Herr Bauer, am Montag sollen die Australian Open stattfinden, die Eurosport übertragen will. Jetzt steht das Turnier wegen eines Corona-Falls im Turnier-Hotel auf der Kippe. Wie groß ist Ihre Anspannung? 

Relativ gering. Natürlich beobachten wir die Entwicklung gespannt, haben jedoch volles Vertrauen zu Tennis Australia, die dies bisher streng und konsequent angegangen sind. Wir hoffen und freuen uns darauf, das Turnier ab Montag zu übertragen. Da es auch ohne Zuschauer stattfinden könnte, machen wir uns da keine Sorgen. Jeder, der negativ getestet wird, kann wieder in seine Bubble zurückkehren. Das sollte für die meisten gelten. Auch wenn wir gestern unsere Übertragungen leider absagen mussten.

Schon jetzt sollen die Australian Open einige Wochen später als ursprünglich geplant. Corona dürfte damit auch Ihre Pläne der Berichterstattung durchkreuzt haben, oder?

Die Berichterstattung ist schwierig, aber sie ist möglich. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man ein großes Grand-Slam-Turnier vor Ort komplett mitnehmen kann. Nach fast einem Jahr, in dem wir nun schon mit den Auswirkungen der Pandemie leben müssen, haben wir uns allerdings gut zurechtgefunden. Dabei hilft uns beispielsweise unser neues virtuelles Studio, das wir vor einigen Monaten in Betrieb genommen haben. Innovation, Investition und Information, das ist die Formel, die wir uns auf die Fahnen schreiben. Und gerade im Tennis, wo Alexander Zverev auf dem Weg ist, ein Weltstar zu werden, wollen wir nicht stehen bleiben. Bis zu 30.000 Zuschauer sind vor Ort zugelassen, für den Zuschauer wird es damit das belebteste Grand Slam seit Beginn der Pandemie. Vielleicht wird es ja wirklich der „Happy Slam“.

Was wird konkret anders sein?

In der Vergangenheit haben wir sehr erfrischende Formate mit Boris Becker umgesetzt, etwa "My Melbourne", "My Paris" oder "My New York", wo er zum Beispiel erzählte, in welchen Clubs er früher unterwegs gewesen ist. Das geht jetzt, da wir in München bleiben, natürlich nicht. Nach zwei Grand Slams unter Corona-Bedingungen haben wir allerdings einen Weg gefunden, um all unsere technischen Tools so zu nutzen, dass wir trotz der Umstände eine abwechslungsreiche Berichterstattung liefern können. Daran hat auch Boris großen Spaß und bringt sich gut ein.

Die Arbeitszeiten dürften diesmal allerdings nicht so angenehm sein.

Der Early Bird ist gefragt. (lacht) Aus diesem Grund werden wir in den frühen Morgenstunden diesmal nicht lokalisieren, haben mit Eurosport International aber die Abmachung getroffen, dass unsere Spielwünsche so weit wie möglich erfüllt werden. Wenn also Angelique Kerber in der Nacht spielt, wird das auch bei uns zu sehen sein. Abseits davon wird unsere Berichterstattung um 7 Uhr mit Barbara Rittner und unserem Neuzugang Sascha Bandermann beginnen. Außerdem wollen wir versuchen, das Turnier auf Clubhouse zu begleiten. Das ist eine neue Plattform, bei der wir ein paar Testballone starten möchten, weil sie ein direktes Feedback ermöglicht. Abgerundet wird die Berichterstattung von "Matchball Becker" und den Backstage-Videos von Mischa Zverev, den wir gerne stärker als bisher einbinden möchten. 

Eigentlich vergeht kein Tag, ohne dass es nicht irgendwo zu einer Änderung kommt und wir umplanen müssen.

Wenn deutsche Spieler wie Alexander Zverev sehr gut spielen, schnellen die TV-Quoten schnell nach oben. Der ganz große Hype, wie der Tennissport ihn einst zu Zeiten von Becker und Graf erlebte, ist aber unerreicht. Wo steht Tennis heute aus Ihrer Sicht?

Es braucht ganz einfach einen deutschen Grand-Slam-Sieg, um das Interesse weiter anzuheizen. Vielen Zuschauern ist selbst eine Finalteilnahme leider nicht gut genug. Gleichzeitig steht das Tennis vor Veränderungen, weil bei den Top-5-Spielern die Karriereenden absehbar sind. Es wird dem Sport schwerfallen, die Lücke, die Djokovic, Federer oder Nadal hinterlassen werden, zu schließen. Aus diesem Grund zeigen wir auch heute schon vermehrt die nächste Generation, auch wenn diese Spiele vielleicht noch nicht auf dem absoluten Top-Niveau sind. Aber es gibt viele spannende Persönlichkeiten wie Coco Gauff, Jannik Sinner, Andrey Rublev, Casper Ruud oder Nick Kyrgios. Der Sport braucht auch solche polarisierenden Figuren. Davon abgesehen tut es dem Tennis meines Erachtens nach nicht gut, dass viele große Matches hinter der Paywall zu sehen sind. Umso wichtiger ist daher unsere Rolle als Grundversorger mit drei großen und vielen kleineren Turnieren, die wir übers Jahr hinweg übertragen.

Durch Corona hat sich die Sportberichterstattung der vergangenen Monate massiv geändert. Wie normal fühlt sich das inzwischen eigentlich an?

Es ist Routine geworden und spätestens zu den Olympischen Spielen wird es uns möglich sein, dass der Regisseur in Hamburg, der Bildmischer in Paris und der Soundtechniker in Amsterdam sitzen können. Alle können dann remote von zu Hause aus eine komplette TV-Produktion fahren. Das hat den positiven Nebeneffekt, Reisekosten zu sparen und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Klar ist aber auch, dass wir alle uns freuen werden, wenn wieder ein Stück weit Normalität einkehren wird. Der direkte Kontakt mit dem Athleten fehlt natürlich auf Dauer. Aber Sascha Zverev war bei den US Open, ironischerweise dank Corona, so offen wie nie und hatte viel mehr Zeit für uns.

Anders als im ersten Lockdown ist eine Profisport-Pause derzeit eigentlich kein Thema. Überrascht Sie das?

Eigentlich schon, allerdings werden in allen Sportarten inzwischen tolle Hygiene-Konzepte umgesetzt, die dafür sorgen, dass Profisport doch möglich ist. Dennoch merken wir derzeit besonders im Wintersport, dass es viele Verschiebungen gibt. Eigentlich vergeht kein Tag, ohne dass es nicht irgendwo zu einer Änderung kommt und wir umplanen müssen. Dass die Australian Open später starten als sonst, ist natürlich ein Luxusproblem. Aber auch ein Luxusproblem ist ein Problem.

Wie meinen Sie das?

Ursprünglich hatten wir eine lange Programmschiene geplant, von den Australian Open über die alpine Ski-WM bis hin zur nordischen Ski-WM. Sechs Wochen, in denen es genügend Platz für eine intensive Berichterstattung und Cross-Promotion gibt, aber auch mehr Möglichkeiten zur Monetarisierung. Dass nun alles innerhalb von vier Wochen stattfindet, ist mit Blick auf die Refinanzierung von Sportrechten durchaus eine echte Herausforderung, weil sich die Sportarten gegenseitig kannibalisieren. Dadurch werden wir beispielsweise den ersten Lauf im Ski alpin mitunter eben nicht im Free-TV zeigen können, weil gerade noch Tennis läuft. 

Wie wollen Sie dieses Dilemma lösen?

Wir werden unsere Wintersport-Fans beispielsweise mit kurzen Updates auf dem Laufenden halten, sei es über einen Crawl oder einen Einspieler im Studio. Daneben lohnt es sich, in OTT investiert zu haben, um den Zuschauern in solchen Fällen die Möglichkeit zu geben, auf dieses Angebot auszuweichen. Am Ende zählt natürlich, dass die Veranstaltungen überhaupt stattfinden.

Boris Becker © Discovery Boris Becker im Eurosport-Studio

Stichwort OTT: Neben dem Eurosport Player gibt es inzwischen auch einen umfangreichen Sportbereich beim Streamingdienst Joyn, den Discovery gemeinsam mit ProSiebenSat.1 betreibt. Was hat für Sie eigentlich Priorität? 

Beides. (lacht) Es gibt letztlich ein Interface, von dem aus alles in den Eurosport Player hineinläuft und automatisch auf die einzelnen Plattformen weiterverbreitet wird. Schon jetzt ist unser ganzes Konzept auf OTT first ausgerichtet. Wir haben sogar mittlerweile unseren Kommentar so umgestellt, dass nicht nur für den linearen Output kommentiert wird, sondern auch für alle OTT-Plattformen, weil wir dort große Zuwächse bei der Nutzung feststellen. 

In diesem Jahr sind noch die Olympischen Spiele geplant. Wie plant man ein solches Event, ohne zu wissen, ob es überhaupt stattfindet?

Indem man fest davon ausgeht, dass es stattfindet. (lacht) Sobald du da zu zweifeln anfängst, würde das nicht gutgehen. Unser Equipment für die Sommerspiele in Tokio kommt auch gar nicht zurück, sondern wird direkt weiterverfrachtet nach Peking, wo schon in einem Jahr die Winterspiele stattfinden werden. Wichtig ist, dass wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sind.

Herr Bauer, vielen Dank für das Gespräch.