Frau Seidel, Sie sind seit einem Jahr Programmchefin des jungen SWR-Radiosenders DASDING. Gegen wen kämpfen Sie am meisten um die Gunst der Aufmerksamkeit? Ist es das Musikstreaming oder sind es doch die Podcasts?

Wenn's um Radioprogramm geht, dann sind weiterhin die Streamingdienste, also Spotify und Apple Music, unsere härtesten Konkurrenten. Bei Podcasts unterscheiden sich die Hörgewohnheiten sehr viel deutlicher. 

Gleichzeitig setzen auch Sie auf Podcasts.

Das ist ein Feld, in dem wir uns gerne ausprobieren. Wir sehen hier die Chance, mit spitzeren Angeboten ein spitzeres Publikum anzusprechen. Damit erreichen wir zwar nicht die Masse, aber in Summe durchaus eine beachtliche Zahl an Menschen. In unserem klassischen Radioprogramm müssen wir dagegen andere Prioritäten setzen.

Inwiefern?

Im Tagesprogramm müssen wir gefälliger werden, weil wir mit der musikalischen Vielfalt niemanden so richtig zufriedenstellen. Wir werden deshalb künftig tagsüber die Spitzen und Kanten aus der Musik herausnehmen. Hier wollen wir mehr Mainstream und dadurch eine höhere Durchhörbarkeit erreichen. Diese Ecken und Kanten hatten wir bislang auch am Wochenende mit DJ-Strecken, von denen wir uns jetzt trennen werden. Den "DASDING Plattenleger" hat es 23 Jahre lang gegeben. Das ist für ein junges Programm eine lange Zeit. Wir haben Mitarbeitende, die noch nicht auf der Welt waren, als der erste "Plattenleger" lief. Gerade ein junges Programm muss sich regelmäßig hinterfragen.

Welche weiteren Veränderungen streben Sie an?

Ab nächster Woche werden wir unsere Morningshow von Dreier-Teams auf zwei feste Zweier-Teams, bestehend aus Vanessa und Joost sowie Nette und Marci, verkleinern und sie gleichzeitig um eine Stunde kürzen, also schon um 9 Uhr enden. Dadurch beginnen die folgenden Sendungen früher  und wir können wir am Abend schon ab 19:00 Uhr mit "DASDING Play" beginnen, unserer Sendung für neue Musik. Diese Show verlängert sich also um eine Stunde. Wir sehen uns weiterhin in der Pflicht, Newcomerinnen und Newcomer zu unterstützen. Darüber hinaus starten wir künftig am Wochenende um 9 Uhr in den Tag und konzentrieren uns mehr auf den Abend. Dort haben wir ab sofort die Möglichkeit, bis Mitternacht live zu moderieren – was vor allem dann hilfreich ist, wenn es nach den Veränderungen durch die Corona-Pandemie wieder ein normales Ausgehverhalten gibt. Aber auch an anderer Stelle haben sich die Hörgewohnheiten verändert.

Zum Beispiel?

Vermutlich bedingt durch die Pandemie und das verstärkte Arbeiten im Homeoffice wird das Radio mittlerweile etwas später eingeschaltet als noch vor Corona. Gleichzeitig gehen die Hörerinnen und Hörer früher und konsequenter aus dem Radio raus. Da spielt das Radio nicht mehr die Rolle, die es einmal hatte. Dazu kommen inhaltliche Auswirkungen: Wegen der Pandemie und des Krieges stellen wir einerseits ein erhöhtes Informationsbedürfnis fest, andererseits aber auch einen Informationsüberdruss und den Wunsch nach Ablenkung. Unsere Aufgabe ist es deshalb, einen Mittelweg zu finden.

 

"Der SWR wäre nicht sehr gut beraten, gerade bei einem jungen Programm einzusparen."

 

Wie soll das gelingen?

Wir haben in der Nachmittagssendung beispielsweise ganz bewusst die Stundenuhr abgeschafft, weil ich möchte, dass Themen die Sendung füllen und nicht Programmplätze. Wenn es an einem Tag viele Themen gibt, können wir ausführlich darüber sprechen und müssen nicht drei Songs am Stück spielen, bis es weitergeht. Und wenn es weniger Themen gibt, dann spielen wir eben mehr Musik. 

Laufen Sie nicht Gefahr, in das Fahrwasser zu geraten, in dem bereits SWR3 erfolgreich ist, wenn Sie sich verstärkt in Richtung Mainstream bewegen?

Es ist nicht schlimm, wenn wir uns mit SWR3 überschneiden. In einer perfekten Welt wandern unsere Hörerinnen und Hörer ohnehin irgendwann zu SWR3 über, wenn sie älter sind. Das ist ja auch keine reine Frage der Musik. Bei der Abgrenzung geht es um die Ansprache und unseren sehr jungen Blick auf Themen, mit dem wir uns unterscheiden. Da hilft es, dass ein Großteil des Teams selbst unserer Zielgruppe angehört. 

Geht es bei den geplanten Veränderungen auch um Einsparungen?

Unter dem Strich werden wir durch die Veränderungen nichts einsparen, weil wir die Investitionen ins Programm nur verschieben – anstelle der DJ- Strecken verlängern wir nun das Abendprogramm. Überhaupt wäre der SWR nicht sehr gut beraten, gerade bei einem jungen Programm einzusparen.

Machen Sie sich perspektivisch Sorgen um das Medium Radio, wenn die jüngeren Hörerinnen und Hörer verstärkt abwandern?

Ich mache mir keine Sorgen, weil das Radio noch immer Eigenheiten und Besonderheiten hat. Das Medium kann Emotionen und Befindlichkeiten transportieren. Wenn ich meine Spotify-Playlist höre, sagt mir niemand, dass draußen die Sonne scheint. Und wenn ein Hörer mit einem Anruf einen Moderator zum Weinen bringt, dann sind das Emotionen, die es über Musikstreaming schlicht nicht geben kann. Wir müssen uns allerdings verändern und Radio an manchen Stellen neu denken. Die Musik bleibt zwar ein wichtiger Bestandteil, ist aber insbesondere in der jüngeren Generation nicht mehr der alleinige Einschaltimpuls. Wichtiger sind Menschen und Geschichten.

Frau Seidel, vielen Dank für das Gespräch.