Herr Beckmann, Sie haben im vergangenen Jahr mit „Bürgerparlament“ ein Format gestartet, mit dem Sie ganz unterschiedliche Menschen zu aktuellen Themen miteinander ins Gespräch bringen wollten. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Unser Ziel ist es, die Meinungsvielfalt im Programm deutlich stärker sichtbar zu machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und gerade die ARD stehen auch für die Beteiligung der Menschen am Programm. Das „Bürgerparlament“ zielte darauf ab, eine Debattenkultur zu zeigen, die die Argumente des anderen wertschätzt. Das hat gut funktioniert, auch weil wir gesehen haben, dass die Meinungen sehr differenziert geäußert wurden. Wir waren beeindruckt, dass es nicht Medienprofis braucht, um in einem solchen Format Rede und Antwort stehen zu können. Zu sehen, dass die Leute mit gegenseitigem Respekt und großer Leidenschaft für ihre Position eingetreten sind, war für mich sehr bewegend.

Dennoch haben Sie sich entschieden, anstelle des „Bürgerparlaments“ ein neues Format zu machen, nämlich „Die 100“. Was hat den Ausschlag gegeben, es noch einmal anders anzugehen?

„Die 100“ ist nicht das letzte Format, das wir ausprobieren werden. Wir haben uns vorgenommen, viele verschiedene Formate zu entwickeln, die das Ziel haben, Meinungspluralität im Fernsehen, Radio oder in der Mediathek zu zeigen. Das „Bürgerparlament“ war eine der Ideen – und es ist nicht gesagt, dass wir das nicht noch einmal machen. Möglicherweise ergeben sich Verbindungen zu anderen Formatideen. Aktuell sind wir schlicht auf der Suche nach dem besten Format, weil ich mehr denn je davon überzeugt bin, dass wir eine solche Programmfarbe dringend benötigen.

Wenn Sie gerade so viel entwickeln, dann könnte man daraus schließen, dass hier eine Lücke besteht. Haben es ARD und ZDF in den vergangenen Jahren also versäumt, ein breites Meinungsspektrum abzubilden?

Das Meinungsspektrum haben wir abgebildet in den Nachrichten, den Dokumentationen, dem Talk, aber auch den fiktionalen Programmen. Wenn Sie in die ARD Mediathek schauen, dann werden Sie die unterschiedlichsten Ansichten finden. Den generellen Vorwurf, wir würden nur in eine Richtung ticken, halte ich nachweislich für falsch. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht besser werden können, etwa mit Blick auf die Sichtbarkeit. Wenn wir ein solches Programm wie „Die 100“ nun um 22:00 Uhr, also in der Second Primetime, ausstrahlen, dann gehen wir einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Wir müssen die Menschen, die uns finanzieren, mehr im Programm zu Wort kommen lassen. Sich noch mehr Zeit fürs Zuhören zu nehmen, ist vielleicht genau das Puzzlestück, das uns bislang noch fehlt.

Die 100 - Was Deutschland bewegt © NDR/Axel Herzig Aufzeichnung von "Die 100 - Was Deutschland bewegt" in Göttingen mit Moderator Ingo Zamperoni sowie Alexander Bommes und Düzen Tekkal.

Was haben Sie nun konkret mit Ihrer neuen Sendung vor?

Eigentlich besteht „Die 100“ aus drei Sendungen in einer. Der wichtigste Ansatz ist jener, den wir in der Show zeigen: In der Göttinger Lokhalle befinden sich 100 Menschen, die sich rein räumlich zu einem polarisierenden Thema positionieren können – in der ersten Sendung geht es um Migration, in der zweiten um den Klimaschutz. Wenn Argumente vorgetragen werden, dann bewegen sich die Menschen in diesem Raum, entweder aufeinander zu oder voneinander weg – wie ein lebendiges Meinungsbarometer. Wie wirkt das Argument auf Sie? Wieso haben Sie Ihre Meinung geändert? Die Leute gezielt darauf anzusprechen, gestaltet sich äußerst spannend. Das ist zwar nicht repräsentativ, aber im besten Sinne vielfältig. Die wichtige Botschaft ist: Sich gegenseitig zuzuhören, bringt einen weiter. Und Argumente können Haltungen verändern.

Eine Frage an den ARD-Unterhaltungskoordinator: Wie viel Unterhaltung steckt in einer solchen Debatte?

In vielen Unterhaltungssendungen kann man auch etwas lernen. Nehmen Sie zum Beispiel „Frag doch mal die Maus“ oder unsere Quizsendungen wie „Wer weiß denn sowas“. Es ist nicht ungewöhnlich nach unterhaltsamen Formen der Wissensvermittlung zu suchen. Bei „Die 100“ haben wir jeweils zwei Positionen, vorgetragen von zwei Journalisten, und viele Diskussionen. Das ist ein Experiment. Als Unterhaltungskoordinator weiß ich, dass man den Pilot optimieren könnte. Aber zunächst einmal gilt es herauszufinden, ob die Leute mit uns reden wollen, und ob es gelingt, eine solche Debatte physisch sichtbar zu machen. Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang.

Was ist mit denen, die vielleicht gar nicht mehr mit Ihnen sprechen wollen?

Sie werden sehen, dass wir doch sehr viele Leute erreichen. Wir haben ein vielfältiges Publikum zusammengestellt, zum Beispiel mit Blick auf Alter, Geschlecht, Berufe. Auf diese Weise haben wir einige Diskutanten, die eher nicht unserem Spektrum angehören. Wir müssen die Vielfalt abbilden. Dennoch dürfen Sie nicht vergessen, dass die Glaubwürdigkeit von WDR und NDR noch immer bei mehr als 80 Prozent liegt. Das ist in Zeiten wie diesen in meinen Augen eine beeindruckende Zahl. Aber Sie haben recht, wir dürfen uns nicht zurücklehnen, sondern müssen immer wieder aufs Neue um das Vertrauen kämpfen – auch mit solchen Formatideen.

Weil Sie gerade den WDR ansprachen: Wie kam es denn in diesem Fall zur Zusammenarbeit?

WDR und NDR teilen den Gedanken, Partizipation und Pluralität stärker noch als bisher auch im Programm zu verankern. In der ARD denken wir gerade sehr intensiv über Kooperationen nach. Anstatt nun zwei eigenständige, aber relativ kleine Aufschläge zu machen, haben wir ein größeres Format auf die Beine gestellt. Das ist ein effizientes Arbeiten, wie ich es mir in Zukunft noch häufiger wünsche.

Sie sprachen vorhin von drei Sendungen in einer. Wie sehen die weiteren Aspekte rund um „Die 100“ aus?

Zusätzlich zu der Sendung machen wir mit den 100 Personen ein Quiz für die ARD-Mediathek. Da geht’s nicht um einen großen Preis, sondern um die Ehre. Wir befragen die Personen, wie sie die Bevölkerung einschätzen – zum Beispiel wie viel Prozent der Menschen sich mit Blick auf den Klimawandel Sorgen machen. Bei Fragen wie diesen kommt schnell heraus, dass die meisten Menschen sich verschätzen und verschiedenen Themen entweder zu viel oder zu wenig Gewicht beimessen. Auch auf diese Weise kommen sie wieder miteinander ins Gespräch. Der dritte Aspekt sieht vor, dass wir alle im Bundestag vertretenen Parteien gebeten haben, innerhalb von 90 Sekunden ihre Top-Argumente zu verschiedenen Themen vorzutragen. Auch dazu befragen wir wieder die 100 Menschen. Dabei geht es nicht um Kritik, sondern um gezielte Lösungsansätze. Wir wollen den positiven Ansatz nach vorne stellen, nicht den Streit.

Was, wenn das Konzept gar nicht aufgeht?

Ich bin mir sicher, dass beim ersten Mal nicht alles funktionieren wird. Wenn wir Neues ausprobieren, dann darf es auch mal schiefgehen. Es ist ein Experiment. Die Ergebnisse schauen wir uns an. Danach geht es an die weitere Formatarbeit.

Herr Beckmann, vielen Dank für das Gespräch.

"Die 100 - Was Deutschland bewegt" am Mittwoch um 22:00 Uhr im NDR Fernsehen und WDR Fernsehen