Herr Kühnert, Sie haben sich für eine Doku-Reihe drei Jahre lang von einem Kamerateam begleiten lassen. Eine lange Zeit, oder?

Kevin Kühnert: Wir hatten uns 2018 darauf verständigt, dass die Begleitung bis zur nächsten Bundestagswahl laufen soll. Damals hatte allerdings fast keiner einen Pfifferling drauf gegeben, dass die Große Koalition tatsächlich bis zum Ende durchhalten wird. Nun kam es anders – und trotzdem standen alle zu ihrer Aussage, was dazu führte, dass es am Ende etwa 80 Drehtage waren, an denen ich begleitet worden bin. Das Format ergibt auch nur Sinn, wenn man wirklich in den Alltag hineinblicken kann. Ziel war es ja nicht, ein Werbefilmchen zu drehen.

Sondern?

Ich wollte zeigen, wie mein politischer Alltag wirklich abläuft. Unabhängig von dem politischen Drama drumherum, hat mir das Buch, das Markus Feldenkirchen über Martin Schulz geschrieben hat, sehr imponiert. Das fand ich in Form und Stil genau richtig. Deshalb wollte ich in dieser Doku-Reihe etwas Aufklärerisches machen und ebenfalls Einblicke geben.

Nun war der Versuch von Martin Schulz, Kanzler zu werden, alles, nur keine Erfolgsgeschichte. Woher kommt Ihr Antrieb, sich trotzdem auf ein solches Format einzulassen?

Ich stehe nun seit fast vier Jahren in der Öffentlichkeit, gehöre also zu denen in der Politik, die unter permanenter Beobachtung und Kommentierung arbeiten. Deshalb habe ich meine ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht, welche Zerrbilder und Zuschreibungen es von Politik gibt. Das ist zum Teil grotesk. Wenn man es möchte, kann man den lieben langen Tag gegen Politik-Klischees anarbeiten. Anstelle das den ganzen Tag zu erzählen, fand ich jedoch den Gedanken spannend, die Menschen auf diese Weise an meinem Alltag teilhaben zu lassen. Dann können sich diejenigen, die es sehen, vielleicht wundern, wie profan und glanzlos politisches Arbeiten vielfach ist. Sicherlich sind auch viele skurrile und lustige Momente darunter, aber was eben kaum dabei ist, sind die großen Hinterzimmerrunden, von denen uns immer unterstellt wird, dass sie von morgens bis abends stattfinden. Es ist viel mehr down to earth als es von außen den Anschein haben mag. Wenn das einige durch die Serie verstehen, dann hat sich der Aufwand gelohnt.

 

"Ziel war es nicht, ein Werbefilmchen zu drehen."

 

Woran liegt es denn, dass das falsches Bild von Politik so weit verbreitet ist?

Mein Eindruck ist, dass wir eine gewisse "House of Cardisierung" der Politik erleben. Viele leiten ihr Verständnis von politischen Prozessen und Parlamentarismus von dem ab, was sie in Filmen und Serien sehen, während das konkrete Verständnis des eigenen nationalen oder regionalen Parlaments sehr gering ausgeprägt ist. Das geht bei vielen nicht über den Besuch, den man mal im Rahmen einer Klassenfahrt gemacht hat, hinaus. Auch das ist etwas, wogegen ich mit dem Projekt angehen möchte, weil man in diesem Fall beobachten kann, wie Politik aussehen kann, wenn sie nicht aus dem parlamentarischen Zusammenhang heraus kommt. In der Zeit, in der die Serie entstanden ist, war ich schließlich kein Abgeordneter, sondern erst Juso-Vorsitzender und später stellvertretender Parteivorsitzender. Es ging mir in dieser Zeit wie einer großen Mehrheit an Menschen in der Politik, die das nämlich gar nicht hauptamtlich machen, sondern in ihrer Freizeit. So wie andere im Fußball- oder Schützenverein.

Teil der politischen Arbeit ist es, in der Öffentlichkeit zu stehen. Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zu den Medien?

Das ging ja damals alles von Null auf 150. Der Juso-Bundeskongress, auf dem ich gewählt wurde, war die erste Parteiveranstaltung, nachdem Christian Lindner 2017 die Jamaika-Verhandlungen hat platzen lassen. Wir hatten also all eyes on us. Von diesem Moment an hörte dieser mediale Fokus nie wieder auf, was für die politische Arbeit Vor- und Nachteile hat. An meinem Respekt für Journalistinnen und Journalisten hat sich in diesen Jahren, trotz manchen Enttäuschungen, die man erlebt, nichts geändert. Daher begegne ich Interviewanfragen meist mit einer großen Offenheit. Da ist dann auch erstmal egal, ob das eine Schülerzeitung oder irgendein neues Youtube-Format ist. Mein Pressesprecher, ich und unser Umfeld wollen jedenfalls nie so werden, dass wir Medien nur nach ihrer Größe und Prominenz bedienen. Das alles jedoch im Rahmen professioneller Standards – und wer die dauerhaft verletzt, kann nicht damit rechnen, wie alle anderen behandelt zu werden.

 

"Die Bild-Zeitung hat bekanntlich von Anfang an die Standards klar verletzt."

 

Sie spielen auf Bild an?

Ja, die Bild-Zeitung hat bekanntlich von Anfang an die Standards klar verletzt. Deshalb habe ich zügig die Konsequenzen gezogen und entschieden, mit diesem Medium, so wie es jetzt aufgestellt ist, nichts zu machen. Weder im Vordergrund noch im Hintergrund.

Inzwischen mischt Bild auch im Fernsehen mit. Da schlägt dann plötzlich Paul Ronzheimers "Handyalarm" live aus. Wie nehmen Sie den Sender wahr?

Rein handwerklich betrachtet finde ich es verständlich, dass Bild jetzt Fernsehen macht. Die Bild-Chefredaktion verfolgt eine klar politische Agenda – nicht, was zwingend konkrete Parteien angeht, aber was eine grundsätzliche Richtung der politischen und gesellschaftlichen Landschaft angeht. Wenn ich dann Talk-Runden sehen, in denen ernsthaft Roger Köppel mit Claus Strunz und Sarna Röser debattiert, dann hat das nun wirklich nichts mit einem vielfältigen Meinungsdiskurs zu tun. Da geht es ganz klar darum, Echokammern zu schaffen und Echokammern zu bedienen, aber auch darum, politische Interessen zu perpetuieren. Das alles kann nicht wirklich überraschen, überführt es doch letztlich nur ins Fernsehen, was vorher schon online und im Blatt passiert ist.

Dennoch war auch Olaf Scholz in der sogenannten "Kanzlernacht" mit dabei. Bestehen da also doch gewisser Zwänge, sich bei Bild blicken zu lassen?

Man muss gar nichts. Wenn man sich jedoch drauf einlässt, ist es in meinen Augen wichtig, deutlich zu machen, dass man nicht jeden Quatsch mitmacht. Das hat Olaf Scholz bei seinem Auftritt ganz klar verkörpert. Mancher Blick von ihm hat an diesem Abend wahrlich Bände gesprochen. So wie in dem Moment, als sich Paul Ronzheimer irgendeinen Häuptlingsschmuck aufsetzte. Das hatte mit seriöser Berichterstattung nicht mehr viel zu tun.

 

"Man kann keine Langzeitbegleitung zulassen und dann erwarten, dass man über alles die Kontrolle hat."

 

Lassen Sie uns noch einmal auf die Doku-Reihe über Sie zu sprechen kommen. Sind Sie denn jetzt, nach Abschluss des Projekts, zufrieden?

Ich hatte bis zur Premiere am Wochenende auf dem Filmfestival in Hamburg noch nichts gesehen. Für mich ist die Serie daher genauso neu wie für alle anderen auch. Und das ist mir auch wichtig, denn ich habe zwar mein Okay gegeben, aber was Katharina Schiele und Lucas Stratmann, die die Serie gemacht haben, letztlich in die sechs Folgen reinnehmen und in welchen Kontext sie die Szenen setzen, ist mit mir nicht abgesprochen. Gleichwohl bin ich mir bewusst, dass sie mich in sehr sensiblen Momenten gefilmt haben. Daher kann es sein, dass in der Serie Sachen zutage treten, bei denen sich auch mal Leute auf den Schlips getreten fühlen. Aber da muss ich jetzt durch. Man kann keine Langzeitbegleitung zulassen und dann erwarten, dass man über alles die Kontrolle hat.

Wo haben Sie die persönliche Grenze gezogen?

Die Grenze ist zwischen dem Politischen und Privaten. Die Doku-Reihe zeigt nichts aus meinem engeren privaten Bereich. Es gibt auch keinerlei Bilder von mir zuhause, sondern es findet alles im Rahmen der Arbeit statt. Es ist mir wichtig, dass diese Sphären klar sortiert sind, denn aufklären soll diese Dokumentation über Politik – nicht über letztlich austauschbare Persönlichkeiten. Und natürlich war es mir wichtig, dass bei Gesprächssituationen immer nur mit Zustimmung derjenigen, die anwesend waren, gedreht wurde. Es soll schließlich kein Kollateralschaden entstehen, nur weil ich mich auf dieses Projekt eingelassen habe. (lacht)

Herr Kühnert, vielen Dank für das Gespräch.

Die sechsteilige Doku-Serie "Kevin Kühnert und die SPD" ist in der ARD Mediathek abrufbar.