Herr Simon, Stand jetzt hat die deutsche Fußballnationalmannschaft zwei Mal über 20 Millionen Zuschauer und einmal gut 25 Millionen vor den Fernsehschirmen begeistert, die anderen Spiele liegen alle unter zehn Millionen. Wie zufrieden sind Sie mit Reichweiten und Quoten der EM-Gruppenphase?

Steffen Simon: Ich bin mit den bisher erzielten Reichweiten zufrieden. Das Interesse an den Spielen der deutschen Mannschaft lag nicht so weit hinter denen früherer Turniere. In der ARD fand erwartungsgemäß das Spiel des deutschen Teams gegen Portugal am 19. Juni das bislang größte Interesse beim Publikum. 20,22 Millionen Menschen verfolgten die Partie der Nationalmannschaft, das entspricht einem Marktanteil von 75,6 Prozent. Hinzu kamen mehr als drei Millionen Abrufe im Livestream. So viele Menschen wie bei der Partie der deutschen Mannschaft gegen Portugal haben noch nie zuvor einen ARD-Live-Stream gleichzeitig genutzt.

Kam der zu beobachtende Rückgang der linearen Zuschauerzahlen letztlich überraschend, oder konnte man einen solchen Trend letztlich erahnen, zumal auch die Qualifikationsspiele schon rückläufiges Interesse hervorriefen und es eben nun der Nach-Lockdown-Sommer ist?

Damit war zu rechnen. Die Mannschaft von Jogi Löw hat seit dem Viertelfinalsieg gegen Italien bei der Euro 2016 unser Land in keinem Moment mehr euphorisiert, ganz im Gegenteil. Dazu hat die Pandemie dafür gesorgt, dass der Fußball wieder das ist, was er sein sollte: eine Nebensache, wenn auch die schönste.

 

"Die Mannschaft von Jogi Löw hat seit dem Viertelfinalsieg gegen Italien bei der Euro 2016 unser Land in keinem Moment mehr euphorisiert, ganz im Gegenteil." Steffen Simon

 

Es war ja immer die Rede davon, dass diese EM für die Macher und Macherinnen eine besondere wird – wenn man eben alle Umstände um diese Pandemie berücksichtigt. Ist sie nun so besonders, geht etwas leichter oder schwerer als zunächst angenommen?

Dieser EURO lag eine hehre Idee zu Grunde, und doch war diese von Anfang an ein Irrtum. Statt über den ganzen Kontinent zu verbinden, reißt dieses Turnier tiefe Gräben quer durch Europa auf. Der Konflikt um das Regenbogensymbol und die homophobe Politik der ungarischen Regierung ist ebenso ein Beispiel wie die zunächst von Russland verweigerte Akkreditierung für unseren ARD-Kollegen Robert Kempe. Pandemiebedingt fehlen die bunten Fan-Begegnungen aus verschiedenen Kulturen, die eine Fußball EM oder WM normalerweise ausmachen. Immerhin dienen diese Tage als ein Schritt zurück in das Leben, das wir uns in den letzten Monaten gewünscht haben. Wir hoffen alle auf einen Sommer der Begegnungen, allerdings bin ich irritiert, mit wie wenig Vorsicht diese vielerorts gelebt werden. Für uns Macher*innen wäre diese EURO schon ohne Pandemie die größtmögliche organisatorische Herausforderung gewesen.

Jessy Wellmer Bastian Schweinsteiger © Screenshot Das Erste Jessy Wellmer und Bastian Schweinsteiger

Sie senden mit Bastian Schweinsteiger und Jessy Wellmer direkt aus den Stadien. Schweinsteiger musste zuletzt Kritik für seinen Job am Mikro einstecken. Wie sehen Sie ihn bis dato und wie können Sie ihm eventuell auch helfen in Sachen Performance-Steigerung?

Das Kommentatoren-, Experten- und Moderatorenbashing ist während eines großen Fußballturniers beinahe schon ein Volkssport. Konstruktive Kritik ist nicht leicht herauszufiltern, wird aber ernst genommen. Bastian macht in meiner Wahrnehmung bisher einen guten Job und steigert sich von Einsatz zu Einsatz. Seine sportlich-fachlichen Analysen sind top. Je näher er sich dabei selbst kommt, desto besser wirkt er. Ich fand es zum Beispiel eine gute Idee, zum Spiel Deutschland gegen Portugal im T-Shirt zu kommen.

Fußball-Übertragungen arbeiten inzwischen verstärkt mit dem Einsatz von Co-Kommentatoren. In der Formel1 war das schon immer so, im Fußball gab es immer wieder vorsichtige Versuche, jetzt aber scheint dies wirklich angekommen zu sein. Wie sind da die Zuschauerreaktionen und worin sehen Sie den Mehrwert?

Wir besetzen diese Rolle mit Thomas Broich, den ich 2019 ins Team der ARD geholt habe. Anfänglich begegnete man der zweiten Stimme mit Skepsis, weil es nicht den Konsumgewohnheiten entsprach. Inzwischen ist der Co-Kommentator auch bei uns etabliert. Wichtig ist die klare Rollenaufteilung. Die Zeitlupen gehören ihm. Thomas macht das super.

Gibt es allgemeine Erkenntnisse und Zielsetzungen, etwa auch im Blick auf die Studio-Produktionen aus Deutschland, von den ersten beiden EM-Wochen und für die beiden finalen EM-Wochen?

Erste Erfahrungen haben wir ja bereits bei der WM 2018 in Russland gemacht, die wir aus dem Heimatstudio in Baden Baden präsentiert haben. Dieses Konzept haben wir weiter entwickelt. Uns war wichtig, mit unseren Reporter*innen wieder etwas mehr vor Ort zu sein, auch aus den Stadien zu  moderieren. Die Homebase ist dabei das Sportschau Studio in Köln mit unserem divers besetzten Expert*innenpanel mit Almuth Schult, Prince Boateng und Stefan Kuntz. Wir freuen uns jedenfalls auf die zweite Turnierhälfte – idealerweise mit einem erfolgreichen Verlauf für die deutsche Mannschaft.

Herr Simon, vielen Dank für das Gespräch.

Die Achtelfinals im deutschen TV

  • Fünf Achtelfinals der Euro 2020 (ausgetragen im Jahr 2021) laufen im Ersten, darunter ist auch das kommende Spiel der deutschen Mannschaft. Sie trifft am Dienstag, 29. Juni um 18 Uhr auf England. Das ZDF zeigt drei Spiele, unter anderem Österreich gegen Italien am kommenden Samstagabend. Alle Spiele gibt es zudem auch im Pay-TV bei MagentaTV zu sehen.