Herr Silberstein, Herr Steinberger, warum ist Satire im deutschen Fernsehen eine fast ausschließlich öffentlich-rechtliche Disziplin?

Schlecky Silberstein: Wir machen bisher nur öffentlich-rechtliche Satire, deswegen kann ich nicht beurteilen wie das woanders ist - bei all diesen berühmten Satire-Formaten der Privatsender. (lacht)

David Steinberger: Wirklich schade, dass es da so wenig gibt. Wer kürzlich das „RTL Samstag Nacht“-Revival gesehen hat, wurde daran erinnert, wie viel Anarchie einmal möglich war im werbefinanzierten Fernsehen. Es gab Zeiten, da haben sich die Privatsender mehr getraut. Mit Publikumserfolg wird es dann auch einfacher, Widerstand auszuhalten.

Und Widerstand kennen Sie ja, etwa von der AfD…

David Steinberger: Ja, wir haben gelernt, dass es nicht wenige Menschen gibt, die gerne absichtlich falsch verstehen wollen.

Schlecky Silberstein: Wir haben es uns damals nach dem AfD-Vorfall mal gegönnt, das juristisch aufarbeiten zu lassen, was für die AfD am Ende teuer wurde, aber für uns auch sehr zeitintensiv - und das ist sicher auch Kalkül von allen Rändern. Aufwand erzeugen. Mein erster Reflex damals war: Das ist den Aufwand nicht wert, aber David hatte die Elefantenhaut und rückblickend war es richtig und wichtig, das juristisch aufzuarbeiten und eben nicht auf sich beruhen zu lassen. 

David Steinberger: Wenn man länger Satire macht, weiß man im voraus schon, welche Widerstände kommen werden. Das muss man entsprechend einpreisen und im Zweifel alle Beteiligten vorwarnen, dass es heiß werden könnte.

Was sagt das über die Diskurs-Kultur aus, wenn man vor Witzen warnen muss? 

Schlecky Silberstein: Manchmal fragt man sich schon, ob es heute für alles eine Gebrauchsanleitung braucht. Aber wenn wir Satire kennzeichnen müssen, dann sind wir kurz vor dem amerikanischen „Achtung, heiß“ auf Kaffeebechern. Andererseits ist Satire, die keinen stört, auch keine Satire. Wenn wir bei unserer Arbeit merken, dass sich niemand aufregen wird, ist das für uns ganz sicher kein Qualitätsmerkmal.

David Steinberger: Wir sind Kinder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit stabilen Beziehungen zu beiden Senderfamilien und sind dort mit unserem Genre sehr gut aufgehoben. Natürlich gibt es von Sender zu Sender und Redaktion zu Redaktion Unterschiede in der Resilienz und Frustrationstoleranz, wenn es zum Beispiel zu Programmbeschwerden kommt. Wir fühlen uns beim ZDF jetzt sehr wohl, weil man dort nicht zuletzt durch Jan Böhmermann aber auch andere Formate schon manchen Widerstand ausgehalten hat. Da sind wir in einen sicheren Hafen eingelaufen.

Und den gab es bei der ARD nicht? Warum der Wechsel zum ZDF?

Schlecky Silberstein: Wir wollten uns weiterentwickeln und seit einiger Zeit schon an längeren Filmen arbeiten, was beim ZDF sofort verstanden und unterstützt wurde. Das ist im Grunde ein Traum seit der ersten Staffel vom „Browser Ballett“, weil die kurzen Sachen natürlich Spaß machen, aber wir uns sicher waren, dass da mehr drin steckt. 

David Steinberger: Unser Setup beim ZDF sieht so aus, dass unsere Online-Kanäle weiterlaufen wie bisher, dazu kommt ein neuer TikTok-Kanal und dann kommen dieses Jahr die von Schlecky angesprochenen sechs Satire-Filme. Das sind 30-minütige, in sich geschlossene mono-thematische Filme. Die werden nicht seriell programmiert sondern einzeln veröffentlicht, online in der ZDF Mediathek aber auch linear im Schaufenster von ZDFneo.

Zum Erfolg wurde das „Browser Ballett“ abseits des linearen Fernsehens, was die Frage aufwirft: Welche Bedeutung hat das Lineare denn für Sie und ihr Team? 

David Steinberger: Das Fernsehen erzielt nach wie vor sehr hohe Reichweiten und ich freue mich sehr über die prominente Platzierung unter der Flagge von ZDFneo. Aber natürlich schielen wir auch auf die Mediathek und ich bin mir sicher, hier bei uns im Team würden die meisten eher den Mediatheken-Link verschicken als ihrem Freundeskreis zu empfehlen zur fixen Uhrzeit vor dem Fernseher zu sitzen. „Im Fernsehen sein“ lässt die Jüngsten hier eher kalt, da tanzt sicher keiner aufm Tisch. Aber beide Ausspielwege ergänzen sich ja.

Schlecky Silberstein: Ich bin so happy, weil wir jetzt endlich alles machen können, was kreativ wünschenswert ist. Von Hochkant-Kurzform für TikTok über Instagram, Twitter, Facebook und YouTube bis zum längeren Film für ZDFneo und die Mediathek. Da ist ein Ökosystem entstanden, das uns alles erlaubt. Mit jeweils eigens dafür kreierten Inhalten wie aber auch Promo für unsere Langfilme und da können wir dann ganz fantastisch in allen sozialen Netzwerken, die von unseren Fans genutzt werden, zur ZDF-Mediathek hinführen. Das fühlt sich rund an, so rund wie noch nie.

 

"Der Föderalismus der ARD im Gegensatz zum ZDF hat eben Vor- aber auch Nachteile"

David Steinberger

 

Nochmal die Nachfrage: Das ging bei der ARD nicht?

David Steinberger: Eine legitime Frage, der ich nicht ausweichen will. Zunächst einmal sei aber betont, dass wir bei Funk jahrelang sehr erfolgreich im ARD-Kosmos verortet waren und können den Kolleginnen und Kollegen nicht genug danken, dass wir das „Browser Ballett“ dort groß machen konnten. 

Schlecky Silberstein: Der Gründungsmythos des Browser Ballett liegt im Übrigen bei einem öffentlich-rechtlichen Redakteur von funk, der gesagt hat: Ich lass euch so lange an der langen Leine machen wie es erfolgreich ist. Und das mit dem Erfolg ging dann sehr schnell, weil wir unsere Sprache gefunden haben und die ersten Stücke viral gegangen sind. Generell sind wir funk sehr dankbar, dass sie immer an die Marke geglaubt haben.

David Steinberger: Aber auch schon zu Funk-Zeiten waren wir bei verschiedenen Rundfunkanstalten der ARD angedockt. Das wechselte oft von Saison zu Saison. Da hat der Föderalismus der ARD im Gegensatz zum ZDF eben Vor- aber auch Nachteile. Mal SWR, mal NDR, mal RBB. Das hat auch lange gut geklappt, insbesondere weil Philipp Schild von funk immer die Fäden in der Hand behalten hat. Wir stehen auch mit allen Redaktionen nach wie vor in gutem Kontakt, aber natürlich bedeutete das für uns auch immer wieder das einstellen auf neue Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Der Endpunkt waren dann 2021 die acht Folgen für Das Erste und die ARD-Mediathek. Da waren dann sieben verschiedene Parteien dran beteiligt.

Was es ja bekanntlich meist besser macht…

Schlecky Silberstein: (lacht)

David Steinberger: Koproduktionen haben das an sich, es liegt natürlich am Geld und an politischen Gründen innerhalb der ARD. Das ist nachvollziehbar, aber dieses komplexe Konstrukt der ARD ist dann für ein Format unter Umständen nicht dauerhaft tragfähig. Zu viele Beteiligte meinen es gut, aber je komplexer es wird, desto einfacher ist es auch, Verantwortung zu verschieben - und das blockiert. 

Schlecky Silberstein: Aus kreativer Sicht kann ich gar nicht genug betonen, wie wichtig eine belastbare Langzeitbeziehung zwischen Kreation und Sender-Redaktion ist. Bei jedem Wechsel dauert es auch bei den besten Leuten erstmal, bis man sich wieder aufeinander einspielt und das kostet unnötig Energie. Die beste Comedy entsteht einfach, wenn man sich kennt und gut ergänzen kann. Dann flutscht es einfach besser.

David Steinberger: Das strukturelle Problem kennen auch die vielen tolle Kolleginnen und Kollegen in der ARD. Das ist ja kein Geheimnis. Mit einigen davon sind wir auch unverändert im Gespräch und denken über neue Projekte nach.

Das ist die kreative Begründung. Welche Rolle spielte die wirtschaftliche Sicherheit für die eigene Firma?

David Steinberger: Klar, wir haben hier über dreißig feste Mitarbeiter*innen und wachsen stetig, um unsere Brands nachhaltig aufzubauen, neben dem „Browser Ballett“ z.B. auch „Aurel Original“. Wir sind selbstbewusst und wissen was wir können, aber fehlende Stabilität schränkt kreative Freiheit ein. Dementsprechend ist das sicher auch ein Aspekt. Aber wir wollen als Unternehmen natürlich auch darüber hinaus neue Ideen umsetzen, haben massiv in Entwicklung investiert und sprechen da mit allen im Markt.

Schlecky Silberstein: Volatilität vermeiden ist auch deswegen wichtig, weil wir keine Firma sind, die nur aus wenigen Leuten besteht und ständig befristet für einzelne Projekte Leute einkauft. Wir arbeiten überwiegend mit festangestellten Kolleginnen und Kollegen, haben damit einen festen Writers Room und viele andere eingespielte Prozesse im Haus. Können also von der Idee bis zur Umsetzung und Veröffentlichung alles selbst umsetzen. Langfristig zahlt sich das aus, gerade wenn alle über einen Mangel an Talenten sprechen. Wir holen auch viele früh zu uns und wachsen gemeinsam. Jette Buss, unsere Headautorin von „Aurel Original“, war z.B. das Destillat unserer allerersten Ausschreibung 2018 und kam als Studentin zu uns. Das bedeutet auch mehr Verantwortung als Hire&Fire.

Im ZDF sind Sie jetzt der Berliner Gegenpol zu Comedy made in Cologne, wo „Heute Show“, „ZDF Magazin Royale“ und „Studio Schmitt“ entsteht?

Schlecky Silberstein: Interessanter Gedanke. Habe ich so noch nie betrachtet. Sicher haben verschiedene Standorte andere Einflüsse. Der Berliner Humor ist auch aus Norddeutschland sehr geprägt. Habe mal gelesen, dass die größte Kohorte hier zugezogene Hamburger und Bremer sind. Also auch wenn mich manche Berliner jetzt verprügeln werden, würde ich Berlin mal noch zu Norddeutschland zählen.

Ich dachte Berlin sei inzwischen Teil des Schwabenländle…

Schlecky Silberstein: (lacht) Das ist nur Klischee. Die sind in der Uckermark und haben da ihre Höfe.

David Steinberger: Wir haben sicherlich Trennschärfe zu den verwandten Formaten im Senderverbund, unterscheiden uns auf jeden Fall durch den szenischen und filmischen Ansatz. Das ist eine andere Form als das, was Böhmermann, Welke und Schmitt machen. Wir inszenieren mehr, sind fiktionaler unterwegs als z.B. die Einspieler der „heute show“. Böhmermann ist bekanntermaßen immer journalistischer geworden und Schmitt macht eine klassische Studio-Produktion. Damit kommen wir uns nicht in die Quere sondern ergänzen uns sehr gut.

Welche Perspektive sehen Sie für „Aurel Original“?

David Steinberger: Bei „Aurel Original“ sind wir in einem Stadium, wo man noch entscheiden kann, in welche Richtung wir das modellieren. Aurel ist ein großes Talent, dessen Bekanntheit in den letzten zwei Jahren nochmal enorm gestiegen ist. Wir werden sicherlich noch lange miteinander zusammenarbeiten, weil wir es gegenseitig sehr schätzen, gemeinsam etwas nachhaltig aufzubauen. Wir denken auch schon über neue Projekte nach. Die neuen Folgen von „Aurel Original“ kommen übrigens ab dem 26.01. in der ZDFmediathek und bei ZDFneo.

 

"Man bekommt vor lauter Haltung ja schon Rückenschmerzen."

Schlecky Silberstein

 

Sie wollen als Produktionsfirma SteinbergerSilberstein wachsen, erwähnten Sie vorhin. Weiter in der Satire?

Schlecky Silberstein: Also ich mach nicht noch ein Satireformat. Wir gelten als Satire-Spezialisten, weil wir damit angefangen haben und erfolgreich sind. Viel mehr Satire brauchen wir in Deutschland meiner Meinung nach aber nicht. Humor in Deutschland hat noch viele Lücken, wie der Erfolg von „LOL“ bei Prime Video gezeigt hat. Wir haben in extrem politischen Zeiten eine Welle von Satire mit Haltung erlebt. Man bekommt vor lauter Haltung ja schon Rückenschmerzen. Was vernachlässigt wurde, war unpolitischer Humor, der aus der Anarchie kommt. Ich möchte einen Aufruf starten: Das deutsche Fernsehen kann mehr Schwachsinn vertragen! „Kentucky schreit ficken“ war mal lustig, ist heute noch lustig. Oder Helge Schneider! Und ich werde nicht sterben bevor ich nicht mindestens etwas vergleichbar lustiges gemacht habe. Es braucht Zerstreuung. Ich möchte auch als Zuschauer manchmal einfach glücklich sein und nicht immer Weltschmerz transportiert bekommen.

David Steinberger: Wir sind genre-unabhängig. Wir arbeiten an Doku-Formaten, bereiten ein Talk-Format vor und wollen uns insbesondere in der Fiction ganz stark entwickeln. Wir werden uns sicher nicht beschränken, gerade weil in einem vertrauten Team so viele Wünsche und Ideen entstehen, die wir nicht von vornherein ausschließen wollen. 

Schlecky Silberstein: Shows sind auch denkbar. Warum nicht? 

Weil Sie mit Aurel und „Browser Ballett“ stark auf das Netz setzen: Welches der genutzten Social Networks ist ihrer Erfahrung nach am schlechtesten für Humor geeignet?

Schlecky Silberstein: Wir merken alle gerade, wie Facebook stirbt. Ich glaube Marc Zuckerberg war selbst zuletzt vor vier Jahren da. Wir haben da witzigerweise vor Ewigkeiten angefangen, aber wir müssen inzwischen feststellen: Die Menschen auf Facebook wollen gar nicht lachen. Fantastische Zahlen bekommt man nur, wenn sich irgendeine Gruppe aufregt. Facebook ist zum Medium für Menschen mit Fackel geworden. Da organisiert man sich, wenn man ein Parlament stürmen will. Instagram - obgleich aus dem gleichen Haus - ist da besser. Google hat es im Gegenzug geschafft, dass die Community auf YouTube noch am konstruktivsten ist, aber für Viralität war es nie gemacht. TikTok ist sicher das erfrischendste derzeit, dabei oft auch angenenm unpolitisch. Und das Werk spielt dort - anders als bei Instagram - eine größere Rolle als die Person dahinter.

David Steinberger: Über Facebook hatten wir unsere ersten viralen Hits und wir veröffentlichen dort auch weiter. Aber mit dem Blick nach vorne messen wir TikTok sicher die größte Bedeutung bei, auch weil Twitter ja seine eigenen Probleme gerade hat. Außerdem war das noch nie die wichtigste Plattform für Video-Inhalte. Und bei Instagram beobachte ich auch eine Art Frankenstein-Moment: Da steckt ein bisschen Snapchat, ein bisschen TikTok und noch etwas vom alten Instagram drin und kaum ein Content Creator weiß gerade, wohin die Reise gehen soll. Zuhause fühlen wir uns daher zwischen TikTok und ZDF, wobei anderthalb-minütige Clips genauso wichtig sein können wie 30-minütige Filme.

Eine Auswertung über alle Plattformen hinweg bedeutet aber auch, dass Content sowohl im Breitbildformat wie auch hochkant funktionieren muss. 

David Steinberger: Richtiger und wichtiger Punkt. Wir werden TikTok Exclusives haben, die wir nur hochkant produzieren und wir achten bei allen anderen Dreharbeiten auch darauf, dass wir so quadrieren, dass das Gefilmte sowohl in 16:9 als auch hochkant ohne oder mit nur wenig Verlust funktioniert. Das braucht Gespräche mit Regie und Kameraleuten.

Und das funktioniert? Schließlich machen sich die beiden Gewerke ja oft Gedanken bei der Bildauswahl und man nimmt ja Gestaltungsspielraum, wenn man sagt: Wichtig ist nur noch die Bildmitte, weil alles andere möglicherweise nicht gesehen wird?

David Steinberger: Wir reden hier natürlich von Kompromissen und manchmal kniffligen Szenen, aber da gilt auch für einen leidenschaftlichen Film- und Fernsehmacher wie mich: Wir können Hochkant nicht ignorieren. Das gab es früher mal eine Zeit lang, da galt es als verpönt. Aber das ist vorbei und für die jüngsten Generationen ist hochkant natürlicher als 16:9. Die Nuss müssen wir knacken und haben Lust darauf. 

Herr Steinberger, Herr Silberstein, herzlichen Dank für das Gespräch.