Frau und Herr Lobo, wie schwer fällt es, beim Blick auf die derzeitigen Nachrichten nicht zu verbittern?

Sascha Lobo: Ich glaube nicht, dass wir drohen zu verbittern. Dazu neigen wir beide allerdings auch nicht. Ich glaube aber schon, dass es sinnvoll ist, sich genau damit zu beschäftigen, welche Gefühle Nachrichten auslösen. In einer gewissen, traurigen Weise ist diese Katastrophe des Kriegs in der Ukraine ungefähr das, weshalb wir im Herbst über einen Podcast nachgedacht haben. Obwohl wir in Deutschland natürlich nicht die ersten Opfer von Putins Krieg sind, muss man die Nachrichten, die uns erreichen, irgendwie bewältigen – und das ist alles andere als leicht.

Wünscht man sich da womöglich jene Zeiten zurück, in der ein "Tagesschau"-Sprecher einmal am Tag mit nüchternen Worten verlas, was auf der Welt passierte?

Jule Lobo: Ich vermisse das nicht. Im Gegenteil, ich würde das Seelenleben dahinter sehr gerne noch viel genauer erklärt genauer bekommen. Würde man die Nachrichten vom Krieg nur nüchtern verlesen, wären sie ja trotzdem schrecklich. Man könnte sie vielleicht leichter verdrängen, aber dieser Zug ist auch durch soziale Medien irgendwie abgefahren.

Sascha Lobo: Außerdem gehen Gefühle nur selten weg, wenn man nicht darüber spricht. Oft ist Kommunikation der einzige Ausweg, um schlimme Nachrichten zu verarbeiten. 

Ihr neuer Podcast heißt "Feel the News". Wie gefühlig soll's denn werden?

Sascha Lobo: Wir wollen keinen Psychotalk machen, sondern handfest von den Fakten ausgehen – aber eben auf einer Ebene, die Gefühle nicht ausblendet. Unsere Perspektive wird eine auf die Zukunft gerichtet sein. Das heißt nicht, auf Krampf positiv zu sein. Aber wir haben ein Kind, das acht Monate alt ist, und bekommen in diesem Jahr noch ein zweites. Alleine schon dadurch sind wir gezwungen, zukünftig zu denken.

Was hilft Ihnen dabei, sich Ihre positive Weltsicht zu bewahren?

Jule Lobo: Es geht nicht darum, den positiven Aspekt in den schlimmsten Geschehnissen herauszuwringen, sondern darum, informiert zu bleiben, ohne an der Welt zu verzweifeln. Manchmal macht einem eine Situation schon alleine deshalb Angst, weil man nicht begreift, was eigentlich gerade vor sich geht. Oft kann Aufklärung helfen. Unser Ansatz ist es, zu recherchieren, verschiedene Stimmen einzuholen, sich zu beraten und gemeinsam darüber zu reden, wie man bewertet, was das Land bewegt – oder was uns vielleicht doch Hoffnung gibt.

Sascha Lobo: Es gibt diesen chinesischen Fluch "Mögest du in interessanten Zeiten leben". Mir war lange nicht bewusst, weshalb das ein Fluch sein soll. Aber allmählich lässt es sich erahnen. Wir taumeln gerade von der Pandemie direkt in einen Krieg in Europa, an den sich jede Menge katastrophale Szenarien anschließen können. Ich glaube, dass ein Teil der Handlungsfähigkeit, die wir noch haben, darin besteht, dass wir uns nicht verkriechen, sondern darüber sprechen. Das ist ein Balanceakt, nicht zu egozentrisch zu argumentieren. Aber es hilft auch nicht, wenn wir so tun, als seien Gefühle über diese Nachrichten nicht da oder völlig irrelevant.

Wenn Sie sich ohnehin den ganzen Tag austauschen – inwiefern besitzt der Podcast für Sie selbst überhaupt noch ein überraschendes Element?

Jule Lobo: Es ist toll, überrascht zu werden, aber es ist nicht die erste Priorität. Wenn man professionell Podcasts macht, ist es nicht so wichtig, dass die Hosts ehrlich überrascht sind von der Situation, sondern dass idealerweise eine überraschende Erkenntnis für das Publikum entsteht. Uns ist der Anspruch an journalistische Professionalität wichtiger.

 

"Eine Generation, die damit anfängt, soziale Medien richtig zu benutzen, wird sich auf Dauer nicht mehr so leicht durch soziale Medien radikalisieren lassen."
Sascha Lobo

 

Welche Rolle haben die vergangenen beiden Pandemie-Jahre gespielt, anders auf die Gesellschaft zu blicken?

Jule Lobo: Wir haben durch Corona gemerkt, dass in unserem Land etwas passiert ist; dass sich Leute auf eine Weise emotionalisiert und radikalisiert haben, die uns sehr fremd ist. Die Frage ist doch: Wieso spricht man diesen Menschen zu, wütend und sauer sein zu dürfen, während die Menschen, die sich an die Regeln halten und realistisch sind, ihre Gefühle gefälligst im Zaum halten sollen? Klar, man sollte nicht zu irrational werden, aber Emotionen sind doch nicht nur einer bestimmten Gruppe vorbehalten. Rationalität und Gefühle müssen kein Widerspruch sein.

Sascha Lobo: Dazu kommt noch eine weitere Komponente. Es gibt diesen Spruch von Niklas Luhmann aus dem 20. Jahrhundert, den man in Medienzirkeln gut kennt: "Was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Massenmedien." Im 21. Jahrhundert gilt auch ein anderer Satz: "Was wir über die Welt fühlen, fühlen wir über die sozialen Medien." Soziale Medien sind Maschinen, die von sehr klugen Leuten mit unendlich viel Geld gebaut wurden, möglichst viele Emotionen zu wecken. Diese Emotionen übersetzen soziale Medien in Aufmerksamkeit, in Verbreitung und damit auch in Werbegeld. Dass diese Emotionen eingreifen ins Nachrichten- und sogar ins Weltgeschehen, ist ein wiederkehrendes Muster der letzten Jahre. 

Zum Beispiel?

Sascha Lobo: Dieses Muster haben wir etwa bei Trump oder den Querdenkern gesehen, aber wir haben es auch im Positiven beobachten können. Fridays for Future oder Black Lives Matter haben über soziale Medien emotionalisiert und dadurch eine Wirkung erreicht, die vorher kaum denkbar war. Greta ist ein emotionales Social-Media-Phänomen, "I dare you". Wir müssen also viel mehr über die Gefühlsebene sprechen, weil man sonst die Gegenwart nicht mehr versteht. 

Durch die sozialen Medien entstand in den letzten Jahren der Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft. Auf der anderen Seite hat man in den vergangenen Tagen hunderttausende Menschen gesehen, die in Deutschland und weltweit für die Ukraine auf die Straße gingen. Ist die Gesellschaft also womöglich gar nicht so gespalten wie man das vermuten könnte?

Sascha Lobo: Der ständige Talk von der Spaltung der Gesellschaft war in den meisten Fällen Quatsch. Wir erleben schon immer eine Polarisierung, die mal stärker und mal schwächer ausfällt. Aber haben große Plattformen wie Facbeook oder YouTube in den vergangenen Jahren viel zu wenig dagegen unternommen, die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas zu stoppen, ich würde da jedoch nicht von Spaltung, sondern von Radikalisierung sprechen. Eigentlich müsste man sagen: Ein paar Leuten, die ohne soziale Medien aufgewachsen sind, ist offensichtlich Facebook nicht so gut bekommen.

Jule Lobo: Das ist vor allem eine Frage der Generation. Es gibt ja auch Gegenbewegungen, wie man sie in den ersten Tagen des Krieges beobachten konnte. Da wurden direkt Social-Media-Guides verbreitet – etwa, dass man nicht auf Fehlinformation hereinfallen oder keine Bilder von Kriegsgefangenen teilen soll. Solche Hinweise kamen nicht von der Bundesregierung, sondern von normalen Menschen, die eine gewisse Medienkompetenz erreicht haben und verbreiten wollten.

Sascha Lobo: Eine Generation, die damit anfängt, soziale Medien richtig zu benutzen, wird sich auf Dauer nicht mehr so leicht durch soziale Medien radikalisieren lassen.

Lassen Sie uns zum Ende noch einmal auf Ihren Podcast zu sprechen kommen, den Sie zusammen mit Studio Bummens machen. Wieso produzieren Sie ihn nicht einfach selbst?

Jule Lobo: Es war uns wichtig, eine redaktionelle Betreuung zu haben, die nicht im selben Team sitzt. Obwohl ich eine eigene Podcast-Firma habe, war uns klar, dass wir auf einen Partner setzen wollen, dem wir vertrauen. So kam die Zusammenarbeit mit Studio Bummens zusammen.

Sascha Lobo: Wenn man einen solchen Podcast selbst produziert, birgt das die Gefahr, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig hilft uns ein Apparat wie von Studio Bummens aber auch bei Partnerschaften wie jener mit Jimdo, dem Anbieter von Website-Baukästen. Das passt wunderbar zu unserem Podcast-Konzept, weil wir gemeinsam eine Website aufbauen wollen, auf der die Hörerinnen und Hörer über den Podcast diskutieren können. Dabei helfen uns im Übrigen auch Sprachnachrichten zu unseren Themen, zu denen wir ab der zweiten Folge aufrufen werden.

Was haben Sie sich für die Premiere vorgenommen?

Jule Lobo: Durch die Ereignisse der vergangenen Wochen ist das Überthema gesetzt. Wir wollen aber eine Perspektive finden, die uns hilft, nicht mehr zu verzweifeln als wir es ohnehin schon sind. Sondern die vielleicht sogar dazu beiträgt, den Opfern des Kriegs besser helfen zu können. Idealerweise hören uns die Leute 45 Minuten zu, aber behalten es dann für immer im Kopf. Wäre schön, wenn uns das gelingt.

Frau und Herr Lobo, vielen Dank für das Gespräch.

Der Podcast "Feel the News" erscheint ab sofort jeden Donnerstag.