Herr Kosack, wie attraktiv ist das Fernsehen als Arbeitgeber in Zeiten, in denen erst mit YouTube, dann Instagram, jetzt TikTok auch im Alleingang Bewegtbild-Karriere gemacht werden kann?

Genau das ist die Herausforderung. Wir erleben in unserer Branche einen demografischen Wandel. Wenn wir uns mal kurz in die 90er Jahre denken - kann ich ganz gut, ich kam 1996 vom Theater in die Fernsehwelt: Damals erlebten wir den Boom des Privatfernsehens und Unterstützung wurde händeringend gesucht. Der Unterschied zu heute: Die 90er waren Babyboomer-Jahre mit entsprechend viel Nachwuchs, der in der Euphorie dieser Jahre auch als Quereinsteiger:innen gut bezahlt wurde und ohne Smartphones führte der einzige Weg zur Karriere über die großen Produktionsfirmen oder Sender, je nach gesuchter Aufgabe. Heute erleben wir ebenso einen Boom der Produktionen, es wird so viel Bewegtbild produziert wie noch nie!

Aber die Situation ist eine andere?

Wir haben nicht mehr die Menge an jungen Leuten wie in den Babyboomer-Jahren und die brauchen nicht mehr zwingend Firmen wie uns, um sich audiovisuell zu verwirklichen. Wir müssen an dieser Stelle dann auch konstatieren: Unsere Branche ist ein ziemlich akademisch-geprägtes, weißes ‚Closed Set‘. Wir müssen alle zusammen also nicht nur darum kämpfen, die Branche attraktiv zu machen. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, ob wir wirklich zugänglich für alle Talente sind, die es geben mag. Ich bin überzeugt davon, dass es viele Menschen gibt, die bislang gar nicht auf die Idee gekommen wären, dass es in unserem Business eine Tätigkeit gibt, die sie ergreifen könnten. Ich denke da an soziografische Schichten, die wir bislang nicht ausreichend angesprochen haben. Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, auch Menschen ohne hohe Schulabschlüsse. Und ich meine damit nicht nur die Chance auf mehr kreative Diversität. Es geht nicht nur darum, mehr und neue Perspektiven für Geschichten zu bekommen. Nein, das zieht sich durch weit mehr Gewerke, in denen wir uns vielen Menschen bislang nicht als Arbeitgeber präsentiert haben.

Mich interessiert, wie es dazu kam. Filmhochschulen gibt es einige und auch nicht erst seit gestern. Wurde Fernsehen insbesondere aber Film zu lange als Kunst und nicht als Industrie verstanden - etwas was die Amerikaner viel früher professionalisiert haben? 

Da steckt viel Wahres drin. Ja, die Tradition unserer Filmhochschulen liegt in der Definition von Film als Kunst und nicht als Ware. Allerdings muss man differenzieren: Manche Berufe dieser Branche sind eben geeignet für eine universitäre Ausbildung, andere nicht. Wir brauchen beides. Es gibt bei uns in Babelsberg ein neues Netzwerk, in dem die Filmuniversität Konrad Wolf, das Erich-Pommer-Institut und wir gemeinsam versuchen auch die weiteren Anrainer:innen miteinander zu verbinden, um z.B. gemeinsame Ausbildungsprogramme und Unternehmer-Tage am Standort zu etablieren. Babelsberg bietet Chancen von Stuckateur:in über Regie bis Daten-Manager:in. Ein kompakter Standort mit allen Facetten dieser Branche. In Ludwigsburg, wo ich jetzt seit zwanzig Jahren Professor bin, ist die Ausrichtung auf den tatsächlichen Bedarf der deutschen Medienlandschaft sehr extrem. Da gehen 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen in die Branche, sei es nun zu Projekten wie „Dahoam is dahoam“ oder „Der Schwarm“.

 

"Das Produzieren von Film oder Fernsehen ist keine One-Man- oder One-Woman-Show mehr. Es ist nicht mehr zeitgemäß ein so großes Projekt an einer Person aufzuhängen."

 

Was machen die anderen 20 Prozent?

Die zieht es meist in die Werbung, das ist ja auch okay. Mein Problem mit der Orientierung vieler Studierenden an Filmhochschulen ist diese Fokussierung - vom ersten Semester an - darauf, wie man am Ende irgendeinen Nachwuchspreis gewinnt, der oft noch auf die Regisseurin oder den Regisseur fokussiert ist. So als wäre ein 90-minütiger Film das alleinige Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin. 

Gilt das nicht auch z.B. für den First-Steps-Award?

Ich denke, dass wir auch bei solchen Preisen den Team-Charakter von Produktionen stärken müssen. Das Produzieren von Film oder Fernsehen ist keine One-Man- oder One-Woman-Show mehr. Es ist nicht mehr zeitgemäß ein so großes Projekt an einer Person aufzuhängen. Die Zeit dieser Hierarchien ist vorbei und passt nicht mehr zu den Teamgedanken, die wir an anderer Stelle schon predigen. An Filmhochschulen bewerben sich 600 Leute für ein Regie-Studium. Zehn werden genommen. Ich frage mich, was die anderen 590 machen. Entweder wir sind besser darin zu vermitteln, wie wichtig auch die Rolle der Regie-Assistenz ist, oder wir verlieren sie. Es gibt so viele Einsatzfelder, von deren Tätigkeit und Aufgabenbereich aber zu wenige etwas wissen.

Holt die Branche gerade nach, was anfangs nicht nötig war?

Diese Branche ist in den 90ern im Grunde über Praktika entstanden. Learning-by-doing war der Standard und Ausbildungsprogramme sind spät entstanden. Als in den 00er Jahren die Telenovela-Welle kam, war der Markt leergefegt. Firmen wie UFA Fiction, damals noch TeamWorx, hatten weniger Probleme, aber für die UFA Serial Drama beispielsweise war es schwieriger Positionen zu besetzen. Deswegen hatte Janna Bardewyck damals begonnen dort auch auszubilden; wenig später Markus Schroth bei der UFA Show & Factual. Die UFA GmbH auch, aber in der Highend-Fiction schien das weniger nötig zu sein. Für das damalige Produktionsvolumen kamen genug qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zusammen. Und weil wir eben über die Breite der möglichen Einsatzfelder in der Produktion sprachen: Bei einer Ausbildung zur audiovisuellen Medienkauffrau durchläuft man wirklich viele Gewerke, inzwischen sogar unsere diversen Firmen. Und oft hängen wir noch ein Trainee-Programm oder Volontariat hinten dran. Da sehe ich uns weiter als jede andere Firma im Markt und wir bilden damit nicht nur für die UFA, sondern letztlich auch den Markt aus.

Aber da muss sich die Branche den Vorwurf gefallen lassen, viel zu lange geschlafen zu haben. Wir reden hier nicht über eine neu entstandene Branche sondern eine seit Jahrzehnten lukrative Milliardenindustrie, die nach 30 Jahren Aus- und Weiterbildung entdeckt…

Das kann ich nicht bestreiten aber möchte deutlich hervorheben, wie sehr der Druck in den letzten fünf, sechs Jahren durch das explodierende Produktionsvolumen gestiegen ist, nicht nur aber auch im Berliner Raum, wo plötzlich auch immer mehr internationale Produktionen realisiert wurden. Bei UFA Serial Drama war es bis vor fünf, sechs Jahren ein Argument für uns, dass die Leute durchgehend beschäftigt waren. Das gab vielleicht etwas weniger Geld aber hey, dafür musste sich niemand alle paar Monate wieder einen neuen Job suchen. Inzwischen aber möchten viele wieder flexibel bleiben für das nächste vielversprechende Projekt und man kann das Risiko eingehen, weil bei all den Serienprojekten so enorm viel Personalbedarf existiert. Und dann arbeitet jemand vielleicht lieber sieben Monate für „Homeland“ oder den nächsten „Matrix“-Film und hat die anderen fünf Monate des Jahres Zeit für die Familie. Wir erleben schließlich neben dem Produktionsboom noch einen zweiten Aspekt, der das Personal verknappt: Eine allgemein veränderte Work-Life-Balance. Wir arbeiten beim Nachwuchs mit einer Generation, die eine bestimmte Art des Arbeitens gar nicht mehr erstrebenswert findet. Also ja, spätestens seit dem Anstieg der Produktionen im deutschen Markt und den sich verändernden Ansprüchen einer neuen Generation hat die Branche bislang zu langsam und zu wenig reagiert.

 

"Dieser Standort Babelsberg wurde letztlich auch innerhalb der UFA viel zu lange nicht als Chance gesehen"

 

Studio Babelsberg hat einen neuen Besitzer, Netflix ist Fan des Standorts. Sie selbst sprachen auch US-Projekte an, die dort realisiert wurden. Ist das Konkurrenz oder Gelegenheit für die UFA?

Ich finde das erstmal gut und habe für mich auch begriffen, dass dieser Standort Babelsberg letztlich auch innerhalb der UFA viel zu lange nicht als Chance gesehen wurde. Es hat gedauert bis die gemeinschaftliche Auffassung da war: Wir müssen Babelsberg stärken. Mit Kirsten Niehuus, Helge Jürgens und anderen Kolleg:innen in Babelsberg ist vor Jahren der Dialog entstanden, wie wir am Standort den Campus-Charakter stärken können, um zugänglicher zu werden. Es weiß kaum jemand, dass hier 140 Start-Ups sitzen. Die UFA hat viel Fläche frei gemacht und wir selbst vermieten inzwischen an Start-Ups, woraus auch spannende Ideen bzw. Nutzen entstehen können. Aber die Herausforderung der Branche trifft auch Ute Biernat in Köln bzw. den UFA Serial Drama-Standort dort.

Eine neue Antwort auf diese Herausforderung soll Ihre UFA Academy sein. Was ist das?

Neben den Azubis und Trainees wollen wir jetzt, jeweils in maximal zwei Jahren, Quereinsteiger:innen weiterbilden oder umschulen und das in den Bereichen, in denen wir den meisten Bedarf evaluiert haben, etwa Aufnahmeleitung, Filmgeschäftsführung- und Regie-Assistenzen. Das lassen wir uns nicht fördern, sondern investieren selbst, weil es eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Das ist auch additiv, also wir nehmen zusätzlich Geld in die Hand. Das Ganze soll nicht nebenbei mitgemacht werden und wir bauen zur Finanzierung auch nicht woanders Stellen ab. Wenn jemand aus der UFA Academy bei einer Produktion mitwirkt, taucht er oder sie auch nicht in der Kalkulation auf. Es soll für unsere Produktionen keine Budget-Entscheidung werden, ob sie ausbilden oder nicht. Das übernimmt die UFA als Holding. Wir fangen bei der UFA Academy jetzt mal an, wollen das aber sukzessive ausbauen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden?

Für die UFA Academy braucht es keine zertifizierte Vorausbildung, solange es irgendeine Art von Berufserfahrung oder Leidenschaft gibt. Und wir suchen im Alter von 25 bis 60 Jahren, explizit also auch Menschen, die bislang im Leben vielleicht etwas ganz anderes gemacht haben. Ich bin überzeugt davon, dass es da draußen noch zu viele Menschen gibt, die viele Berufsbilder gar nicht kennen. Continuity beispielsweise. Wer ein Auge für Details hat, kann das bei uns lernen und dann in diesem Bereich unsere Dailys verstärken. Nachwuchstalente für unsere Branche können auch 50 Jahre alt sein. Wir machen immer Nachwuchstage bei der Rekrutierung. Ich möchte auch mal einen Ü60-Tag machen, weil wir demografisch nun einmal in diese Richtung laufen.

 

"Das UFA Zertifikat - das ist kein staatlich geschützter Abschluss, aber mehr als ein Jodeldiplom."

 

Interessanter Gedanke. 

Es ist doch egal was die Politik aktuell auch erzählt: Zumindest in den weniger körperlichen Berufen werden wir definitiv länger arbeiten müssen und unsere Gesellschaft ist darauf noch nicht ausgelegt. Weil wir die Augen vor der Notwendigkeit und unpopulären Feststellung verschließen, gelten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab 55 leider nur noch als Kurzzeitlösung. Deswegen werden diese oft nicht angesprochen, auch in unserer Branche nicht. Auch das möchte ich aber für uns nutzen. Das ist mal eine andere Ansprache als das, was wir bei den Auszubildenden und Hochschulen schon intensiv machen. Wir gehen auch in die Shopping-Center, wo wir vielleicht bislang schon unterwegs waren, wenn wir Charaktere casten wollten. Aber wir wollen dort auch mit einem neu konstruierten Stand durchs Land reisen und für die diversen Jobmöglichkeiten beim Fernsehen werben. Die erste Veranstaltung war jetzt in Plauen, da haben wir im Nachgang zwei Bewerbungen erhalten. Wir brauchen Präsenz dort, wo bislang die Hürde zum Fernsehen zu groß erschien.

Und wie muss man sich dann den Alltag vorstellen, wenn man aufgenommen wird in der UFA Academy?

Anders als unsere Azubis, haben die Quereinsteiger:innen nicht monatelang Blockunterricht in Berufsschulen, sondern bleiben praxisnah bei uns, allerdings mit designierten Mentor:innen und durchlaufen statt der Berufsschule bei uns intern diverse Abteilungen, um die Chance zu bekommen, vielleicht ungeahnte Interessen oder Fähigkeiten zu entdecken. Es wäre töricht, eine Aufnahmeleitung in der Position zu behalten, wenn er oder sie merkt, dass Regieassistenz viel besser passt. Und am Ende der Ausbildung steht dann das UFA Zertifikat. Das ist kein staatlich geschützter Abschluss, aber mehr als ein Jodeldiplom: Wir wollen hier das Renommee der Marke UFA im Markt nutzen, das signalisiert: Hier wurde jemand sehr gut ausgebildet.

Herr Kosack, herzlichen Dank für das Gespräch.