Sarah Bosetti, haben sie kurz vorm Start Ihrer Late Night Show eigentlich schon Ihren Nachlass geregelt?

Sie rechnen also damit, dass ich noch während der Sendung sterbe? Das würde der ersten Folge zumindest die gebührende Dramatik verleihen.

Weniger physisch als empirisch. Besonders für Frauen ist dieses Genre schließlich ein Friedhof der Fernsehtiere.

Ich lege an mich als Frau keine anderen Maßstäbe an, als wenn ich ein Mann wäre. Und unabhängig vom Geschlecht sterben zum Glück nicht die Moderator*innen, sondern allenfalls ihre Sendungen, wenn es nicht gut läuft. Und mit einer Sendung zu scheitern, ist nicht das Schlimmste, was Menschen widerfahren kann.

Schon gar nicht, wenn es mit Würde geschieht. Anke Engelke allerdings wurde vor fast 20 Jahren alles andere als würdevoll aus ihrer Late Night kritisiert.

Dennoch war sie vorher wie nachher eine wahnsinnig erfolgreiche Frau, und zwar zu recht. Ihre Sendung mag also gescheitert sein, aber Anke Engelke ist es weder als Mensch noch als Bühnenfigur. Außerdem weiß ich nicht, wieso ich mich ausgerechnet mit Anke Engelke vergleichen sollte. Bloß, weil wir beide Frauen sind? Ich bin, auch was diese Sendung betrifft, höchstens in der Hinsicht aufgeregt, dass sie wirklich gut werden soll.

Aufgeregt also nicht im Sinne von ängstlich?

Nein, voll freudiger Erwartung und hochmotiviert. Ich mag ja meine Arbeit sehr, und wenn ich so zielgerichtet auf etwas hinarbeiten kann, bin ich selbst dann glücklich, wenn es stressig ist. Man kann vor so vielen Dingen Angst haben. Einsamkeit, Krankheit, Tod. Aber doch nicht vor einer Fernsehsendung…

Wenn Sie sagen, diese hier solle gut werden – bezieht sich das dann auf die Formaterfordernisse oder die der Moderatorin?

Es geht mir schon sehr um meine eigenen Ansprüche. Aber Schreiben, Bühne und Fernsehen sind Formen von Kommunikation. Natürlich möchte ich auch Menschen erreichen.

Das klingt ein bisschen, als wäre Ihr Konzept eher nachfrageorientiert und würde nicht dem eigenen Anspruch, sondern dem des Publikums folgen.

Eigentlich nicht. Gelungene Kommunikation lässt sich nie nur auf Sender oder Empfänger reduzieren. Natürlich gilt das auch für die Kunst.

Zum Auftakt reden Sie mit Marlene Engelhorn, Tijen Onaran und Nikita Miller. Drei Gäste, die zwar Wikipedia-Einträge haben, aber bei den meisten kein Klingeln im Ohr auslösen.

Selbst, wenn das stimmt: Fürs Thema soziale Gerechtigkeit sind es spannende Gäst*innen. Und in der zweiten Folge kommen Luisa Neubauer und Marc-Uwe Kling; da klingelt es vielleicht bei einigen lauter. Mir ist es vor allem wichtig, Leute nicht wahllos nach Popularität einzuladen, sondern danach, ob sie spannende Dinge zum Thema zu sagen haben.

 

"Ich möchte ehrliche Unterhaltungen, in denen auch ich ehrlich sein darf."

 

Und mit welchem Gesprächsablauf geht es weiter, wenn die Gäste erstmal da sind?

Ach, das möchte ich nicht vorwegnehmen. Ein bisschen Überraschung sollte da noch bleiben.

Sprechen Sie denn – Ihr Markenzeichen – gelegentlich in Reimen?

(lacht) Verrate ich Ihnen auch nicht.

Okay, letzter Versuch: Folgt die Sendung der klassischen Late-Night-Metrik aus Stand-up, Schreibtisch, Gastgesprächen?

Die, so viel vorab, ist uns völlig egal.

Aber witzig wird’s schon?

Auf jeden Fall wird es auch witzig. Und traurig. Im Idealfall beides zugleich.

Was wollte 3sat denn von Ihnen? Immerhin steht Late Night drüber…

3sat war tatsächlich sehr gnädig und hat mir bislang viel Freiheit in dem Projekt gewährt.

Das Privileg der Nische!

Das sind jetzt Ihre Worte. Inhalt und Qualität sind bei 3sat sicherlich wichtiger als die Quote, aber erstens ist 3sat ja für alle Menschen im linearen Fernsehen zugänglich, und zweitens steht „Bosetti Late Night“ auch in der ZDF-Mediathek und bei Youtube, wo man auch „Bosetti will reden“ findet. Und das hat eine höchst treue und diskussionsfreudige Community hinter sich.

Darf man sich Ihre Late Night demnach interaktiver als andere vorstellen?

Ja. Am Mittwoch vor der Show bitte ich das Publikum auf dem Sendeplatz von „Bosetti will reden“ darum, uns Meinungen und Fragen zum jeweiligen Thema zu schicken, die wir dann in die Show einbinden. Und das Studiopublikum hat gleich zwei Elemente, um sich einzubringen: einen Bullshit-Button für den Fall, dass das Publikum der Meinung ist, auf der Bühne werde Unsinn geredet…

Was allerdings die Gefahr mit sich bringt, dass ständig in der Sendung die Buzzer tröten.

Deshalb trötet er auch nicht laut, sondern treibt einen Zähler hoch, den meine Gäst*innen sehen und reagieren können, damit die Zahl wieder sinkt. Das zweite Element ist ein Talk-Pult, an das sich die Leute im Studio bei Bedarf stellen und etwas zur Debatte beitragen können. Mein Ziel ist aber nicht, künstlichen Streit zu erzeugen; wenn niemand drückt, drückt niemand. Und wenn sich niemand ans Talk-Pult stellt, dann macht’s halt niemand. Es soll ja konstruktiv sein.

Aber schon mit feministischer, politisch durchaus konfrontativer Haltung?

Ich werde nicht den neutralen Host spielen. Ich finde, diese Rolle hat absolut ihre Berechtigung, aber ich glaube, ich könnte das gar nicht.

Also im Zweifel parteiisch.

Für Empathie und Menschlichkeit, klar. Ich möchte ehrliche Unterhaltungen, in denen auch ich ehrlich sein darf.

Auch streitbare Unterhaltungen, indem Sie auf der Gästeliste Kontrapunkte setzen?

Natürlich ist es langweilig, wenn alle einer Meinung sind. Zugleich muss es auch nicht immer das größtmögliche Konfliktpotenzial sein. Spannend finde ich, wenn sich in einem Gespräch unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema finden. Deshalb müssen sie aber nicht entgegengesetzt sein.

Wie in Ihrer ersten Gesprächsrunde?

Genau: Marlene Engelhorn ist Millionenerbin, die Reiche höher besteuern will. Tijen Onaran hat sich nach oben gearbeitet und das kapitalistische Leistungsprinzip zu Eigen gemacht. Die werden sich kaum die Köpfe einschlagen, haben aber verschieden Ausgangspositionen zum selben Thema. Außerdem lassen wir diverse Armutsbetroffene zu Wort kommen. Nichts gegen Streit, aber gut muss er sein. Bei „Bosetti Late Night“ geht es vor allem darum, wie über wichtige Themen gesprochen wird. Demokratie bedeutet, gut zu streiten. Schlechter Streit gefährdet sie. Und wir müssen gerade ein bisschen auf unsere Demokratie aufpassen.

Frau Bosetti, vielen Dank für das Gespräch.

"Bosetti Late Night" läuft monatlich am Sonntagabend bei 3sat. Die erste Folge ist am 22. Oktober um 21 Uhr zu sehen.