Herr Barwasser, was ist denn auf einer Bank anders als in einem Fernsehstudio, wenn man mit Menschen ins Gespräch kommen will?

Für mich war das eine völlig andere Form – einerseits, weil es kein Live-Publikum gab, das mich ermuntert oder bremst, andererseits, weil sich im Freien eine völlig neue Gesprächssituation ergibt. Mal regnet es zwischendurch, mal gibt es einen kleinen Autounfall in der Nähe. Das waren zum Teil wirklich skurrile Momente, die nicht vergleichbar sind mit der stets etwas künstlichen Situation im Studio.

Sie kehren mit dem neuen Format als Erwin Pelzig ins Fernsehen zurück. Worum geht es in dem Format?

Ich radle mit meiner Bank durchs Land, stelle sie relativ spontan auf warte, wem ich begegne. Es gibt aber auch geplante Begegungen, die zum Teil nicht auf der Bank stattfinden.Die Konzentration ist vollständig auf den Menschen gerichtet, der mir gegenübersitzt. Im Vorfeld war ich ein wenig nervös, weil ich sehr viel Zeit damit verbrachte, im Kostüm herumzustehen und auf den Drehstart zu warten. Da radeln dann plötzlich bayerische Männer an mir vorbei und rufen "Servus, Erwin", und in Duisburg haben mich mehrere Rentner gefragt, wo denn die Bowle sei. Danach haben wir uns spontan auf die Bank gesetzt, über Demokratie gesprochen und Bowle getrunken.

Wie wichtig ist die Bowle, um ein Gespräch aufzulockern?

Diesmal wurde sie nicht durchgängig ausgeschenkt, sondern nur in bestimmten Situationen als kleine Reminiszenz an früher. Aber sie hat sich ins kollektive Gedächtnis vieler Menschen sehr stark eingebrannt. Daher habe ich die Wiedersehensfreude nicht nur in Bezug auf mich gespürt, sondern auch auf die Bowle. (lacht)

Wie ist Erwin Pelzig überhaupt zur Bowle gekommen?

Als es mit der Sendung "Pelzig unterhält sich" los ging, brauchten wir etwas zu trinken. Aus unerfindlichen Gründen fand ich, dass Bowle zu dieser Figur passte. Dass daraus einmal so ein Kult entstehen würde, konnte ich natürlich nicht ahnen. Aber geholfen hat wahrscheinlich, dass sie meist ziemlich schlecht geschmeckt hat. Gast und Gastgeber waren so immer verbunden über das gemeinsame Leid am Getränk. Bei der neuen 3sat-Sendung war sie wohl nicht so miserabel wie früher. Der Astrophysiker Harald Lesch bekam mehrfach Nachschlag. Freiwillig!

Und wie kam dieser schlechte Geschmack zustande?

Vielleicht kann ich das an dieser Stelle das Geheimnis lüften: Es war immer ein Schuss Würstchenwasser, der diesen besonderen Geschmack hergestellt hat. Aber wirklich nur ein Hauch, damit man es nicht zuordnen konnte. Ich glaube, ich würde mich das heute nicht mehr trauen.

Nun sitzen Sie also mit Rentnern in Duisburg auf einer Bank und trinken Bowle. Was erfährt man in einer solchen Situation über die Menschen und das Land?

Wir spüren, wie gespalten das Land ist und wie überhitzt es zugeht. Dennoch war ich beeindruckt, dass es auch so viel differenzierende Einsicht und echtes Wohlwollen gibt, Wohlwollen im besten Sinne des Wortes – und zwar nicht nur in Duisburg, sondern überall. Es gab einige spontane Begegnungen mit jungen Menschen, die für ihr Alter äußerst eloquent waren – sie haben mit Realismus, aber trotzdem mit Zuversicht argumentiert. Ich habe auch erfahren, welch großartige Initiativen es gibt von Menschen, die die Idee von Demokratie, so unperfekt sie in der Praxis auch ist, einfach nicht aufgeben wollen. Mein Bild wurde durch die Dreharbeiten trotz allen Wahnsinns eher positiv verstärkt, auch wenn ich zwischenzeitlich vor dem Reichstag von sogenannten Querdenkern und Corona-Leugnern angegangen worden bin. Aber das war glücklicherweise die Ausnahme.

Beim Pelzig auf der Bank © ZDF/Cathy Guilleux / Gruppe 5 Filmproduktion Vor dem Reichstag trifft Erwin Pelzig auf Martina Angermann, die aus ihrem Amt als Bürgermeisterin einer sächsischen Kleinstadt gemobbt wurde.

Wie haben Sie reagiert, als die Querdenker auf Sie zukamen, während Sie Ihrer Kunstfigur steckten?

In diesem Moment reagierte ich nicht mehr so sehr als Kunstfigur. Zunächst hat mich einer beschimpft, dann kam ein Zweiter hinzu, der etwas ruhiger auftrat. Dem habe ich angeboten, sich nach meinem Interview mit einer jungen Frau, die für den Bundestag kandidiert, auf die Bank zu setzen und ihm zuzuhören. Wenn ich sofort aggressiv angegangen werde, ist das keine Basis für ein Gespräch.

Haben Sie das Gefühl, dass wir in unserer Gesellschaft zu wenig miteinander sprechen?

Alle senden, bloggen und chatten, aber wer hört eigentlich noch zu? Das Zuhören war tatsächlich einer der Ansätze dieser Sendung. Den Gedanken der Freundschaftsbank habe ich aus Simbabwe adaptiert, wo ein Psychiatrie-Professor solche Bänke im ganzen Land aufgestellt hat, auf denen psychologisch geschulte ältere Damen sitzen und einfach zuhören. Das klingt erstmal skurril und komisch, ist es aber gar nicht, weil es in Simbabwe keine psychotherapeutische Grundversorgung gibt, auch wenn viele Menschen einen Bedarf haben. Die Idee, eine Bank im öffentlichen Raum aufzustellen, sich draufzusetzen und einfach zuzuhören, hat mir außerordentlich gut gefallen – zumal sie auch zu Pelzig passt. Ich hätte mir noch mehr spontane Begegnungen gewünscht als bei den wenigen Drehtagen möglich war. Am liebsten hätte ich meine Bank eine Woche lang an jedem Tag an einer anderen Stelle in Berlin aufgestellt.

Das nährt die Hoffnung, dass es noch eine weitere Staffel geben könnte?

Angelegt ist das Projekt zunächst als Trilogie mit den Themen Corona, Demokratie und Zukunft unter Berücksichtigung des digitalen Aspekts. Aber wir denken darüber nach, ob mehr daraus wird. Jetzt wüsste ch ja auch, an welchen Stellen man das Format noch optimieren kann. Ganz sicher werde ich aber nicht mehr zurückkehren in die alte Form mit acht Shows pro Jahr im Studio.

Ist das neue Format, mit dem Sie den Erwin Pelzig ja ein Stück weit neu erfinden, eines der Ergebnisse ihrer kreativen Pause, die Sie vor sechs Jahren ankündigten, als Sie Ihre erfolgreiche ZDF-Show beendeten?

Ich kann die Figur fürs Fernsehen sicher nicht mehr neu erfinden, denn der Pelzig ist der Pelzig. Die Idee mit der Bank hatte ich schon ganz lange im Kopf. Durch Corona gab es allerdings plötzlich viel Zeit, mir intensive Gedanken darüber zu machen, weil ja von heute auf morgen sämtliche Auftritte weggebrochen sind. Durch "Beim Pelzig auf der Bank" ergibt sich die Gelegenheit, Themen zu vertiefen, was in meinen früheren Shows in dieser Form nicht möglich war.

 

Wenn man so sehr im Geschäft ist, macht man sich selten darüber Gedanken, was eigentlich passiert, wenn das alles einmal vorbei ist.

 

Stichwort Corona: Wir sehr fehlte Ihnen in den vergangenen eineinhalb Jahren die Bühne?

Mir hat die Bühne sehr gefehlt, keine Frage. Ich habe allerdings nur eine Woche gebraucht, um den Wegfall zu verdauen. Es mag ein wenig pathetisch klingen, aber ich war zunächst voller Demut, dass ich überhaupt seit 25 Jahren auf die Bühne gehen darf und vielleicht zwei, drei mal etwas verschoben werden mußte wegen Erkältung oder Unwetter. Da dachte ich mir: Jetzt mach was aus dieser Zeit. Ich habe ja das Glück, dass ein paar ganz erfolgreiche Jahre hinter mir liegen und ich nicht am Anfang einer Karriere stehe. Aber je länger der Zustand anhielt, desto beunruhigender wurde er. Da fragst du dich schon, ob das nun das Ende der Laufbahn ist.

Was haben Sie aus der Zeit mitgenommen?

Wenn man so sehr im Geschäft ist, macht man sich selten darüber Gedanken, was eigentlich passiert, wenn das alles einmal vorbei ist. Das wurde durch Corona ganz plötzlich vorstellbar. Glücklicherweise habe ich gespürt, dass ich auch sonst noch was mit mir anfangen kann. Das war eine gute Erkenntnis. Der Gedanke ans Aufhören fällt vielen, die in diesem Metier unterwegs sind, ziemlich schwer. Plötzlich verabschiedet man sich und kehrt doch wieder zurück. So etwas habe ich eigentlich nicht vor.

Warum ist das Abschiednehmen von der Bühne so schwer?

Es ist einfach wunderschön, auf der Bühne zu stehen. Regelrecht beglückend. Das wurde mir im Sommer wieder bewusst, als ich auf Open-Air-Bühnen gespielt habe. Vergleichen Sie das mal mit einem Maler, der plötzlich keine Hände mehr, aber die Bilder im Kopf sieht, die er gerne malen würde. Das ist eine elende Situation. So ist es für einen Künstler wie mich auch. Ich liebe die Bühne mehr als alles andere, fast etwas mehr als das Fernsehen inzwischen.

Welchen Reiz hat das Fernsehen dennoch für Sie?

Auf der Bühne stehe ich mutterseelenallein, habe nur ein paar Scheinwerfer über mir und entscheide alles selbst. Im Unterschied dazu liegt der Reiz des Fernsehens darin, vielfältigere Ausdrucksmöglichkeiten zu haben, sei es durch Bildeffekte, Licht oder Einspieler. Dadurch entsteht eine andere Dramaturgie. Der Nachteil ist, dass man beim Fernsehen immer im Zeitkorsett gefangen und der Raum für Spontanitäten relativ klein ist.Die Interviews für meine neue Reihe haben zum Teil eine halbe Stunde gedauert, sie waren hochspannend und erkenntnisreich. Aber am Ende müssen dann sieben Minuten draus werden. Es ist grauenvoll, so etwas zusammenzukürzen.

Herr Barwasser, vielen Dank für das Gespräch.

"Beim Pelzig auf der Bank", Mittwoch um 20:15 Uhr, 3sat