zu Wort kommen lassen, ist der Ausschnitt doch viel zu klein, um repräsentativ zu sein und analytische Tiefe zu entwickeln!

Natürlich haben fünf, sechs Betroffene streng genommen nur anekdotische Evidenz, aber sie stehen für viele, die ähnlich denken. Wir werten die tausenden Nachrichten, die wir bekommen, über statistische Tools aus, um zu sehen: welche Standpunkte, welche Sorgen, werden am häufigsten geäußert; danach suchen wir dann unsere Gesprächspartner aus. Außerdem werden viele Meinungen und Tweets noch zugeblendet. So entsteht ein großes Meinungsmosaik. Genau das ist unser Ziel: die verschiedenen Standpunkte in der Gesellschaft abzubilden.

Dient diese Vielfalt auch Ihrer eigenen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit?

Wenn es mir darum ginge, müsste ich wahrscheinlich voll auf die Karte Sport setzen. Dort bekommt man als Moderator immer die größte Bühne. In einem eher leisen, auf Differenzierung bedachten Reportage-Format erreicht man keine vergleichbare Aufmerksamkeit.

Sie meinten im Vorgespräch, wenn wir beim Interview einige Leichen und Liebesaffären aus Ihrem Keller holen, wäre das ganz gut gegen Ihr Schwiegersohn-Image. Steckt darin ein Körnchen Wahrheit?

Haha, nein, das war ein Scherz. Wobei: rein optisch bekomme ich das öfter mal zu hören. Inhaltlich wurde mir lange eher das Gegenteil nachgesagt.

Wann zum Beispiel?

Als ich bei einem Champions League Spiel mal mit Jürgen Klopp aneinandergeriet, Stichwort "das Ding ist durch". Danach galt ich als der freche und nassforsche Jungspund. Das ist nicht unbedingt besser als ein Schwiegersohn-Image (lacht).

Wobei Freundlichkeit, Toleranz, Kompromissbereitschaft in den Wuträumen sozialer Medien gerade einen weitaus schlechteren Ruf als damals.

Für Moderatoren ist es letztlich immer auch eine Frage des Formats, in dem sie sich bewegen. Ich bin zum Beispiel Riesenfan von Marietta Slomka und ihren Interviews im "heute-journal". Herausragend! In "Am Puls Deutschlands" allerdings wäre es Gift, wenn ich, dem journalistischen Impuls folgend bei jeder Antwort gleich Kontra gebe. Ich muss erst an die Menschen herankommen, damit sie sich öffnen. Es geht um deren Haltung, nicht meine; da hilft ein rhetorischer Boxkampf nicht weiter. Aber natürlich widerspreche ich auch. Und natürlich gibt’s auch für uns rote Linien...

Welche?

Zum Beispiel, wenn jemand etwas faktisch Falsches sagt. Oder wenn es allzu krude wird. Als ein Klimawandel-Leugner mit der großen Weltverschwörung von George Soros kam…

Die nicht nur Quatsch, sondern antisemitisch ist.

… haben wir abgebrochen. So jemand darf bei uns keine Plattform bekommen.

Anfang des Jahres haben Sie mal mächtig Gegenwind bekommen, als Sie jemandem unwidersprochen eine Plattform gegeben haben.

Wem denn?

Dietmar Hopp, bei dem Sie sich mit vorgefertigten Video-Statements zum Thema Ultra-Proteste gegen seine Person abspeisen ließen.

Das hätten wir als Redaktion definitiv besser lösen können, ja.

Es stand der Vorwurf im Raum, Ihr Vorgehen sei "unjournalistisch".

Die "FAZ" hatte kurz vor uns ein schriftliches Interview mit Hopp geführt, ohne dass sich jemand beschwerte. Letztlich ging es darum, ob wir Aussagen in Videostatements für journalistisch relevant halten oder nicht. Da haben wir uns entschieden, zwei zu senden und sie in der Sendung einordnen zu lassen. Einmal durch den Virologen Alexander Kekulé, der Hopp beim Thema Impfstoff widersprach, einmal durch Ultras selbst, die sich – was ihr gutes Recht ist – nicht ausführlich äußern wollten. So entstand ein Eindruck der Unausgewogenheit. Das war nicht gut von uns, das würden wir heute anders machen.

Macht die Tatsache, dass Sportreporter am Ende auch immer Fans sind, die Berichterstattung milder oder sogar strenger?

Weder noch, glaube ich, das müssen Sportreporter trennen können. Was schon auffällt, ist allerdings, dass man Politiker hier und da härter anpacken kann als Gesprächspartner aus dem Sport. Im Fußball sind Charaktere, die den Schlagabtausch lieben wie Uli Hoeneß sehr selten. Da gibt es schon Empfindlichkeiten. Vor einiger Zeit hatte ich einen Nationalspieler im "Sportstudio"...

Welchen?

(lacht) … und habe ihn recht fordernd befragt. Der Spieler war happy damit, aber am nächsten Tag rief sein Berater an und warf mir vor, ich hätte seinen Spieler nicht ausreichend in dessen sportlicher Brillanz gewürdigt. Aber wir sind als "Sportstudio" nicht dazu da, Spieler oder Trainer nur abzufeiern. Das wissen die Vereine auch.

Was kann der Sport-Journalismus diesbezüglich vom politischen lernen?

Dass wir den Zuschauern auch harte Kost zumuten können. Deshalb haben wir während des Lockdowns weitergesendet und über Corona im Sport berichtet. Oder mit Sportlern ausführlich über Black Lives Matter und Rassismus gesprochen.

Und was kann der politische umgekehrt vom Sport-Journalismus lernen?

Gute Frage. Es können ja schlecht Bundestagsdebatten mit einem superemotionalen Kommentator gesendet werden.

Aber Sie dürfen schon noch Fan eines Vereins sein?

Ja, dürfte ich. Ich war früher Riesenfan des KSC. Mit Stadion, Bettwäsche, selbstgestrickten Schals von Oma. Aber seit der Fußball nicht mehr nur Hobby, sondern Beruf ist, hat sich die Leidenschaft für einen bestimmten Verein eher in Leidenschaft für guten Fußball gewandelt.

Duzen Sie Gesprächspartner vor der Kamera, die sie dahinter persönlich gut kennen?

Nur in absoluten Ausnahmefällen, wenn ich denjenigen schon ewig kenne, wie Oliver Kahn. Da wäre es unnatürlich, wieder ins Sie zu wechseln.

Hand aufs Herz zum Schluss – welche Leiche haben Sie im Keller?

(lacht) Das Problem ist: ich habe keinen Keller.

"Am Puls Deutschlands: #5JahreWirSchaffenDas" läuft am Mittwoch um 22:50 Uhr im ZDF