Frau Kolster, Frau Lindenau, ab wann ist Aktualität eigentlich planbar?

Michaela Kolster: Manche Ereignisse und Termine lassen sich sicher planen, etwa Bundestagsdebatten oder Pressekonferenzen, aber grundsätzlich ist Aktualität nicht planbar, allen voran Breaking News. Wenn Dinge passieren, die eine gesellschaftliche und politische Relevanz haben, dann werden sie bei Phoenix selbstverständlich sofort gesendet.

Eva Lindenau: Wir waren mit Phoenix die ersten, die über den Sturm auf das Kapitol in Washington berichtet haben. Genau das macht den Sender aus, in wichtigen Momenten in Echtzeit dabei zu sein. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. 

Die ARD hat kürzlich definiert, dass Phoenix – in Abgrenzung zu Tagesschau24 – die Heimat für "planbare Aktualität" mit dem Fokus der Live-Verbreitung von politischen Ereignissen sein soll. Was halten Sie davon?

Lindenau: Unser Fokus liegt auf der Live-Verbreitung von politischen Ereignissen, das umfasst wie beim Sturm auf das Kapitol auch Breaking News. In Abgrenzung zu Tagesschau24 berichten wir aber eher nicht über einen Sturm in Deutschland, sondern haben die Pressekonferenz von Joe Biden wenige Tage vor Beginn des Ukraine-Kriegs live verbreitet. Die Abgrenzung schränkt den Gemeinschaftssender Phoenix also nicht ein. 

Kolster: Es gibt immer mal Überschneidungen, aber das ist nicht weiter schlimm. Wir sind ein Komplementärangebot, vor allem für die Mutterhäuser. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass unser Programm so attraktiv bleibt, dass wir uns auch gegen andere Anbieter auf dem Markt behaupten – und ich sage selbstbewusst, dass uns das an sehr vielen Stellen gelingt.

Aktuell ist Ihr Programm sehr geprägt von der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. Wo legen Sie die Schwerpunkte?

Lindenau: Unser Ziel ist es, die Äußerungen aller zentralen Akteure des Krieges zu zeigen und möglichst immer live dabei zu sein – etwa, wenn Wolodymyr Selenskyj vor dem EU-Parlament spricht oder sich der russische Außenminister den Fragen von Journalistinnen und Journalisten stellt. Aus diesem Zwiegespräch, aber auch aus seiner Mimik und Gestik, konnte man einiges ablesen. Das bekommt man bei uns, aber bei vielen anderen nicht und die Abrufzahlen zeigen, dass die Zuschauenden genau das suchen.

Kolster: Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Krieg eine solche internationale Gesprächslawine auslöst. In allen internationalen Gremien wird intensiv diskutiert und das wollen wir eins zu eins widergeben. Wir sind froh und stolz, all das in einer großen Ausführlichkeit zeigen zu können, damit sich das Publikum ein Bild von dem machen kann, was auf der Welt passiert. Die sehr guten Einschaltquoten belegen, dass die Live-Ereignisse bei den Menschen, insbesondere bei den jüngeren, ausgesprochen gefragt sind.

 

"Grundsätzlich sind wir bei Phoenix finanziell und personell nicht dafür aufgestellt, regelmäßig in der Nacht durchzusenden."
Michaela Kolster

 

Als der Krieg begann, haben ARD und ZDF die nächtliche Phoenix-Schiene übernommen. Ist so etwas in Zukunft häufiger denkbar?

Kolster: Das war ein unglaublicher Erfolg, bleibt aber eine Ausnahme, denn es handelte sich schlicht um eine Ausnahmesituation, in der die Mutterhäuser froh waren, auf uns zurückgreifen zu können. Da zeigte sich, wie gut die Zusammenarbeit zwischen ARD und ZDF ist – und ich gehe davon aus, dass das bei künftigen Ausnahmesituationen auch noch einmal wiederholt werden kann. Grundsätzlich sind wir bei Phoenix jedoch finanziell und personell nicht dafür aufgestellt, regelmäßig in der Nacht durchzusenden. 

Wo wollen Sie das Publikum abseits des linearen Programms erreichen? Und wie viele Plattformen kann sich Phoenix überhaupt leisten, parallel zu bespielen?

Lindenau: Als kleiner Sender müssen wir uns sehr genau überlegen, wie wir die verschiedenen Verbreitungswege zielgruppenspezifisch bespielen und was wir lassen. Die Ausstrahlung über die Mediatheken von ARD und ZDF ist für uns von zentraler Bedeutung. Finden entscheidende Pressekonferenzen oder Debatten parallel statt, können die Zuschauenden bei uns über Hbbtv selbst entscheiden, was sie live verfolgen möchten. Darüber hinaus setzen wir verstärkt auf Instagram, um eine jüngere Zielgruppe mit unserem Kern, also der Berichterstattung aus dem Bundestag, anzusprechen. Da sind wir gerade dabei, unseren Auftritt zu optimieren, weil wir merken, dass die Menschen in den Momenten, in denen im Bundestag etwas passiert, das uns alle betrifft, gezielt Phoenix suchen. 

Phoenix-Sendestart © Phoenix 7. April 1997: Die Phoenix-Programmgeschäftsführerin Barbara Groth (ZDF) und ihr Kollege Klaus Radke (WDR) drücken gemeinsam den Sendestartknopf zum Start des Phoenix-Programms.

Bleibt bei all den Ereignissen der vergangenen Wochen überhaupt die Zeit, um den 25. Geburtstag von Phoenix zu feiern – zumal die Pandemie noch immer nicht beendet ist?

Kolster: Wir merken es im Haus, dass die zwei Pandemie-Jahre nicht spurlos an uns vorübergegangen sind, weil wir uns teilweise mit A- und B-Teams ganz anders aufstellen mussten und es diese schnellen, kreativen Runden nicht mehr gibt. Dazu ist die neue Omikron-Variante so anstecken, dass wir es derzeit mit einem erhöhten Krankenstand zu tun haben. Und jetzt kommt der Krieg noch obendrauf. Trotzdem haben alle, die bei phoenix arbeiten, die 25 Jahre im Kopf, weil in dieser Zeit Großes geleistet wurde, auf das wir stolz sein können. 

Lindenau: Vor dem aktuellen Hintergrund mit all seinen Belastungen sind wir froh, die Feierlichkeiten auf den Juni gelegt zu haben. Der Sendergeburtstag am 7. April wird daher im Programm von der Aktualität geprägt sein, etwa durch eine Sonderausgabe der "Phoenix Runde" am Abend, die sich der Frage widmet, wo die Wahrheit im Krieg bleibt und welche Rolle die Medien haben.

Phoenix zieht an neuen Standort

Als Sie zu Phoenix kamen, Frau Lindenau, brach nur wenige Wochen später die Pandemie aus. Haben Sie seither eigentlich so etwas die Normalität im Sender erlebt?

Lindenau: Es waren tatsächlich keine drei Monate, in denen so etwas wie Normalität herrschte. Ich kann mich an eine "Unter den Linden"-Sendung mit Karl Lauterbach erinnern, in der er zum ersten Mal sagte, dass die Schulen geschlossen werden. Das war für mich damals unvorstellbar. Nun sind wir durch Corona und die Kriegsberichterstattung noch immer weit von der Normalität entfernt. Dabei hatte ich bis vor einigen Wochen gehofft, dass wir uns in der nächsten Zeit vor allem auf unser internes Großprojekt, den Umzug von Phoenix, konzentrieren können. Damit sind viele Zukunftsperspektiven verbunden.

Wohin genau geht es und welche Möglichkeiten wird phoenix dadurch in Zukunft haben?

Kolster: Wir ziehen voraussichtlich Mitte 2024 in einen Trakt der Deutschen Welle, konkret in den Schürmann-Bau in Bonn. Dadurch sind wir in der Lage, uns neu aufzustellen, weil sich, bedingt durch den bisherigen Standort, in den vergangenen Jahren viele Medienbrüche ergeben haben. Gleichzeitig bietet der neue Standort die Möglichkeit uns zu überlegen, wie wir uns inhaltlich neu aufstellen und die verschiedenen Gewerke enger zusammenarbeiten können. Ein solcher Desk, der als Scharnier dient, war in den bisherigen Räumlichkeiten schlicht nicht möglich. 

Als Phoenix 1997 gestartet ist, war Bonn noch die Hauptstadt der Bundesrepublik. Warum ist Phoenix bis heute in Bonn geblieben?

Kolster: Anfang war Phoenix noch beim WDR in Köln angesiedelt. Erst als das ZDF-Hauptstadtstudio nach Berlin zog, erfolgte der Wechsel nach Bonn. Klar, manchmal erwischen wir uns bei dem Gedanken, dass ein Umzug nach Berlin von Vorteil wäre, andererseits profitieren wir häufig von der Distanz zur Hauptstadt-Bubble, die es uns ermöglicht, die Dinge durch eine andere Brille zu sehen. Das hilft dem Anspruch, "das ganze Bild", wie es in unserem Slogan heißt, zu vervollständigen.

Frau Kolster, Frau Lindenau, vielen Dank für das Gespräch.