Herr Ringlstetter, von Ihnen stammt der Satz: "Ich verspüre keinen Drang, mir das ganze Land zu erobern." Was drängt Sie jetzt trotzdem auf die Bundesbühne im TV?

Die Wahrheit ist: nichts. Ich weiß, es klingt nach Koketterie, aber es war wirklich nie mein Plan, im Ersten mitzuspielen. Ich hatte keine Ambitionen. Ich wurde gefragt. Der damalige Fernsehdirektor des BR, Reinhard Scolik, lud mich zum Essen ein. Wenn Fernsehdirektoren mit einem Protagonisten aus dem Fernsehen essen gehen wollen, dann setzen sie seine Sendung ab – oder man kriegt eine neue.

In Ihrem Fall gab es, Hurra!, eine neue Promi-Plauderrunde. "Club 1" ist die siebte auf der "Talk am Dienstag"-Schiene im Ersten. Sie selbst laden im bayerischen Dritten seit vier Jahren Talkgäste zu "Ringlstetter" ein. Von Ebbe kann keine Rede sein. Warum stürzen Sie sich in die Talkshowflut?

Ja, es gibt im Fernsehen generell viele Talkshows, wobei "Ringlstetter" genau genommen keine Talkshow, sondern eine Late Night Show ist. Auf ein klassisch gemachtes Talk-Format hätte ich überhaupt keine Lust. Deshalb kam mir "Wat is?!" im WDR wieder in den Sinn. Als Jugendlicher fand ich es total lustig, dass Jürgen von der Lippe nie wusste, welche Gäste kommen, und sein Kameramann "Günni" ihm falsche Fährten legte. Ich dachte mir, das ist der einzige Spin, der mich interessiert: Wie geht ein Host um mit realer statt redaktionell vorbereiteter Begegnung?

Sie gehen in Ihren "Club 1" tatsächlich ahnungslos rein?

Bis auf einen Musikgast, den ich persönlich kenne und in die Show mitbringe, um ein bisschen Musik zu machen und vielleicht auch das Corona-Thema zu besprechen, das ja viele Künstlerinnen und Künstler gerade sehr umtreibt, ist das so. Nur die Caro weiß, wer kommt.

In "Ringlstetter" hat besagte Carolin Matzko ihren Platz hinter der Bar als Ihr engagierter Sidekick. In "Club 1" macht sie Ihnen quasi den "Günni"?

So isses. Die Caro ist mein "Strukturhase" – so nennt sie sich selber, das ist nicht von mir. Sie weiß alles. Wer kommt wann? Wer hat einen neuen Film, wer ein neues Buch? Ich weiß das ja alles nicht. Insofern ist die Caro, korrekt professionell gesprochen, meine Redakteurin im ON. Sie sitzt hinter meinen Gästen in Blickrichtung zu mir und kann jederzeit eingreifen. Ich finde das tatsächlich ein schönes Signal: Die Frau führt durch den Abend und der Mann darf sich austoben.

Warum ist es nicht andersrum?

Keine Ahnung. Ich bin jedenfalls ein großer Kämpfer für die Frauen im Fernsehen. Reine Männerrunden gehen mir auf die Nerven. Fürchterlich! Darum wollte ich immer mit so einer intelligenten Frau wie der Caro arbeiten, nicht mit irgendeinem Showhaserl. Sie lässt sich viel besser auf unterschiedliche Energien ein als ich. Mal selbstkritisch gesprochen: Ich neige dazu, Fernsehunterhaltung genauso zu machen wie mein Programm auf der Kabarettbühne. Ich bleib‘ da leider oft hängen und mach' mein Ding. Die Caro holt mich da raus. Deswegen steckt überhaupt nichts Abwertendes drin, wenn sie, wie in "Ringlstetter", hinter der Theke steht. Dass das oft so hineininterpretiert wird, macht mich traurig.

Stand-Up, Schreibtisch, Band und Gäste – "Ringlstetter" hat alles, was eine typische Late Night ausmacht. Warum scheitern so viele andere Hosts am Format? Auch Sie hatten Anlaufschwierigkeiten. Wo liegen die Fallstricke?

Der erste Fallstrick bei der Late Night ist die Entscheidung, eine machen zu wollen. Entweder vergleichen dich die Leute mit Harald Schmidt und sind dann enttäuscht, dass du nicht Harald Schmidt bist. Oder du kriegst nicht den Raum und die Zeit, um dich zu entwickeln und hörst zu früh auf. So bringst du es aber nie zur Tradition. Das größte Problem aber ist die feste Struktur: am Anfang ein Stand-Up, dann zwei Gäste.

Und nicht jeder kann Stand-Up?

Sagen wir so: Es hilft dir nicht, was wir am Anfang auch getan haben, die besten Late Night-Autorinnen und -Autoren einzukaufen, wenn das, was sie dir für die 20 Minuten vorne zusammenschreiben, mit dem bricht, wofür du als Präsentator stehst. Wenn du plötzlich eine andere Humorlage hast oder eine andere Art zu präsentieren, dann verlierst du die Menschen.

Late Night ist scheißschwieriges Handwerk.

Was war Ihre Lösung?

Wir haben das Autorenteam tatsächlich drei Mal durchgewürfelt und neu besetzt. Aber als erstes musste ich selber herausfinden, was ich vorn erzählen will und wie. Die zynisch-überhebliche Variante, von der Harald Schmidt als "Dirty Harry" lebte, funktioniert mit mir nicht. Ich brauche um 22 Uhr auch nicht als Dritter mit demselben Thema des Tages anzukommen und es satirisch zu verpacken so wie "quer" um Viertel nach acht, dann ist es durch. Es hat ein Jahr gedauert, bis ich das kapiert habe und wir im laufenden Betrieb umgestellt haben. Das war eine echt schlimme Zeit. Lustigerweise ging es dem Klaas [Heufer-Umlauf] mit seiner Late Night auf ProSieben auch so. Das hat mich beruhigt. Es liegt einfach in der Natur der Sache. Late Night ist scheißschwieriges Handwerk.

Unique Selling Point Ihrer Late Night ist, dass Sie das bayerische Heimatgefühl und -personal pflegen und trotzdem überraschend viele Zuschauer auch außerhalb Bayerns haben. Wie bayerisch wird "Club 1"?

Natürlich bleibe ich die Stimme des Südens, weil ich kling‘, wie ich kling‘. Ich finde, das darf man hören, aber man muss es nicht permanent betonen. Wir haben jedenfalls keinen Anspruch, die regionale Färbung ins Erste zu bringen. An dieser Stelle muss ich mal meinem Haussender ein Lob aussprechen. Um die zwei Abendstrecken mit Kabarett und Late Night, die sich der BR jeden Donnerstag und Freitag im Dritten Programm erlaubt, werden wir in den anderen Bundesländern beneidet. Das weiß ich aus Kollegengesprächen. Da macht der BR einen echt guten Job. Und man darf viel mehr im BR, als manche glauben. Deshalb bin ich auch froh, dass die verantwortliche Redaktion von "Ringlstetter" auch bei "Club 1" dabei ist.

Aber warum dürfen Sie Ihren Namen als Sendetitel nicht ins Erste hinübernehmen?

Interessant, dass Sie das so sehen. Ich selbst wollte das auf gar keinen Fall, um das Mutterschiff nicht zu verwässern. "Ringlstetter" ist in Bayern eine Institution geworden. Deswegen will ich den Leuten nicht das Signal geben, das Dritte ist mir nicht mehr gut genug, ich gehe mit "Ringlstetter" ins Erste.

Der neue Formatname "Club 1" weckt natürlich Erinnerungen an den legendären "Club 2" auf ORF 2. Das war jene Diskussionssendung, in der Nina Hagen vor 40 Jahren sehr anschaulich auf die richtige Stelle der weiblichen Selbstbefriedigung deutete...

Ja, kenn‘ ich, selbstverständlich. "Club 2" war die erste Talkshow in meinem Leben, die ich angeschaut habe. Und weil mein Produzent Österreicher ist und wir einen ähnlich anarchistischen Ansatz vorhaben, landeten wir schließlich bei "Club 1".

Wie kamen Sie und David Schalko, der zugleich Produzent von "Willkommen Österreich" und "Ringlstetter" ist, eigentlich zusammen?

Das ist eine saulustige Geschichte: Wir hatten uns in Wien auf der Party eines gemeinsamen Kumpels kennen gelernt. Zwei Jahre später kamen wir auf die Idee, gemeinsam auf Lesetour zu gehen, jeder von uns mit dem eigenen Buch im Gepäck. Drei Termine in Österreich, drei in Bayern. Es war der größte Misserfolg meines Lebens. In einer Woche kamen wir auf vielleicht 50 Zuhörer. Nun musste David über diese Tour ein Blog für "Zeit Online" schreiben. Es gab aber nichts zu schreiben, weil nichts los war. Also dachten wir uns jeden Tag irgendwas aus. So lernten wir uns schätzen und lieben. Als es dann im BR die Überlegung für eine Late Night Show gab, war mir klar, dass ich das nur mit David und John [Lüftner] von der Superfilm machen möchte. Durch "Willkommen Österreich" mit Stermann & Grissemann hatten sie uns bereits eine Riesenerfahrung voraus.

Eine Mischung aus amerikanischer Late Night-Kulisse und DDR-Politbüro.

Zumindest optisch kommt "Ringlstetter" dem guten alten "Club 2" schon sehr nahe. Das Studio scheint im existenzialistischen Schwarz zu versinken, dafür leuchten die Akteure vor der Kamera umso heller. Wie wird "Club 1" aussehen? Und wie anarchisch wird Ihre Talkshow?

Das weiß ich noch nicht. Aber sie wird auf jeden Fall extrem gut aussehen. Eine Mischung aus amerikanischer Late Night-Kulisse und DDR-Politbüro. Wir sitzen im Kreis, das Publikum drumherum. Licht kommt nur von oben. Schick und gemütlich, sag ich mal.

Und wie viel Senderproporz-Denken steckt hinter "Club 1"? Sprich: War es an der Zeit, dass auch der BR als viertgrößte ARD-Anstalt im "Talk am Dienstag" vorkommt?

Ich weiß, wir sind auf DWDL.de, aber für medienpolitische Fragen bin ich der schlechteste Gesprächspartner, weil es mich überhaupt nicht interessiert. Sobald ich darüber nachdenken würde, käme Druck auf. Und Druck macht Kreativität kaputt. Wenn es mit "Club 1" im Ersten funktioniert, freue ich mich. Und wenn nicht, mein Gott, dann mache ich nur mit "Ringlstetter" weiter.

Wenn Sie am 27. Oktober die zweite Ausgabe von "Club 1" moderieren, könnte der BR erstmals in seiner Geschichte eine Intendantin haben. Die Frauen im Sender sagen: höchste Zeit. Und Sie?

Mit der ersten Intendantin des Senders ein Signal setzen zu wollen, finde ich an sich gut und richtig. Ich habe allerdings ein Problem damit, sollte das Geschlecht alleiniges oder gar Ausschlusskriterium sein. Letzteres halte ich für eine Sauerei. Wer es geil macht, soll den Job kriegen, egal ob Mann oder Frau. Ich komme jedenfalls mit Frauen in Führungspositionen sehr gut zurecht. Mit Annette Siebenbürger habe ich bereits eine super Unterhaltungschefin im BR.

Was glauben Sie, würde sich ändern mit einer Intendantin Katja Wildermuth – für Sie, für den Bayerischen Rundfunk überhaupt?

Bei einem Intendantenwechsel steht immer alles auf dem Prüfstand. Große Strukturen bergen Probleme. Sie neu aufzudröseln, kann sinnvoll sein. Ich stecke da aber zu wenig drin. Ich kenne mich nur inhaltlich aus. Und in der Hinsicht war und ist der BR unter Ulrich Wilhelm für uns Kreative ein super Arbeitgeber. Ich habe es nie erlebt, dass der Intendant oder der Rundfunkrat mir in meine tägliche Arbeit hineingeredet hätten.

Nun muss der Sender weiter runter mit seinen Kosten. Für Ihre Shows scheint immer noch genug Geld übrig zu sein?

Als externe Produktion bekommen wir ein Budget. Das wird verhandelt. Damit müssen wir auskommen. Soweit völlig normal. Andererseits leben wir in anderen Zeiten. Wenn früher einer jede Woche eine Fernsehsendung hatte, dann war er ein gemachter Mann und mietete sich eine Villa in Beverly Hills. Heute reicht es für ein Häuschen auf dem Land. Ist auch okay. Ich finde es gesund, dass alle mal ein bisschen runterkochen.

Herr Ringlstetter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

"Club 1" feiert am Dienstagabend um 22:50 Uhr Premiere auf dem "Talk am Dienstag"-Sendeplatz im Ersten. Die zweite Folge ist für den 27. Oktober angekündigt. "Ringlstetter" läuft immer donnerstags um 22 Uhr im BR Fernsehen.