Frau Kroymann, Sie haben bei der Televisionale den Vorsitz Jury für den Deutschen Serienpreis übernommen, ist das Neuland für Sie?

Neuland nicht. Jurytätigkeit habe ich schon einige Male gemacht, und mache das auch gerne. Zum Beispiel beim Hessischen Filmpreis oder bei der Berlinale in einer Nebenjury. Aber dass die Jury vor Publikum debattiert, und das in Gegenwart der Nominierten, das gibt’s sonst nur beim Bachmann-Preis. Da setzen wir uns als Kritiker*innen ja auch selbst der Kritik aus, das bringt auch eine gewisse Spannung rein.

Und idealerweise Entertainment?

Deshalb haben die mich genommen, meinen Sie? Fürs Entertainment!?

Ach, das konnte Ihr Vorgänger Dominik Graf auch; vor 200 Leuten im Podium blühte der auf!

Das ist schön, das glaube ich sofort. Es sind ja auch vorwiegend Fernsehinteressierte im Publikum. Nicht unbedingt Spezialisten, aber vorgebildet, ohne akademisch zu sein. Da reicht es wenn man ganz normal redet, da geht es ja nicht um Performance, sondern um Argumente.

Hält man sich als Kritikerin der eigenen Branche zurück oder im Gegenteil voll drauf?

Auf Kolleg*innen halte ich nicht voll drauf, nein. Als Satirikerin entdecke ich beim Fernsehen zwar Dinge, an die ich kritisch rangehe, aber draufhalten kann ein Böhmermann, der nicht zugleich Schauspieler ist, besser. Außerdem bin ich grundpositiv und gegen übertriebene Konkurrenz, besonders unter uns Frauen.

Bringen es aber dennoch zum Ausdruck, wenn Ihnen ein Format missfällt?

Ja klar. Mein Anspruch wäre, nicht rumzueiern, aber ohne Häme und Schärfe.

 

Gepflegtes Lästern kann zur qualifizierten Meinungsbildung gehören

 

Sind Sie denn selber kritikfähig oder als Komikerin mit der Qualifikation zuzuspitzen gar kritikfreudig?

Kommt drauf an, ob man etwa Freunde oder Fremde kritisiert, Starke oder Schwache, privat oder öffentlich. Aber ich finde, gepflegtes Lästern kann zur qualifizierten Meinungsbildung gehören, fast eine Quintessenz von Kabarett und Comedy, das absolut seine Existenzberechtigung hat.

Jetzt haben Sie als Absenderin, nicht Empfängerin von Kritik geantwortet. Können Sie nur austeilen oder auch einstecken?

Natürlich ist positive Kritik angenehmer, aber da ich relativ früh in eine Männerdomäne vorgedrungen bin, konnte ich 40 Jahre üben, auch negative Kritik auszuhalten. Als Mädchen der Fünfziger wurde ich konditioniert, gemocht werden zu wollen. Das hat nach meinem Coming-out überhaupt nicht geklappt, wo viele mich plötzlich ziemlich blöd fanden. Aber eine Satirikerin muss ja auch aushalten nicht von allen Zustimmung zu bekommen. Vor allem nicht von denen, die ich selber angreife.

Also lautet die Antwort „ja“ – Sie können beides?

Mittlerweile kann ich beides oder zumindest viel an mir abprallen lassen, was in Zeiten ständiger Shitstorms überlebenswichtig ist, aber meiner Generation von Frauen zumindest nicht als erstes beigebracht wurde. Außerdem ist Kritik ja manchmal auch berechtigt.

Ist das weibliche Fell automatisch dicker, weil die Kritik an Frauen oft unberechtigt ist?

Es setzt ja viel früher an, dass mangelndes Selbstbewusstsein viele Frauen daran gehindert hat oder hindert, etwas zu tun, für das sie überhaupt kritisiert werden könnten. Diese Herausforderung mussten wir ja erst mal annehmen und uns nicht hinter der Option verstecken, die die Gesellschaft damals noch für uns vorsah – Hausfrau und Mutter zu werden. Ich spreche von den 50er Jahren. Ich fand es schon mit 18 am US-College grauenvoll, wie Frauen das Beliebtsein bei Männern als Wert an sich eingebläut wurde. Zum Glück waren meine Brüder da weiter. Der zweitälteste, Burkhard, meinte mal, dieses Appreziiert-werden-wollen kannste dir mal abgewöhnen.

Appreziiert?

Von appreciate im Englischen, unbedingt wertgeschätzt werden zu wollen.

Hat das bei Ihnen zum Gegenteil geführt, gar nicht wertgeschätzt werden zu wollen, gar nicht mehr nett, gar nicht mehr hübsch oder sympathisch?

Überhaupt nicht. Natürlich wollte ich auch gemocht werden. Meine Aufstandsphase in den Sechzigern nahm sich nur deutlich gemäßigter aus als etwa die der Punks in den Siebzigern. Ich habe die Taktik entwickelt, äußerlich nett zu sein, aber inhaltlich hart. Das ist vielleicht sogar mein Stilmittel als Kabarettistin. Bis heute.

Es gab also weder Jugendwut noch Altersmilde?

Die Rebellion meiner Generation hat sich halt stark über die Musik definiert. Flächendeckend rabiater aufgetreten sind erst die 68er. Als ich 1967 Abitur gemacht habe, sagte unser Lehrer: Sie waret die letschte nedde Klasse. Schön unpolitisch, keine Drogen, so wie es sich aus seiner Sicht gehörte für junge Menschen. Dass Ungehorsam interessant sein könnte, musste ich mir erst später erarbeiten.

Wobei sich Ihre kabarettistische Renitenz in fast allem, was man heute noch im Internet findet, vor allem gegen das Patriarchat und seine Protagonisten richtet.

Sogar im Mainstream wie „Oh Gott, Herr Pfarrer“ – im Grunde die erste feministische Fernsehserie mit komplett eigenständiger Ehefrau. Dafür mussten wir viel Kritik einstecken. Für mich war die Serie ein Segen; ich hatte Fernsehen vorher gar nicht auf dem Schirm und das Medium tendenziell verachtet. Als bildungsbürgerliche Familie in Tübingen hatten wir gar keins. Mich hat es erst interessiert, als ich anfing dafür zu arbeiten, 1985 im „Scheibenwischer“, 1988 die Pfarrer-Serie, 1993 „Nachtschwester Kroymann“.

Als die Sie sich fast ausnahmslos an Ungleichheit und Emanzipation abgearbeitet haben.

Das waren – anders als Männer im Kabarett, die sich vor allem Politiker vornahmen – meine Themen. Auch die gemischten Ensembles, zum Beispiel mit der von mir hochverehrten Lore Lorentz, machten das so. Sogenannte Frauenthemen sprachen vielen Frauen aus der Seele, von vielen Männern wurden wir gedisst, weil das ja kein richtiges Kabarett sei, sondern nur Frauenkabarett. Geschlechterverhältnisse galten seinerzeit als unpolitisch.

 

Als ich angefangen habe, dem Patriarchat lächelnd vors Knie zu treten, konnte ich viele mitnehmen.

 

Haben Sie denn einfach nur eine Marktlücke besetzt oder sich sozusagen als humoristische Botschafterin der Gleichberechtigung verstanden?

Ich wollte zunächst nur meine Sicht der Gesellschaft zeigen, als Feministin. Als ich angefangen habe, dem Patriarchat lächelnd vors Knie zu treten, konnte ich viele mitnehmen. Das Subversive kommt bei mir auch manchmal in Gestalt des Trivialen daher. Damit erreiche ich nebenbei auch ein anderes Publikum. Was ich immer gut konnte: die Position einer Minderheit für die Mehrheit verständlich machen, egal ob Feminismus oder LGBTIQ+-Rechte. Und ja: Ungleichheit und Emanzipation sind Themen, die sich durch mein gesamtes Leben ziehen.

Da müsste es Ihnen doch sauer aufstoßen, wenn man sich die Televisionale betrachtet. Bei drei der zehn Filmbeiträge stammen die Bücher von Frauen und ganze zwei führen Regie. Sind das nur Zahlen oder Symptome?

Symptome, aber durch Zahlen belegbar. Die MaLisa-Stiftung rechnet Ungleichheit seit Jahren vor und kommt nach wie vor zu Ergebnissen, die wir nicht akzeptieren können.

Werden Sie das als Jury-Präsidentin anprangern?

Das wird wahrscheinlich zur Sprache kommen, wenn wir als Jury die Gespräche führen. Aber mein Thema in Baden-Baden sind ja die Serien.

Bei denen das Verhältnis viel besser ist – zwei von fünf wurden von Frauen geschrieben, bei drei Regisseurinnen…

Schon mal super.

Hat das Massenphänomen Serie den Spielfilm emanzipatorisch abgehängt?

Serien wurden lange verachtet. Und in weniger wertgeschätzten Bereichen haben Frauen traditionell eher die Chance Fuß zu fassen. Aber ich will da nicht vorschnell urteilen. Nach drei Staffeln „Babylon Berlin“ hat sich zum Beispiel was verändert, jetzt sind zwei Autorinnen dabei. Es fällt mittlerweile negativ auf, wenn im Abspann einer so großen Produktion nur Männernamen stehen.

 

Als Anke Engelke Harald Schmidts Late Night übernommen hat, war das weder eine gute Idee noch eine gute Sendung, aber das wär’s auch bei keinem Mann gewesen, weil Harald Schmidt nicht zu ersetzen war.

 

Wobei man es Männern großer Produktionen auch kaum zum Vorwurf machen kann, nicht freiwillig auf Angebote zu verzichten, um Frauen den Vortritt zu lassen. Wie kriegen wir die Strukturen dahinter denn gleichberechtigter?

Indem es nicht mehr als selbstverständlich gilt, Frauen den Intellekt abzusprechen, wie es immer noch geschieht. Gerade im Humorbetrieb. Als Anke Engelke Harald Schmidts Late Night übernommen hat, war das weder eine gute Idee noch eine gute Sendung, aber das wär’s auch bei keinem Mann gewesen, weil Harald Schmidt nicht zu ersetzen war. Dennoch hat eine seriöse Tageszeitung gefragt: Wollen wir uns die Welt nach 23 Uhr wirklich von einer Frau erklären lassen?

Heute undenkbar!

Hoffentlich. Deshalb müssen wir Frauen Inhalte und Themen bestimmen und von Drehbuch über Regie bis Redaktion und Produktion Schlüsselpositionen besetzen. Dafür bin ich auch schon früh Pro Quote Film beigetreten. Bis auf Fußball, wo Claudia Neumann weiterhin für jedes kommentierte Spiel fertiggemacht wird, bewegt sich ja was. Und natürlich ist Claudia Neumann eine Pionierin, die auch Entwicklungen auslöst.

Würden Branche, Publikum, Kritik mit einer Serie wie „Klimawechsel“, in der Sie 2010 das Tabuthema Wechseljahre humortauglich gemacht haben, heutzutage eigentlich besser oder schlechter klarkommen?

Ich glaube wir sind weiter als damals. Das Klimakterium ist heute sehr viel mehr und offensiver Thema, die nächste Generation Frauen will diese gravierenden Veränderungen nicht mehr verstohlen wegwedeln. Abgesehen davon hat die Serie polarisiert. Es gab Menschen beiderlei Geschlechts die not amused waren über unsere bisweilen gnadenlose Art uns über uns selbst lustig zu machen. Sich selber als Thema in die Satire einzubeziehen, finde ich ja hohe Kunst und eine Voraussetzung dafür, intellektuell ernstgenommen zu werden. Als Doris Dörrie später eine Fortsetzung machen wollte, hat das ZDF abgelehnt – obwohl die Serie wirklich Denkprozesse ausgelöst hatte.

Glauben Sie, das Fernsehen kann nicht nur Denk-, sondern auch Handlungsprozesse anstoßen?

Ich glaube vor allem, dass wir als Fernsehschaffende Handlungsprozesse auslösen können, in dem wir uns weigern, überkommene Rollenbilder zu erfüllen.

Sind Sie guter Dinge, dass das Fernsehen 2033 ein gleichberechtigterer Ort ist als 2023?

Ja. Wobei es viele Baustellen gibt. Die Frage der Repräsentation, von alten Menschen etwa, insbesondere Frauen, für die Rollen, aber auch Inhalte, bislang rar gesät sind. Aber auch das wird diverser. Auch dank der Bewegung Let’s change the picture“. Der ARD-Film neulich, in dem Corinna Harfouch eine ältere Frau spielte, begann mit deren Orgasmus mit dem jüngeren Freund. Früher ausgeschlossen, heute darstellbar. Aber wir müssen uns aktiv dafür einsetzen.

Und tun Sie das 2033 auch noch auf der Bühne?

Da ich mit den Mitteln des Entertainments kämpfe, bei denen die Leute den Kampf manchmal gar nicht bemerken: ja. Das Frauenthema bleibt mir, bis ich tot umfalle.

Das Film- und Serienfestival Televisionale findet vom 27.11. bis 1.12. in Baden-Baden statt