Veronica Priefer © Puria Safary
Frau Priefer, „Helgoland 513“ darf man wohl als HighConcept-Serie bezeichnen mit einer sehr spezifischen Prämisse beschreiben. Welchem Genre würden Sie die Serie zuordnen?

„Helgoland 513“ ist eine dystopische High-End Drama-Serie mit Virus, aber keine Virus-Serie. Eher geht es uns darum einer fragmentierten, widersprüchlichen Welt einen Spiegel vorzuhalten. Es ist in weiten Teilen ein oft schwarz humoriges Gesellschaftsdrama und Ensemblestück, das heutige soziale Probleme und Tendenzen extrem zuspitzt. Ich habe Social Anthropology und Development Studies studiert, weil mich immer der größere Zusammenhang und grundsätzliche Fragen interessiert haben. Das hat auch dafür gesorgt, dass die Geschichte zwar auf Helgoland spielt, aber die Fragestellungen keine allein deutschen sind. Es ist eine Endzeitserie der anderen Art. 

Inwiefern anders?

Keine Sorge, es gibt sie natürlich, die Szenen der Weltuntergangsstimmung, die nicht fehlen dürfen. Das sind auch Bilder, die wir so in einer deutschen Serie noch nicht gesehen haben. Da möchte ich allerdings nicht zu viel verraten. Im Mittelpunkt steht für uns eine zugespitzte Auseinandersetzung mit heutigen Problemen wie Ressourcen-Knappheit, die Schere in der Gesellschaft, Diskrepanzen zwischen Gesellschaftsschichten und Ausgrenzung. Social Ranking ist ein Thema. All das findet sich bei „Helgoland 513“ unter dem Brennglas dieses in der Welt wütenden Virus wieder, das auf der Insel eine Neuorganisierung aller bekannten Strukturen erfordert. Es geht um eine Welt, in der sich die Menschen ihren eigenen moralischen Kompass definieren müssen. 

Wie meinen Sie das?

Unter außergewöhnlichen Umständen sehen sich Menschen in kürzester Zeit mit harten Entscheidungen konfrontiert, die noch vor kurzem absurd erschienen. Wie verändern sich Bereitschaft und Notwendigkeit, Entscheidungen zu rechtfertigen, die unter normalen Umständen völlig undenkbar gewesen wären? Und wie findet man eigentlich Halt, wenn um einen herum alles zusammenbricht, was bisher eine Gesellschaft organisiert hat? Der Ausnahmezustand, den wir erzählen ist nicht nur das Virus, sondern die Gesellschaft, in der alle Angst haben. Und natürlich haben wir als Menschen die große Begabung unsere grausamsten Handlungen rational zu rechtfertigen. Das Schlimmste ist: Wir haben alle unsere Gründe.

Ist „Helgoland 513“ Unterhaltung oder mahnender Fingerzeig?

Wir wollen natürlich aktuelle, gesellschaftsrelevante Probleme spiegeln, aber all das in einer vorrangig spannende, bildgewaltigen Serie, die unterhalten soll.

Und wie kommt man auf so eine dystopische Geschichte?

Entstanden ist die Idee im Studium: Ein Kommilitone von mir, Florian Wentsch, ist 2014 auf mich zugekommen mit einer Grundidee, die wir dann am Küchentisch ausgearbeitet haben. Das war zu einer Zeit, die stark geprägt war von den Bildern Geflüchteter auf dem Mittelmeer und der Festung Europa. Gleichzeitig gab es vor dem Hintergrund von SARS und Ebola damals auch schon Artikel in der Fachliteratur über die Sorge vor einer weltweiten Pandemie. Die Idee haben wir dann Johannes Kunkel gepitcht, der damals gerade neu bei der UFA Fiction angefangen hatte und die Geschäftsführung hat das Projekt sehr unterstützt und für die UFA vorangetrieben. 

Wie kam dann Showrunner Robert Schwentke an Bord?

Robert Schwentke war unsere erste Wahl für die Regie, wir haben ihm dann 2016 einen Brief geschrieben und als er sich dann interessiert gemeldet hat, haben wir angefangen das Projekt zusammen weiterzuentwickeln. Robert hat die Serie als Regisseur, Headautor und Showrunner dann sehr geprägt. Wir teilen das Interesse für das Verhalten von Individuen in außergewöhnlichen Situationen oder Gesellschaftsformen. Deswegen sind wir gemeinsam nochmal einen Schritt zurück gegangen von der eigentlichen Geschichte, um eine Art Weltenbibel zu formulieren, um die Welt, die wir dann auf der Insel erzählen wollen, schlüssig und stimmig inszenieren zu können. Sozusagen unser Grundgesetz. Das ist Arbeit, die man gar nicht sehen wird. Aber hätten wir da nicht so weit ausgeholt, würde man es der Serie anmerken. Erst als das Grundgerüst stand, sind wir zu den Erzählsträngen zurückgekehrt. Die jetzt vorliegende Serie ist in jeder Hinsicht besonders dank Robert eine umfangreiche Weiterentwicklung der ersten Idee von Florian und mir damals vor neun Jahren.

Die Umsetzung hat ja dann doch einige Jahre gedauert. Hat die Pandemie geholfen, so einen Stoff verkauft zu bekommen?

Da hatten wir Sky Deutschland schon als Partner gewonnen, aber natürlich hat die Pandemie einen Effekt gehabt. Plötzlich wurden manche unserer Annahmen gar nicht mehr so in Zweifel gezogen. Als wir anfingen zu schreiben, gab es manchmal Zweifel daran, ob die Schale der Zivilisation wirklich so schnell brechen würde, Panik ausbricht und selbstsüchtiges Verhalten zu Tage tritt, wenn ein Virus umgeht. Die Realität hat uns Rückenwind gegeben. Das war vor Corona schwerer vorstellbar und wurde uns dann bitter vor Augen geführt.

Da hat die Geschichte von „Helgoland 513“ die Realität ein Stück weit vorweggenommen?

(Lacht) Leider ja. Das Virus in unserer Serie ist allerdings weitaus tödlicher. Und trotzdem hat mich Florian neulich gestoppt, als ich ihm eine Alien-Idee gepitcht habe. Nicht dass die auch noch kommen…

Das wäre auch eher schwierig für den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie haben gerade zusammen mit Johannes Kunkel eine neue Firma gegründet. Mutig, gerade jetzt zu gründen, wo die Gesamtstimmung eher pessimistisch ist…

Für uns intern ist es jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Überhaupt wurde eine gewisse Konsolidierung ja schon lange prophezeit und findet nun statt. Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass auch in Zukunft hochwertige Serien und Filme konsumiert und damit beauftragt werden. Das umso mehr auf den Stand der Bücher geachtet wird, spielt unserem Plan in die Karten. Wir sind eine Entwicklungsfirma. Das ist eine unserer Kernkompetenzen und auch unsere große Leidenschaft.

Zuletzt haben Sie „Der König von Palma“ gemacht, jetzt „Helgoland 513“: Was kommt als nächstes? Ein weiterer Insel-Stoff?

Natürlich! (lacht) „Helgoland 513“ und „Der König von Palma“ sind schon zwei grundverschiedene UFA-Projekte, ein neues Projekt, das wir gerade angehen, unterscheidet sich wiederum fundamental von beiden, aber ob sie es glauben oder nicht, ja es spielt auf einer Insel. Diesmal weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern in der Gegenwart und das ist das beängstigende daran. 

Frau Priefer, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Projekt "Helgoland 513" befindet sich in der Postproduktion. Bei der Seriencamp Conference in Köln zeigten UFA Fiction und Sky erstmals Ausschnitte der Serie. Eine Ausstrahlung ist für Ende 2023/Anfang 2024 geplant.