Frau Biernat, kommenden Montag läuft die 90-minütige Dokumentation „Expedition Arktis im Ersten. Wie viel Prozent des gedrehten Materials von der Mosaic-Expedition ist das?

(lacht) Wir hatten am Ende 700 Terabyte Material auf 1,4 Petabyte Speicher, alles doppelt gesichert. Diese Menge an Material zu überblicken, zu sichten und daraus eine Dokumentation zu fertigen, war unsere Herausforderung der vergangenen Monate. Erstausstrahlung der 90-minütigen Dokumentation ist kommenden Montag um 20.15 Uhr im Ersten. Dann machen wir zusätzlich für den hr, NDR und den rbb jeweils kürzere Dokumentationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beim hr geht es um das Wetter, der rbb fokussiert sich auf Brandenburger Wissenschaftler am Nordpol und der NDR als norddeutsche ARD-Anstalt hat einen eigenen, maritimen Fokus auf die „Überlebenszelle“ Polarstern.

UFA Show & Factual ist normalerweise im Entertainment zuhause, wo man gewohnt ist, viel justieren zu können. Hier war eine Crew monatelang unterwegs ohne, dass sie erstes Material zu sehen bekommen haben… 

Natürlich sitzt man in den Monaten, in denen die unterwegs waren, auch oft zuhause und denkt sich „Hoffentlich geht das gut. Hoffentlich ist das Material gut. Hoffentlich ziehen die Leute alle mit etc.“ Wissenschaftler sind mitunter nicht immer die Kommunikativsten und nicht jeder lässt sich gerne beim Arbeiten zugucken. Geholfen hat sicher, dass allen bewusst war, dass diese Expedition etwas Außergewöhnliches ist, das festgehalten werden muss.

Wie muss ich mir die Vorbereitung vorstellen, wenn dann vor Ort ein zweiköpfiges Team auf sich gestellt ist?

Man muss vorher eine klare Vorstellung haben, wie man herangehen möchte. Philipp Grieß und Jakob Stark haben einen großartigen Job gemacht im Briefing des gesamten Teams. Was wollen wir drehen? Was machen wir auf gar keinen Fall? Wichtig war auch der Umgang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, denn nur weil jemand bei einem Experiment spontan jubelt „Juhu, ich hab’s“, ist das noch keine validierte Aussage. Man darf sich nicht vom Moment berauschen lassen. Natürlich überlegt man sich auch, welche Forscher und welche Aspekte wir gerne erzählen würden. Und man besorgt jedes Stück Equipment doppelt, weil man keine Chance hat, nachzuliefern, falls etwas kaputt geht. 

Wie viel Kontakt gab es denn während der Expedition?

Wir konnten miteinander telefonieren, wenn der Bordfunker eine Satellitenverbindung herstellen konnte.  WhatsApp hat auch funktioniert, allerdings nur ohne Fotos, aber da schreibt man dann auch keine Romane. Material zu übertragen war undenkbar. Es hat Monate gedauert, bis wir das erste Material hier bei uns in Köln hatten. Die längste Etappe, in denen niemand von Bord konnte, waren 139 Tage. Das war gar nicht so lange vorgesehen, aber da kam dann auch noch die Corona-Pandemie. Das bedeutete zwar verspätetes Material, aber war natürlich auch spannend einzufangen, was das mit Menschen macht, die länger als geplant unter diesen Bedingungen ausharren müssen. Was übrigens in den Dokumentationen noch nicht drin ist, ist die Rückkehr der Polarstern; das Einlaufen in den Hafen. Das Material haben wir erst am 12. Oktober von Bord holen können.

Also gibt es die Gelegenheit für einen Nachschlag?

Das läge auf der Hand, denn das Material ist vorhanden. Es wäre nahezu verschenkt, es jetzt nicht auch zu verwenden. 

Expedition Arktis © UFA / Esther Horvath Das Forschungsschiff "Polarstern" der Mosaic-Expedition

Sie sind bei dem Projekt als Produktionsfirma ins Risiko gegangen. Woher der Mut? 

Nico Hofmann hat das Thema über die Helmholtz-Gemeinschaft für die UFA entdeckt. Nico und Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, kennen sich. Das war eine einmalige Chance, ein Forschungsschiff mit so vielen Wissenschaftlern aus zwanzig Ländern zu begleiten, die quasi wie eine Mini-UNO am Nordpol unterwegs sind und dabei in einem Umfang Erkenntnisse und Daten sammeln, die es zuvor noch nie gegeben hat. Wir haben dann Prof. Dr. Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut kennengelernt. Gemeinsam haben wir die grundsätzliche Frage der medialen Aufbereitung besprochen und welche Medien an Bord sind. Es waren die ersten vier Wochen beispielsweise auch noch andere Medienvertreter dabei. Die Expedition begann ja mit zwei Schiffen - Polarstern und Federov - um nötiges Material für die späteren Wochen transportieren zu können. Und als die Federov umgedreht ist, waren wir das einzige Filmteam an Bord. Nach der Auftaktberichterstattung im vergangenen Jahr wurde es deshalb erstmal stiller - bis zur „Expedition Arktis“ am Montag im Ersten. Leider müssen wir auf eine geplante Kino-Premiere verzichten. Das ist Corona-bedingt nicht möglich, was ich persönlich sehr schade finde.

Die Doku läuft um 20.15 Uhr. Auf dem Sendeplatz sind Dokumentationen selten geworden. War der Sendeplatz unstrittig?

Die Dokumentation läuft zum Auftakt der Themenwoche „#WIELEBEN - Bleibt alles anders“, bei der in diesem Jahr der Rundfunk Berlin-Brandenburg federführend ist. Da passte unser Projekt super rein. Senderseitig wird die Dokumentation ganz wunderbar von Ute Beutler vom rbb, Marc Brasse vom NDR und Sabine Mieder vom hr verantwortet. Allen war gleich zu Beginn klar: Es braucht einen attraktiven Sendeplatz. Die ARD war unser erster Partner für dieses Projekt, aber allein durch diese Auswertung refinanziert sich das Projekt für uns nicht. Die weitere, internationale Auswertung des Materials liegt bei der UFA bzw. Fremantle und der Content Alliance von Bertelsmann. Das macht die Auswertung dieses Projektes so reizvoll. Random House bringt Bücher heraus, Gruner & Jahr begleitet das Thema dank Reporterin Marlene Göring und Fotografin Esther Horvath - die auch mit an Bord waren - in seinen Magazinen. Und die Audio Alliance ist auch dabei.

Nur die Mediengruppe RTL als Senderpartner nicht.

Wir haben das Projekt im vergangenen Jahr in der Content Alliance von Bertelsmann besprochen, es gab von vielen Seiten Interesse, aber bei RTL eher Zurückhaltung, was auch deren gutes Recht ist. Das Beispiel der Forschungsreise Mosaic zeigt eigentlich gut, was die Content Alliance kann, aber dass es gleichzeitig bedeutet: Wir sind unverändert offen für alle Marktteilnehmer und freuen uns, dass wir mit der großen TV-Dokumentation jetzt bei der ARD um 20.15 Uhr laufen. Die Zusammenarbeit mit so vielen Partnern und einer Auswertung auf diversen Kanälen ist eine spannende neue Arbeitsweise, die ich gerne in Zukunft intensivieren will. Wir haben da auch schon ein paar Ideen.

"Wir diskutieren gerade im UFA Board, wie wir künftig solche High-End-Projekte realisieren."

Aber passt diese Entwicklung unter die Marke UFA Show & Factual?

Wir diskutieren gerade im UFA Board, wie wir künftig solche High-End-Projekte realisieren. High-End-Doku ist für mich alles, was international verkaufbar ist. Da will ich nicht der BBC den Rang ablaufen, aber der Anspruch muss sein, Themen zu finden, die auf großes Interesse stoßen und diese mit dem Handwerk zu erzählen, das wir beherrschen: Themen über die Menschen zu erzählen. Dieser besondere Zugang zu Menschen, den wir haben, unterscheidet uns von anderen. Unser Format „Hartz und herzlich“ ist eine Sozial-Dokumentation. Unsere Kamera-Leute wohnen vor Ort in den Vierteln, es wird gedreht, was passiert - und wenn nichts passiert, wird nichts gedreht. Ich lege Wert darauf, dass wir da in Abgrenzung zu anderen Formaten in diesem Fahrwasser mit klaren Prinzipien herangehen. Menschen so zu erzählen, ist unsere persönliche Herangehensweise.

Aber eine Highend-Doku verkauft man der ARD wohl kaum mit dem Siegel „Von den Machern von ‚Hartz und herzlich‘“…

Wir haben eine eindeutige serielle Doku-Expertise durch einen Teil unserer vielen Factual-Formate. Natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren, daher denken wir auch über ein eigenes Label nach. 

Sie sprachen eben kurz von der internationalen Auswertung. Wie ist da der Stand der Dinge?

Die internationale Vermarktung von „Arctic Drift“, so der englische Titel, übernimmt Fremantle. Durch die internationale Crew an Bord des Schiffes ist nicht nur das Thema international von Relevanz. Es lassen sich natürlich auch andere Bezugspunkte und Akteure in den Mittelpunkt stellen.

Und daran wird auch gerade gearbeitet?

Die internationale Fassung wird gerade parallel in London erstellt. Die Kollegen haben von uns neben dem Rohmaterial aber auch 1:1 das bekommen, was wir daraus gemacht haben, denn bei mehreren hundert Stunden Drehmaterial von Null anzufangen - das dauert. Und niemand kennt das Material so gut wie wir. Das ist ein reger Austausch, damit die internationale Fassung dann ab Januar verfügbar sein wird.

Frau Biernat, herzlichen Dank für das Gespräch