Frau Bender, Sie übernehmen nun innerhalb der "Kulturzeit"-Doppelspitze die Leitung von ARD-Seite. Welche neuen Ideen bringen Sie mit?

Petra Bender: Ich bin – in anderer Funktion – ja schon seit rund 20 Jahren dabei. Die "Kulturzeit" ist ein etabliertes Magazin, das zwischen zwei Nachrichtensendungen läuft. Jede Weiterentwicklung muss behutsam erfolgen, damit man Zuschauerinnen und Zuschauer nicht verliert, sondern neue hinzu gewinnt. Wollen wir jüngere Zielgruppen erreichen – sowohl in der Mediathek als auch linear –, müssen wir überlegen, welche neuen Formate wir innerhalb der Sendung finden. Wir leben in einer aufgeheizten Gesellschaft. Also stellt sich die Frage, wie wir Debatten in ihrer Vielstimmigkeit begegnen. Wie kann man Argumente zulassen, denen man selbst auch nicht zustimmt? Da könnten wir zum Beispiel ein Forum entwickeln, in dem man Meinungen gegenüberstellt.

 

Sie sind ein alter Hase bei der "Kulturzeit", haben über Jahre verschiedene Aufgaben innerhalb der Redaktion gehabt. Aber hat sich der Blick denn zuletzt verändert im Zuge der Vorbereitung auf Ihre neue Aufgabe?

Bender: Ich bin noch mittendrin in der Vorbereitung. Wir haben kürzlich erst Monika Sandhack verabschiedet, und bis kurz vor dem Rollenwechsel im November bin ich eingebunden in die Planung und Durchführung der täglichen Sendung. Mein Blick auf die "Kulturzeit" ist aber recht klar. Für mich ist es eine gute "Kulturzeit", wenn sie eine Brücke zwischen den beiden Nachrichtensendungen schlägt. Dazu müssen wir es schaffen, die Themen des Tages spannend weiterzuspinnen – beziehungsweise kulturkritisch zu reflektieren. Es fällt mir auf, dass unsere Sendung in den zurückliegenden Jahren deutlich aktueller geworden ist. Darüber hinaus geht es uns auch darum, mehr prominente Köpfe in die Sendung integrieren. Zoom-Interviews helfen hier enorm, weil wir dadurch flexibler geworden sind und unsere Moderatoren jetzt nicht nur zu unseren festen Studiozeiten Gespräche führen können.

Sie haben eben die Debattenkultur in Deutschland angesprochen. Es ist ja offensichtlich, wohin sich die Streitkultur gerade entwickelt – speziell auch im Netz. Was kann ein Kulturmagazin in diesem Punkt leisten und was kann es nicht leisten?

Bender: Ein tägliches Kulturmagazin hat deutlich mehr Sendefläche als eine Nachrichtensendung. Wir können in diesem Punkt also mehr in die Tiefe gehen. Wir müssen nicht immer politisch korrekt sein, können somit frecher und provokativer sein.

Anja Fix:
Die Fläche ist zugleich auch eine Herausforderung. Wir wollen und müssen den anderen Blick finden. Und wir wollen noch diverser werden. In der Debatte um den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinterfragen wir uns, an welcher Stelle wir zu einseitig berichten. Wo sind wir als hoch-gebildetes Kulturmagazin zu sehr in einer eigenen Blase? Wo schaffen wir es, über den Tellerrand zu schauen? Es bleibt eine tägliche Herausforderung, mit neuen, anderen Köpfen zu sprechen, in andere Milieus reinzugehen, in denen wir nicht unbedingt beheimatet und bekannt sind. Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre. Das ist dann auch ein Beitrag, den "Kulturzeit" zur gesellschaftlichen Debattenkultur leisten kann.

Kultur scheint ja eher etwas für gebildetere Schichten zu sein, wenngleich es falsch ist, dass ungebildete Schichten nicht an Kultur teilnehmen. Wie kann sich "Kulturzeit" auch den etwas bildungsferneren Schichten öffnen?

Fix: Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Themen, sondern es geht um Zugänglichkeit und Verständlichkeit. Es spielt eine große Rolle, wie wir mit unseren Moderatorinnen die Zuschauenden ansprechen und wie wir in den Beiträgen erzählen. Ich denke, dass wir oft mehr erklären müssen. Wenn wir nicht den Eindruck erwecken, dass man schon alles wissen muss, um eine "Kulturzeit" zu verstehen, werden wir mehr Zuschauerinnen und Zuschauer erreichen. "Kulturzeit" will alle einladen und vielleicht ein bisschen klüger nach der Sendung verabschieden. Mir selbst geht das fast jeden Abend so.

Und Themen spielen da wirklich nur eine sehr untergeordnete Rolle?

Fix: Wir bilden schon eine große Bandbreite an Themen ab – in der Musik z.B. von Klassik bis Pop und Mundart-Gesang. Selbst zum Schlager haben wir schon Exkurse unternommen und vom ESC berichtet. Es geht aber vor allem darum, immer wieder klar zu machen, dass Kunst und Kultur zum Leben unbedingt dazu gehören. Das ist in diesen Zeiten, in denen es zuletzt ja oft nur noch um physische Gesundheit ging, für uns als Redaktion schon sehr wichtig. Wir setzen uns als Kulturzeit dafür ein, dass man diese Aspekte des gesellschaftlichen Lebens nicht gegeneinander ausspielen darf,

Bender:
Künstlerinnen und Künstler sind ja auch Menschen, sodass man alle Facetten des Lebens auch über sie und ihre Arbeiten spiegeln kann. Sie repräsentieren einen wichtigen Teil der Gesellschaft.

Während der Lockdowns lagen viele Teile der Kultur brach. Nach dem Winterlockdown, war welches kulturelle Erlebnis ihr Erstes?

Bender: Ein Klavierkonzert auf einem Musikfestival. Ich war beeindruckt, wie die Branche in der Situation neue Veranstaltungsorte schuf – bis hin zum mobilen Konzertsaal.

Fix:
Gilbert & George in der Schirn, endlich wieder vor realer Kunst stehen. Und unbedingt Kino.

Das Schöne an Kultur ist ja, dass sie sich stetig weiterentwickelt. Welche Strömungen haben Sie in den zurückliegenden Monaten und Jahren gesehen?

Fix: Im ganzen Bereich der Netzkultur hat sich viel getan. Und wenn man sich die bildende Kunst anschaut, finde ich, dass es in den letzten Jahren noch konzeptioneller geworden ist. Es gibt viel Konzeptkunst, bei der es um das Verhandeln von Positionen oder um Aufarbeitung geht. Aber die ganze Gesellschaft entwickelt und verändert sich gerade so schnell, dass es auch Künstlerinnen und Künstlern nicht immer gelingt, da Schritt zu halten. Aber viele haben einen sehr feinen Radar für Veränderungen, für Bruchstellen – und im besten Fall können sie das für uns Betrachtende sehr gut übersetzen. Das macht Kunst so lebendig – auch mit der Chance zu scheitern oder zu provokativ zu sein in einer sehr gereizten Öffentlichkeit.

 

"Kultur ist weiterhin das Erste, was im Zweifel aus den Nachrichtensendungen rausfliegt." 
Petra Bender

 


2020 haben Sie in einem DWDL-Interview auch angemerkt, dass Kultur in deutschen Nachrichten unterrepräsentiert ist. Das hat sich in den zurückliegenden Monaten vermutlich nicht zum Besseren gewendet?

Bender: Kultur ist weiterhin das Erste, was im Zweifel aus den Nachrichtensendungen rausfliegt. Insofern hat die "Kulturzeit" zwischen den beiden Haupt-Nachrichten weiterhin einen Mehrwert.

Warum fliegt gerade die Kultur?

Bender: Das mag an der Vielzahl der Krisen auf der Welt liegen. Die Sendezeit in Nachrichten ist auch endlich. Daher finden sich im herkömmlichen Nachrichtengeschäft Themen, die mehr Einfluss auf den Alltag haben. Auch in den Tageszeitungen ist zu beobachten, dass die Feuilletons nicht dicker werden.

Fix:
Aber das ist durchaus eine gesamtgesellschaftliche Frage: Der einzelne CvD mag für die eine Sendung gute Gründen dafür finden, warum Kultur weniger stattfindet. Aber wir als Gesellschaft blicken oft und zu einseitig erstmal auf wirtschaftliche Fragen. Ganz gleich, auf welche Krise wir anschauen, wir nehmen uns immer erst sehr spät die Zeit, über kulturelle, psychologische Aspekte zu sprechen, über unsere Kultur des Miteinanders und des Aufarbeitens. Da ist es egal, ob wir von Terrorakten oder vom Hochwasser reden. Schauen wir doch in die Flutgebiete: Da geht es jetzt gerade darum, was die Menschen auch bezogen auf eine Kultur des Miteinanders brauchen. Es geht um das Aufarbeiten von Traumata, um nachhaltige, auch seelische Hilfe. Und wenn wir gerade erleben, wie Corona die Gesellschaft spaltet, der Lockdown so viele Menschen auf sich selbst zurückgeworfen hat, kann Kultur Erlebnis- und Gesprächsräume eröffnen, Debatten ermöglichen und Gemeinschaft stiften.

 

"Die Politik hat die Kultur leider nur sehr nachgeordnet auf dem Schirm." 
Anja Fix

 

Welche Rolle spielt da die Politik?

Fix: Die Politik hat die Kultur leider nur sehr nachgeordnet auf dem Schirm. Wir haben ja mit den Parteien der drei KanzlerkandidatInnen Sommerinterviews geführt und kritisch nachgefragt. Für die Kulturbranche war es ein bitteres Jahr, erleben zu müssen, dass Kultur nicht mehr priorisiert wurde. Kultur war nicht systemrelevant, obwohl sie es eindeutig ist.

Bender
: Auch in unserer zweiten Reihe zu den Bundestagswahlen war dies zu beobachten. In einem Kultur-TÜV haben wir die Parteiprogramme nach Kulturinhalten durchforstet. Da war auch zu sehen, dass der Umfang der Kulturthemen jeweils sehr klein war.

Ohne genau zu wissen, worauf es im Bundestag hinausläuft: Sind Sie denn optimistischer gestimmt, wenn eine neue Regierung die Arbeit aufnimmt?

Fix: Die Aufgaben in Deutschland sind so riesig, da wird es für Kultur leider keine Priorität geben. Dabei wäre Kreativität und Perspektivwechsel so wichtig für die komplexen Probleme, die es zu lösen gilt.

Bender:
Aber wir haben vermutlich mit Robert Habeck einen Politiker, der ein Kulturmensch ist. Manchmal liegt eine Chance vielleicht auch in den handelnden Personen.

Die "Kulturzeit" ist kürzlich 26 geworden – und hatte natürlich zum 25. Jubiläum einen größeren Aufschlag. Wie viel nachhaltigen Schwung hat dieser gegeben?

Fix: Wir haben zum 26. Geburtstag ein besonderes Experiment gemacht. Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen unter 30 gebeten, eine ganze "Kulturzeit" komplett selbstständig zu produzieren. "Die Welt mit 26" – das war eine Reise in die Lebensrealitäten der Mittzwanziger und ein aufschlussreicher Blick über den Tellerrand für uns als Redaktion. Natürlich war der 25. Geburtstag im letzten Jahr etwas Besonderes – ein Vierteljahrhundert "Kulturzeit". Man kann nicht oft genug betonen, wie wertvoll und einzigartig das ist. Vier Sender über drei Länder hinweg müssen dazu die Bereitschaft haben – und das haben sie auch weiterhin, wie im Rahmen der Feierlichkeiten immer wieder bestätigt wurde. Speziell im letzten Jahr haben wir viele Rückmeldungen bekommen, aus der Politik, aus der Kulturszene, aber vor allem auch von den Zuschauerinnen und Zuschauern, die klar aussagten, dass es "Kulturzeit" einfach braucht.

Jetzt haben Sie vorhin erwähnt, dass Kultur oft das Erste ist, was hintenüberfällt. Umso glücklicher dürften Sie über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags sein. Was wäre denn wohl nicht mehr möglich gewesen, gäbe es die 18,36 Euro nun nicht?

Fix: Wäre das nicht so gekommen, hätte das für ARD und ZDF drastische Einsparungen bedeutet. Es hätte die "Kulturzeit" vermutlich zwar nicht in Frage gestellt, da war die Geschäftsleitung immer sehr klar, aber es hätte mit Sicherheit den Anteil der Neuproduktionen reduziert. Wenn das ARD-Magazine, ZDF-Formate und auch 3sat betroffen hätte, wäre der Einschnitt in die Programmvielfalt enorm gewesen. Wir sind also froh über die Bestätigung des öffentlich-rechtlichen Auftrags, für die wir mit "Kulturzeit" exemplarisch stehen. Von ZDF-Seite kann ich sagen, dass wir nun einen stabilen Etat haben – auch für das kommende Jahr. Damit können wir gut arbeiten. Natürlich erleben wir auch eine Arbeitsverdichtung und sehen die Herausforderung, immer mehr Plattformen mit unseren Inhalten zu bespielen.

Bender:
Letztlich ist auch die Nachbesetzung der Leitungsposition durch mich ein klares Signal der ARD und insbesondere des SWR. Es ist ein Bekenntnis zur "Kulturzeit" und dem Partnerprogramm 3sat.

Facebook-Abschied eine richtige Entscheidung

Wie will die "Kulturzeit" Social Media weiter erobern?

Fix: Das beschäftigt uns täglich. Wir versuchen, wie jede Redaktion, Schritt zu halten mit der Entwicklung. Wir müssen regelmäßig entscheiden, auf welcher Plattform unsere Inhalte sinnvoll präsent sind und wo wir neue Nutzerinnen und Nutzer finden. Dabei lernen wir ständig weiter. Vor einigen Jahren haben wir uns von Facebook verabschiedet – und sehen nun, dass das die richtige Entscheidung war. Wir sind jetzt vor allem auf dem Kultur-Instagram-Kanal von 3sat unterwegs. Dort sammeln wir die Erfahrungen, wie man trotz und mit den Algorithmen der Plattform erfolgreich sein kann. Und wir sehen, dass es bei aller Verkürzung auch in Social Media ein Interesse an klugen und eigenwilligen Köpfen und Gedanken gibt. Das Gute ist: Mit speziellen Themen erreichen wir dort eine Userschaft um die 30. Das sind Menschen, die wir um 19:20 Uhr linear nicht erreichen. YouTube ist ein weiteres Standbein – aktuell sind wir da auf dem "heute"-Kanal des ZDF zu finden. Wir wollen aber schauen, wie wir das auch auf ARD-Plattformen ausbauen. Auf Youtube können wir auch mit 10-Minütern unterwegs sein, die viel mehr in die Tiefe gehen. Bei YouTube funktionieren unsere Inhalte mit teils sechsstelligen Abrufzahlen sehr gut.

 

Kurz eingehakt: Warum war es richtig, Facebook zu verlassen?

Fix: Wir haben dort keine relevanten Wachstumsraten mehr erreicht, weil das Wachstum auf Facebook insgesamt nicht mehr exponentiell steigt. Der Algorithmus ist immer selektiver geworden und hat immer mehr einseitige Debatten gepusht. Belohnt wurde vor allem sehr Emotionales, Lautes. Somit war Facebook nicht mehr die Plattform, auf der wir unsere Themen gut vertreten sahen. Über das Dilemma mit Social Media gab es übrigens erst kürzlich eine eigene "Kulturzeit Extra: Gefahr aus dem Netz".

Bender:
Lassen Sie mich auch die Mediatheken erwähnen, neben Social Media und Youtube ein wichtiges Standbein für uns. Weitere Plattformen, auf denen wir unsere Inhalte verbreiten können. So versuchen wir mit Schwerpunkten und monothematischen Sendungen zu Jahrestagen bzw. aktuellen Debatten zu punkten, damit wir auf den Seiten besser platziert werden. Das gelingt bei 3sat und dem ZDF immer wieder. Wir arbeiten aber daran, wie wir unsere Präsenz auch auf den ARD-Plattformen auszubauen können, damit wir innerhalb der ARD besser auffindbar sind.

Danke für das Gespräch.