Herr Kollatschny, vielleicht sollten wir die wichtigste Frage vorab klären: Was macht eigentlich ZDF Digital?

Wir sind schwer zu erklären. (lacht) Die ZDF Digital nimmt eine Sonderrolle in der deutschen Produzentenlandschaft ein, weil sie Innovation, Technologie und Content unter einem Dach vereint. Da gibt es etwa eine Trailer- und TV-Abteilung, die für das ZDF produziert, aber im vorigen Jahr auch für MagentaTV die „Lokalrunde“ mit Antoine Monot jr. gemacht hat. Gleichzeitig befassen wir uns auch mit Software- und App-Entwicklung oder spannenden Themenfeldern wie VR, AI oder Machine Learning. Dazu kommt eine große Data-Driven Social-Abteilung sowie der Bereich der Barrierefreiheit, der etwa Live-Gebärdensprache, Untertitelung oder Audiodeskription umfasst. Über unsere Unit Zcale entwickeln wir ausschließlich Projekte für Wirtschaftskunden wie Schott und Vodafone.

Klingt nach einem breiten Spektrum, das Sie im Auge behalten müssen.

Als ich im vergangenen Jahr meine Ansprechpartner*innen im Haus kennenlernte, habe ich selbst nicht gleich komplett überschauen können, was bei der ZDF Digital angedockt ist. Das Unternehmen ist in den vergangenen drei, vier Jahren extrem gewachsen. Inzwischen zählen wir mehr als 350 Mitarbeitende. Das ist auch für mich persönlich eine neue Größenordnung. Aktuell befinden wir uns daher in einer Reorganisation zu einer konsolidierten, klareren Struktur und damit auch zu einem klareren Geschäftsversprechen, bei dem wir uns die Schlagworte Content und Technologie auf die Fahnen geschrieben haben. Immer gestützt und angetrieben durch Innovation.

Ihr Unternehmen trägt das ZDF im Namen. Ist das denn immer eine Hilfe?

Es ist erstmal eine große Hilfe, weil mit dem Namen ZDF eine große Bekanntheit mitschwingt und das Haus für Solidität, Kompetenz und Qualität steht. Klar ist aber auch: Wenn wir uns ins Agenturgeschäft bewegen wollten, dann werden wir mit einer Hipster-Agentur aus Prenzlberg nur schwer mithalten können. Daher müssen wir schauen, wer unsere Zielgruppen sind und uns eher um jene kümmern, die dem ZDF näherstehen. Wir sollten uns nicht auf der falschen Tanzfläche bewegen.

Kann ein altes Haus wie das ZDF überhaupt ein Innovationstreiber sein?

In meinen Augen ist der teilweise viel zu arrogante Blick der Produzent*innenlandschaft auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk falsch. Ich selbst bin ziemlich überrascht, an wie vielen Fronten sich die Kolleg*innen Gedanken machen und wie Workflows optimiert werden und dass sich viele, gerade auch in verantwortlicher Position, den veränderten Herausforderungen seriös und kompetent stellen und sich auf nichts ausruhen. Innovative Formate wie die grimmepreisgekrönte Miniserie „drinnen“ sind ein gutes Beispiel dafür, wie schnell und kreativ in der Umsetzung mit aktuellen Themen im ZDF umgegangen wird.

 

Wir werden mit einer Hipster-Agentur aus Prenzlberg nur schwer mithalten können.

 

In der Vergangenheit hat ZDF Digital das Format „Du ahnst es nicht“ mit Thomas Anders produziert. Das klingt jetzt für mich nicht so recht nach Innovation. Wo liegt mit Blick auf TV-Produktionen derzeit Ihr Schwerpunkt? 

Ein solches Format würden wir heute sicher nicht mehr entwickeln. Unsere Konzepte müssen im Kern digital sein. Ein klassisches nur lineares TV-Produkt passt deshalb nicht so gut zu uns - das muss schon mehr zu bieten haben. Wir wollen das „Digital“ schließlich nicht nur im Namen tragen. Wir besitzen eine große TV-Journalismus-Kompetenz, die wir derzeit bei „ZDFzeit“ oder „ZDFzoom“ zum Ausdruck bringen. Dazu zählen in Zukunft aber auch immer mehr YouTube-only Drehs, wie wir sie beispielsweises für „37°“ machen. Perspektivisch ist sicher hilfreich, dass es seit einigen Monaten erlaubt ist, Formate nur mit Blick auf die Mediathek zu entwickeln. Dadurch wird sich unsere Rolle im ZDF-Verbund noch einmal anders definieren.

Stichwort Mediathek: Welche Aufgabe kommt ZDF Digital hierbei zu?

Uns geht es um die Frage, wie wir helfen können, die Mediathek zum Fliegen zu bringen. Dabei muss es nicht zwangsläufig nur um Produktionen gehen, sondern auch darum, Probleme zu lösen, die eher technologischer Natur sind. Dazu kommt das Dreieck zwischen Social Media, Mediathek und linearer Ausstrahlung, das perspektivisch eine noch wichtigere Rolle einnehmen wird. Schon jetzt ist Social Media unser größter Apparat. 

Zur Person

  • Nach langjähriger Tätigkeit als Produzent und Redakteur stieß Michael Kollatschny 2016 von Twitter Deutschland als Managing Director zu Endemol Shine Beyond Germany. Seither war er zudem als Director Light Entertainment und Commercial für Endemol Shine Germany tätig. Seit Anfang 2021 ist Kollatschny Geschäftsführer bei ZDF Digital.

Was heißt das konkret?

Wir beraten rund 45 Abteilungen im ZDF und stellen Inhalte her. Da reden wir von einer kontinuierlichen Betreuung, die es uns ermöglicht, miteinander zu wachsen. Dabei kommt beispielsweise dem Community Management große Bedeutung zu, weil gerade in Corona-Zeiten eine Vielzahl an Trolls Töne anschlagen, die erst mal schwer zu verdauen sind. Damit als Moderator*in umzugehen, die Marke sauber zu transportieren und trotzdem abends den Kopf frei zu kriegen, ringt mir großen Respekt ab.

Aber es macht sicher nicht für jede Marke Sinn, auf jeder Plattform vertreten zu sein, oder?

Man muss sich bewusst sein, welche Kanalstrategie man zu welcher Marke fahren kann. Im Falle von ZDFinfo verantworten wir den Insta-Kanal, der mehr sein soll als ein reines Promotion-Tool. Das ist ein autarker Kanal mit einer eigenen Themenwelt und einem eigenen Look. Aktuell beginnen wir damit, YouTube-Kanäle für verschiedene ZDF-Marken aufzubauen, darunter ein Wissenskanal für ZDFinfo oder ein Kanal zu „planet e.“, in dem es um Nachhaltigkeit geht. 

Wie wichtig ist die Internationalisierung für ZDF Digital?

Die Internationalisierung spielt zum jetzigen Zeitpunkt eine untergeordnete Rolle und zielt momentan beispielsweise darauf ab, ZDF-Programm für eine Ausstrahlung in Skandinavien mit skandinavischen Untertiteln zu versehen. Ein anderer Weg könnte sein, selbstentwickelte Produkte international zu vermarkten. Dazu zählt ein mobiles Reporterschnitt-Tool, das im Haus entstanden ist, aber auch Forschungsprodukte, in denen es darum geht, wie wir mit Metadaten arbeiten. Jetzt gilt allerdings erst mal: Mainz und Berlin first.

 

Eine Kultur zu schaffen und Vertrauen aufzubauen, hat höchste Priorität.

 

Das dürfte auch für Ihre ersten Monate gegolten haben, schließlich haben Sie Ihren Posten inmitten der Corona-Pandemie angetreten. Wie läuft das Kennenlernen der Belegschaft in diesen Zeiten ab?

Wir alle müssen noch immer kompromissbereit sein und konnten sicher an der ein oder anderen Stelle noch nicht das Vertrauen aufbauen, das wir durch persönliche Nähe hätten bekommen können. Gleichzeitig war es mir wichtig, neben den Prokuristen möglichst schnell alle Bereichsleiter*innen kennenzulernen und mit ihnen wöchentliche Teams-Meetings zu veranstalten. Daneben haben wir uns dann auch mal in meinem Büro getroffen. Natürlich mit viel Abstand. Da macht man eben mal die Fenster auf und zieht einen Schal an, aber es ist wichtig, sich auch mal in die Augen zu schauen.

In der Mitteilung Ihrer Personalie wurde auch explizit auf Ihre Führungskompetenz hingewiesen. Vermutlich kein unwichtiger Punkt nach den negativen Schlagzeilen um Ihren Vorgänger, oder?

Als Neuer in eine verunsicherte Kultur zu kommen, ist nie ganz einfach. Aktuell sind wir dabei, die Brücken zueinander zu bauen. Eine Kultur zu schaffen und Vertrauen aufzubauen, hat höchste Priorität. Es braucht Vertrauen, um in Bewegung zu kommen und Gedanken frei zirkulieren zu lassen. Aus diesem Grund haben wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen, etwa durch Arbeitsgruppen oder die Gründung eines Vertrauensrats. Dazu kommen eine externe Mediationsgruppe, Ausbildungen zu Dialogberater*innen und weitere Mechanismen, die das Ziel haben, der Mitarbeitendenbestimmung ein Fundament zu geben - weg von Top Down, hin zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächste Zeit gesetzt?

Zunächst wollen wir ein attraktiver Arbeitgeber sein, der den Mitarbeitenden die Chance gibt, sich zu entwickeln. Sie sollen sich sicher fühlen und keine Angst haben, wenn Sie mal schlecht drauf sind oder sich Fehler erlauben. Davon abgesehen ist es mir wichtig, im Portfolio agil zu bleiben und auf die Bedürfnisse der Kunden entsprechend reagieren zu können - nicht unüberlegt schnell, sondern mit Konzept. Darüber hinaus wollen wir unsere Rolle im ZDF-Verbund finden und damit zu einer tragenden Säule innerhalb der digitalen Transformation des Hauses werden. 

Herr Kollatschny, vielen Dank für das Gespräch.