Frau Schafarczyk, WDR-Kulturchef Florian Quecke ist in den Ruhestand gegangen, nun wird der Programmbereich Kultur und Gesellschaft von gleich fünf Personen geleitet. Wieso diese Umstellung? Was erwarten Sie sich davon?

Andrea Schafarczyk: Als ich eine Nachfolge gesucht habe, ist mir aufgefallen, dass die Anforderungen in diesem Bereich so vielfältig und so groß geworden sind, dass es besser ist, sie auf mehrere Schultern zu verteilen. Gesetzt waren die vier bisherigen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter Wolfram Kähler, Frank Schneider, Martina Müller-Wallraf und Volker Schaeffer. Sven Gantzkow kommt neu zu uns in den Programmbereich, er hat vorher in der WDR-Kommunikation gearbeitet. Mit klar aufgeteilten Rollen sollen diese fünf den Programmbereich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in die Zukunft führen. Gerade in der Kultur ist im Netz so viel möglich, da sind wir aktuell noch zu sehr linear aufgestellt. Außerdem wollen wir die Zusammenarbeit mit der ARD verstärken.

Das heißt aber im Umkehrschluss auch: In der Vergangenheit lief es mit einer Person an der Spitze nicht so wirklich optimal, oder?

Ihr Umkehrschluss funktioniert so für mich nicht. Denn der Druck zu Veränderungen nimmt immer mehr zu. Das, was wir schaffen wollen, wird immer mehr. Die Mediennutzung verändert sich rasant. Das, was Florian Quecke mit seinen Kolleginnen und Kollegen geschafft hat, ist großartig. Sie haben verschiedene Redaktionen aus unterschiedlichen Direktionen zu einem crossmedialen Programmbereich zusammengeführt. Jetzt muss dieser gesamte Bereich noch viel stärker als heute ins Digitale.

Die neue Kultur-Führung des WDR

  • -Personal: Wolfram Kähler (zuvor war er Leiter der Programmgruppe Kulturlabor)
    -Budget, Ressourcen und Funkhaus: Frank Schneider (ehemaliger Leiter der Kulturbühne)
    -Formatentwicklung / Nutzer:innen: Martina Müller-Wallraf (Sie leitete zuvor das Kulturwerk)
    -Kommunikation: Volker Schaeffer (zuvor war er Leiter der Programmgruppe Kulturraum)
    -Prozess / Change: Sven Gantzkow (zuvor WDR Kommunikation)

ARD-weit wird immer wieder über Verschlankung und Sparmaßnahmen in allen Bereichen gesprochen. Auch die Öffentlichkeit schaut kritisch auf etwaige Expansionen. Wenn nun plötzlich fünf Menschen einen Bereich leiten, für den es zuvor einen Chef gab, wirkt das nicht wie eine Verschlankung.

Es ist eine Verschlankung, aber das war überhaupt nicht das Ziel. Ziel war ein Führungsteam, das übergreifend Verantwortung für den gesamten Bereich übernimmt. Eine Verschlankung ist es deshalb, weil die klassische Stelle des Hauptabteilungsleiters weggefallen ist und diese Stelle bei uns im WDR außertariflich vergütet wird. Wir haben somit eine Führungsebene abgeschafft und sind durch das neue Modell nicht mehr so hierarchisch wie vorher.  

Dafür muss sich das Führungs-Quintett künftig eng miteinander abstimmen.

Wenn man von einer Person zu einem Führungsmodell mit fünf Personen geht, ist das natürlich ein tiefgreifender Wandel. Die Fünf müssen für sich und vor allem für ihre Teams als nächstes ein Arbeitsmodell finden, das sowohl Neues anstößt als auch sicherstellt, dass der Regelbetrieb weiter geht. Grundsätzlich gilt: Wir wollen weiter neue Formate machen und neue Zielgruppen erschließen. Das hängt nicht davon ab, welches Führungsmodell wir haben.

Wir haben eine Führungsebene abgeschafft und sind durch das neue Modell nicht mehr so hierarchisch wie vorher. 
Andrea Schafarczyk über das neue Führungsteam in der Kultur


Gleichzeitig zur neuen Führung soll es eine Umstrukturierung des gesamten Programmbereichs geben. Wie sieht das genau aus?

Erst einmal wird sich verändern, wie die verschiedenen Redaktionen miteinander arbeiten. Wir wollen auch da übergreifender denken und handeln, uns übergreifende Ziele geben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich nicht mehr nur ausschließlich auf ihren Bereich oder ihre Sendung konzentrieren, sondern sie sind alle dafür verantwortlich, dass die Menschen in NRW Inhalte zu den Themen Gesellschaft und Kultur bekommen. Verantwortung wird anders verteilt. Perspektivisch wird sich so auch unser Programm verändern.

Inwiefern?

Das ist ja immer das Ziel, Struktur ist kein Selbstzweck. Wir wollen neue, vor allem digitale Produkte – und das geht vor allem dann, wenn man etwas sein lässt, das man zuvor gemacht hat. Somit werden wir Gewohntes einstellen, weil es vielleicht nicht mehr das Publikum so erreicht, wie wir das mal gehofft hatten. Oder auch, weil wir andere Zielgruppen noch besser erreichen wollen. Über Details zu möglichen Veränderungen im Programm kann ich hier und heute aber leider noch nicht sprechen, weil wir erst ganz am Anfang stehen und schlicht noch nicht so weit sind.

Ist der Programmbereich Kultur und Gesellschaft denn perspektivisch auch von Einsparungen betroffen oder läuft da erst einmal alles so, wie es bislang war?

Das hängt davon ab, was die KEF uns zugestehen wird und ob die Länderparlamente dem zustimmen werden. Ich habe nicht vor, in dem Bereich zu sparen. Aber ich entscheide es letztendlich nicht. Es hängt unter anderem von den Beiträgen ab. Wenn der Beitrag so bleibt, wie er ist, käme das durch die Inflation einer faktischen Kürzung gleich. Damit werden wir umgehen müssen.

Der Programmbereich ist nach WDR-Angaben ein "Kompetenzzentrum rund um Kultur- und Gesellschaftsthemen im Westen". Wird sich das auch in den neuen ARD-Kompetenzcentern widerspiegeln, die 2024 starten sollen? Ein ARD-weiteres Kompetenzcenter Kultur ist bislang ja nicht angekündigt worden.

Genau, diesen Prüfauftrag gibt es noch nicht. Bislang schauen wir uns vor allem die Kulturwellen der ARD an und wollen vor allem am Abend Synergien nutzen, wo Radio weniger Menschen erreicht. Bei weiteren Prüfaufträgen der Intendantinnen und Intendanten, werden wir uns, wie andere Landesrundfunkanstalten auch, damit beschäftigen und sagen, wo wir einen sinnvollen Beitrag leisten können. Aber "die Kultur" gibt es ja auch gar nicht. Kultur ist ganz vielfältig, das fängt bei Literatur an, geht weiter über Hörspiele, die Berichterstattung über Musik und Kunst und umfasst noch viele weitere Themenfelder.

Auch der MDR hat sich die Kultur auf die Fahnen geschrieben, dort ist auch ARD Kultur angesiedelt. Wie laufen Zusammenarbeit und Austausch hier?

ARD Kultur ist ein wertvolles Netzwerk. Wir sind alle stark in der Region verwurzelt und haben besonders die regionale Kultur im Blick. Das Besondere an NRW ist, dass wir ein polyzentrisches Bundesland sind. Alle Regionen haben bestimmte Schwerpunkte, und mit ARD Kultur schaffen wir es, das Ganze zu vernetzen und uns übergeordnet über Kultur und ihren Stellenwert auszutauschen. Wir liefern ARD Kultur zu und arbeiten auch in Kooperation wie bei dem animierten Kunstformat "ohnetitel3000" auf TikTok. Es ist gut, dass die Kolleginnen und Kollegen vom MDR das mit einer Systematik betreiben und nach vorne bringen.

Ich habe nicht vor, in dem Bereich zu sparen. Aber ich entscheide es letztendlich nicht. Es hängt unter anderem von den Beiträgen ab.
Andrea Schafarczyk über mögliche Einsparungen im Programmbereich Kultur und Gesellschaft


Im Mai hatten Sie auch ein neues Führungsmodell bei den elf Landesstudios angekündigt und umgesetzt. Was war hier das Ziel?

Mit den Veränderungen in den Landesstudios wollten wir einerseits unser lineares Programm, das nach wie vor unser Rückgrat ist, nicht schwächen und andererseits Geld und Ressourcen freimachen für die digitale Entwicklung. Bislang war es geübt, dass es in allen elf Landesstudios einen Leiter oder eine Leiterin gab und jeweils eine Stellvertretung. Jetzt gibt es vier Großregionen und darunter jeweils eine Redaktionsleitung. Insgesamt haben wir die Zahl der Führungskräfte von 24 auf 18 reduziert. Diese Stellen nutzen die Landesstudios nun für die digitale Entwicklung.

Die Großregionen sind "Bielefeld, Münster und Siegen", "Aachen, Bonn und Köln", "Düsseldorf und Wuppertal" und "Dortmund, Duisburg und Essen".

Das Leitungsteam dieser Großregionen ist vernetzt und betrachtet die Themensetzung für die Region gemeinsam. Natürlich sind sie für die jeweiligen Regionen zuständig, aber auch da gibt es übergreifende Themen. Da arbeitet nun nicht mehr jedes Studio für sich.

Gleichzeitig gibt es drei Channel-Managements für Audio, Video und Digitales. Aber ist nicht genau das dieses Silo-Denken, von dem alle wegkommen wollen? Wieso braucht es die noch, wenn in den Leitungsteams der Großregionen auch alle Medien übergreifend mitgedacht werden sollen? 

Die Studios arbeiten alle crossmedial. Damit wir auf allen Ausspielwegen die bestmögliche Qualität sicherstellen, braucht es Channel-Managements, die sich darauf fokussieren. Die Channel-Managements für Audio, Video und Digitales schauen sich übergreifend Look und Feel ihrer jeweiligen Sendungen und Produkte an, überprüfen die Qualität in den Kanälen und überprüfen auch, ob die Sendungen in den Regionen zueinander passen. Diese Art der Führung hatten wir so noch nicht. Und wir reden von drei Personen für alle Studios zusammen. Ein Beispiel: Wir wollen nicht mehr, dass jede "Lokalzeit"-Ausgabe einen eigenen Facebook-Auftritt hat – das ist noch gar nicht so lange her, da war das Realität. Da nutzen wir jetzt die Algorithmen für uns. Wir haben nur noch einen Facebook-Kanal für alle Regionen zusammen: Wer mit Beiträgen interagiert, die Themen aus Aachen oder Köln beinhalten, bekommt diese immer wieder angezeigt. Da brauchen wir nicht elf verschiedene Auftritte.

Und wo hakt es noch?

Eine so tiefgreifende Umstellung bei laufendem Betrieb ist kein Selbstläufer. Früher, als man nur für sein Sendegebiet zuständig war, brauchte es weniger Austausch. Je vernetzter und übergreifender Sie handeln, desto mehr müssen Sie kommunizieren. Die Herausforderung unserer Zeit ist immer die Frage: Wie hält man alle auf dem Laufenden, ohne gleichzeitig in Kommunikation zu ertrinken? Darüber hinaus müssen sich die Arbeitsabläufe noch einspielen. Wenn man alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen nimmt, reden wir von rund 1.500 Personen. Veränderungsarbeit kostet alle Kraft, aber sie setzt perspektivisch Kräfte frei.

Sie haben Ihren Job im WDR erst im vergangenen Jahr angetreten. Bleibt es bei der Schlagzahl der Veränderungen? Wie sieht es mit dem Bereich Wissen aus?

Der Wandel hört nicht mehr auf, er wird bleiben. Und ich bin mir sicher, dass er zum Beispiel durch KI noch weiter Fahrt aufnehmen wird. Denn: Unsere Umgebung ist hoch dynamisch, Technologien und Plattformen verändern sich, beim Publikum verändert sich viel, und deshalb müssen auch wir uns verändern. Auch im Linearen – wir haben uns auch noch einmal alle Radiosender angesehen.

Mit welchem Ergebnis?

Wir müssen frisch und relevant für das Publikum bleiben. Das erfordert eine ständige Veränderung. Mit dem gerade erst erfolgten Relaunch von WDR 4 bin ich sehr glücklich. Es gibt jetzt noch mehr Geschichten und Informationen aus NRW und dazu einen frischen Klang, weil wir die Musik und das Sound Design aktualisiert haben, hier geht es jetzt an die Feinjustierung. Außerdem sind wir gerade dabei, uns 1LIVE anzuschauen, da sind wir mit dem Team in einem Veränderungsprozess. Bei WDR 2 und WDR 5 gibt es nur kleinere Veränderungen. Gleichzeitig läuft der Reformprozess innerhalb der ARD weiter, und wir schauen, was wir der Gemeinschaft zuliefern können. Und weil Sie den Wissensbereich angesprochen haben: Ich halte diesen für sehr gut aufgestellt. "Quarks" ist sehr erfolgreich und erreicht tolle Teilzielgruppen, die wir mit anderen Angeboten so nicht erreichen.

Die Herausforderung unserer Zeit ist immer die Frage: Wie hält man alle auf dem Laufenden, ohne gleichzeitig in Kommunikation zu ertrinken?


Was planen Sie bei 1LIVE?

Die Intendantinnen und Intendanten der ARD haben eine Prüfung der jungen Audioangebote beschlossen. Das bedeutet, dass wir auf ARD-Ebene mehr zusammenarbeiten werden. Schon jetzt produzieren wir die junge Nacht für die anderen Radiowellen. Darüber hinaus prüfen wir, was wir im Digitalen mit dem Team von 1LIVE anbieten können und wie wir 1LIVE noch mehr als bislang zu einer Talentschmiede ausbauen.

Ich hätte eher gedacht, dass Sie bei WDR 2 noch einmal Hand anlegen. Hier liegt der letzte Relaunch eine Weile zurück.

Wir überprüfen alle Sender ständig und schauen, ob die Ausrichtung noch passt. Das gilt auch für WDR 2, aber grundsätzlich bin ich aktuell sehr glücklich mit der Aufstellung und dem Programm. Die letzte Media Analyse hat das auch bestätigt, WDR 2 ist gemessen an der Tagesreichweite der erfolgreichste Einzelsender Deutschlands. Was wollen wir mehr?

Können Sie sich grundsätzlich mehr ARD-Übernahmen vorstellen? Auch fernab des Nachtprogramms?

Ich bin sehr offen und finde es gut, dass wir zu mehr Zusammenarbeit kommen. Wir schauen mit Blick auf unser Publikum, was so besonders und wertvoll ist, dass wir es auch den anderen Landesrundfunkanstalten anbieten können. Und andersherum schauen wir natürlich auch, was wir übernehmen können. Wichtig ist uns in der ARD unsere regionale Verwurzelung, die wollen wir stärken. An anderen Stellen wollen wir Synergien schaffen und nutzen.

Der SWR hat sich in einer Pressemitteilung zu seinem 25-jährigen Bestehen zuletzt für angestoßene Reformen selbst gelobt, unter anderem für den Zusammenschluss zwei seiner Orchester. Ist das auch bei Ihnen ein Thema? Der WDR betreibt vier Ensembles, zwei davon sind Orchester.

Unsere vier Ensembles sind sehr unterschiedlich. Das WDR Funkhausorchester ist ein Unterhaltungsorchester, das demnächst zum Beispiel mit Bastian Pastewka auf der Bühne steht. Das unterscheidet sich sehr vom Sinfonieorchester, das auch völlig andere Zielgruppen erreicht. Die WDR Big Band hat zuletzt beim Jazzfest Bonn Prince-Songs mit Musikerinnen und Musikern aus dem Umfeld von Prince gespielt, Das war für mich schon jetzt eines der Highlights des Jahres. Der Chor hat nochmal ein ganz anderes Repertoire. Wie viel wir in diesem Bereich künftig machen, ist eine Frage unseres Auftrags. Das ist nicht meine Entscheidung. Es geht darum, was das Publikum von uns will und was uns die Politik und auch die KEF künftig zugestehen.

Sie sind seit einigen Wochen auch stellvertretende Intendantin. Was hat das für Auswirkungen auf Ihren Terminkalender?

Also, das ist erstmal eine Stellvertretungsfunktion. Ich nehme Aufgaben wahr, wenn Tom Buhrow verhindert ist. Außerdem gibt es bei uns – Stichwort Compliance – ein Vieraugen-Prinzip, ich zeichne also zum Beispiel Aufwendungen von Tom Buhrow ab. Aber ja, der Terminkalender wird dadurch nicht leerer (lacht).

Frau Schafarczyk, vielen Dank für das Gespräch!