Frau Arendt, Sie führen den NDR und die „Tagesschau“-Redaktion bei ARD aktuell auf Ihrer Kundenliste. Für welches Problem bieten Sie eine Lösung?

Wir können unsere Auftraggeber dabei unterstützen, Diversität in allen audiovisuellen Inhalten sichtbar zu machen. Wir wissen, dass selbst divers aufgestellte Reaktionen Output liefern können, der stark durch Vorurteile geprägt ist. Viele Medienunternehmen sind hier schon sehr aktiv und versuchen dem mit einzelnen Studien händisch entgegenzuwirken. Hier setzt die Software von Ceretai an, die Zeit und Aufwand spart sowie eine verlässliche Datengrundlage für die kontinuierliche Analyse liefert.

Wie definieren Sie Diversität?

Sehr vielschichtig. Darin liegt die Frage nach Geschlecht, Alter, Herkunft, Nationalität, körperliche oder geistige Fähigkeiten und vieles mehr. Derzeit kann unser Tool eine Geschlechter-Analyse vornehmen, sowohl nach Sprachaufteilung als auch nach Bildschirmpräsenz. Auch nach Alter und durchschnittlichem Alter je Geschlecht oder nach verschiedenen Portraits analysieren wir redaktionelle Inhalte. Wir können zeigen, mit welchen Emotionen die Geschlechter dargestellt werden. Darüber hinaus hat Ceretai mit dem Smile-Faktor eine eigene Messgröße etabliert, die die unterschiedliche Darstellung der Geschlechter widerspiegelt. Das ist aber nicht das Ende der Fahnenstange. Wir arbeiten daran, die Analyse auf weitere Diversitäts-Merkmale ausweiten zu können.

Ihr Startup analysiert seit gut zwei Jahren in Schweden und seit Ende 2019 auch in Deutschland, wie divers Inhalte sind. Was ist der Eindruck bisher? 

Wir sehen über ganz Europa hinweg, dass Medieninhalte männerdominiert sind, sowohl sprachlich als auch bei der Bildschirmpräsenz. Doch es gibt starke lokale Unterschiede. Erst kürzlich habe ich eine Analyse für ein Unternehmen in Frankreich verantwortet, die wesentlich ausgeglichener war als alles, was wir bisher in Deutschland zu untersuchen hatten. Signifikante Aussagen zu Veränderungen werden wir aber erst leisten können, wenn wir als junges Unternehmen durchgängig und über längere Zeit Prozesse bei Medienunternehmen begleitet haben. 

Welche Mediengattungen sind besonders aufgeschlossen? 

Ich habe den Eindruck, dass sich alle Medienhäuser mit dem Thema intensiver beschäftigen. Aber in besonderem Maße spüren wir ein Interesse bei der Filmwirtschaft, wo wir es mit sehr langwierigen Prozessen zu tun haben. Die Arbeit an einem Film zieht sich in der Regel über Jahre hin, es muss bereits in der Konzeption und im Drehbuch diverser gedacht werden. Sehr positive Impulse pro Diversität setzt beispielsweise das Filmfestival Göteborg. Die Organisatoren wollen nur Produktionen zeigen, in denen die Rollen zu 50 Prozent weiblich und zu 50 Prozent männlich besetzt sind. Unsere Kollegen aus Schweden stellen generell fest, dass die skandinavischen Länder ein anderes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein haben als beispielsweise deutsche Filmemacher. Doch das verändert sich gerade, was auch auf das Fernsehen einzahlt. Diversere fiktionale Produktionen leisten letzten Endes auch einen Beitrag für ein bunteres TV-Programm. 

Welche Motivation geben Medien an, wenn Sie beauftragt werden? 

Es gibt gesetzliche Gründe, für mehr Vielfalt in Unternehmen und Inhalten zu sorgen. Gerade bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es inzwischen eine Vielzahl von Diversity Managern, die den Zwang von außen klug im Inneren der Anstalt umsetzen. Eigentlich wissen alle, dass sie etwas tun müssen – nur oft nicht, wie.  Das ist dann der Zeitpunkt, an dem sie das Gespräch mit uns suchen. Hinzu kommt, dass junge Konsumenten vermehrt darauf pochen, die gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Diversität abzubilden. Wollen Medien dieses Publikum nicht verlieren, dann müssen sie an sich arbeiten.  

 

Wenn ein Team einseitig geprägt ist, wirkt sich das entsprechend auf die Inhalte aus.

 

Welche Messlatte legen Sie an? 

Über das Maß an Diversität in den Inhalten entscheiden jeweils die Kunden, je nachdem, welche Zielgruppen sie ansprechen wollen. Wir liefern die passenden Daten und die Analyse. Wenn wir Medienhäuser zusätzlich beraten, ist es uns wichtig zu vermitteln, dass nicht jede Sendung oder jedes Magazin für sich eine ausgeglichene Diversität zeigen kann, beispielsweise aufgrund der angesprochenen Zielgruppen oder vorgegebener Themen. 

Nehmen Ihre Auftraggeber Empfehlungen an, wie eine bessere Ausgewogenheit in der Berichterstattung bezüglich Geschlecht, Alter oder Herkunft erreicht werden kann?

Die Führungsspitzen sind in der Regel sehr aufgeschlossen, die Zustimmung zu Veränderungen ist groß. Allerdings steht dabei immer die Frage im Raum, wie schnell eine andere Zusammenstellung eines Teams überhaupt umsetzbar ist. Nehmen wir Nachrichten: Wirken dort zu 70 Prozent festangestellte Moderatorinnen, dann ist die Bildschirmpräsenz erst einmal überwiegend weiblich. Kein Chef würde entscheiden „Ich tausche für eine 50:50-Verteilung der Geschlechter eine erfahrene und beliebte Nachrichtensprecherin gegen einen Mann aus“. Das ist auch gar nicht das Ziel unserer Arbeit. Wir wollen vielmehr ein Bewusstsein für diversere Inhalte und Teams schaffen sowie Möglichkeiten aufzeigen, wie die Organisation langfristig auf vorher festgelegte Zahlen einwirken kann. 

Der Verein ProQuote Medien fordert nachhaltig mehr Frauen in Redaktionsspitzen. Was macht das mit Inhalten, wenn sie in überwiegend männlich geführten Medienhäusern entstehen? 

Wissenschaftlich valide kann ich das nicht belegen. Doch wir beobachten mit Ceretai, dass homogene Teams in der Regel blinde Flecken bei ihrer Arbeit aufweisen – egal, ob Frauen oder Männer in den Redaktionen arbeiten. Das liegt daran, dass wir alle Vorurteile mit uns herumtragen, die sich bei Kollegen gleichen Geschlechts oder Alters stark ähneln. Wenn ein Team einseitig geprägt ist, wirkt sich das entsprechend auf die Inhalte aus. Entgegenwirken können Medienhäuser, indem sie Redaktionen divers aufstellen. Nur in bunten Teams kommen Themen aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden. Gerade bei Nachrichten ist es absolut wünschenswert, dass sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wiederfinden. 

  • Zur Person

    Bevor Meike Arendt im September 2020 als CEO von Ceretai in Deutschland startete, baute sie ab 2019 als Managing Director das Deutschlandgeschäft des französischen Native-Advertising-Anbieters Quantum auf. Zuvor war sie 6 Jahre beim Vermarktungs-Joint-Venture AdAudience in leitender Funktion tätig, seit 2017 als Geschäftsführerin. Meike Arendt startete ihre Karriere bei ProSiebenSat.1, wo sie verschiedenste Positionen innehatte. Seit 2011 verantwortete sie bei SevenOne Media das Produktmarketing als Unit Director und gestaltete die Strategie in den Bereichen Video, Targeting und Mobile.

Wie sieht der deutsche Kundenkreis von Ceretai aus? 

Wir sind bereits mit sehr vielen Medienhäusern im Austausch. Das größte Interesse bringen uns bisher die öffentlich-rechtlichen Sender entgegen, ihr Feedback ist besonders positiv. Sie sind in unserer Wahrnehmung bereits einen Schritt weiter als etwa die meisten privaten TV-Anbieter. In der Summe wächst allerdings das Interesse am Thema. Und je mehr sich positive Veränderungen in der Branche herumsprechen, desto mehr Interesse findet unsere Arbeit. 

Was würden Sie sagen: Wie divers sind deutsche Redaktionen? 

Nimmt man Alter und Geschlecht als Kriterien, dann sind die Redaktionen in deutschen Häusern aus unserer Sicht inzwischen recht ausgeglichen. Einschränkend muss ich sagen: Das Jobprofil lässt eine vollkommene Diversität gar nicht zu. Eine Redaktion kann nicht die Gesamtbevölkerung abbilden. Letztlich sind Akademiker am Werk, die Jahre in ihr Studium investiert haben und beim Berufsstart einfach keine Teens mehr sind. Das Redaktionsspektrum erlaubt daher keine ganz Jungen, viele Positionen im Journalismus erfordern eine gewisse Berufs- und Lebenserfahrung.

Damit unterstützt der Hang der Sender, junge YouTuber fürs TV aufzubauen, also nachweislich die Diversität? 

Ich denke schon. Je vielfältiger die Menschen sind, die an der Erstellung von TV-Inhalten arbeiten, desto größer ist die Chance, dass auch die Inhalte selbst diverser werden. Einfach weil eine neue, weitere Sichtweise Einfluss auf die Produktion hat. Kommen teils sehr junge Mitarbeiter zum Zuge, schafft das einen Unterschied fürs gesamte Team. Mit den Tools von Ceretai wollen wir unseren Beitrag leisten, in der Summe die Medienlandschaft zu verändern und darauf einzuwirken, dass Inhalte diverser gestaltet werden. 

Frau Arendt, vielen Dank für das Gespräch.