Neben Nilz Bokelberg und Markus Kavka vervollständigt Collien Ulmen-Fernandes das Trio, das durch die dreiteilige ARD-Dokuserie „Die Viva-Story – zu geil für diese Welt!“ führt, die ab Freitag in der ARD-Mediathek und auf ardkultur.de verfügbar ist. Als sie zu Viva kam, war der Musiksender auf seinem Zenit; sehr erfolgreich, aber immer noch chaotisch: Collien Ulmen-Fernandes war Anfang der 2000er omnipräsent und zusammen mit einer neuen Generation von Moderatorinnen und Moderatoren on air ganz auf gute Laune abonniert.

Hinter den Kulissen bröckelte die längst: Wirtschaftlich angewiesen auf eine Musikbranche, die das Internet unterschätzte und mit einem verunglückten Börsengang im Rücken stand Viva vor der Quadratur des Kreises: Das Chaos optimieren, nur um hübsch genug zu bleiben, um sich später von der Konkurrenz - also MTV bzw. Viacom - kaufen zu lassen. Der Anfang vom Ende. Ulmen-Fernandes führt in der ARD-Dokuserie durch jene dritte Folge, die sich dem Fall von Viva widmet. 

Die Arbeit daran war eine Zeitreise zurück in eine Zeit, an die alle Beteiligten von damals sehr persönliche Erinnerungen haben, die sich auch nicht immer deckten, wie Collien Ulmen Fernandes beim Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de erzählt. „Es gibt unterschiedliche Perspektiven auf Viva, weil Dinge unterschiedlich erlebt und entsprechend auch erinnert werden.“

Und sie ergänzt: „Das Spannende an dem Projekt war, dass sich bei all den Gesprächen Lücken geschlossen haben und ich bei der Recherche natürlich auch immer wieder auf mich selbst gestoßen bin. Es gab zum Beispiel mal eine Viva-Zeitschrift, bei der ich mich auf dem Cover wiederentdeckt habe mit der Überschrift ‚Collien gibt Einblicke‘ - da ist man dann kurz besorgt.“ Sagt Ulmen-Fernandes und lacht.

Auch im Gespräch mit Gülcan Kamps habe sie gemerkt, wie komplett unterschiedlich die Sichtweise auf diese Zeit bei Viva ausfällt. „Ich sollte oft in etwas gepresst werden, was ich nicht zu hundert Prozent war. Und Gülcan sagt, sie war zu 100 Prozent das, was man von ihr wollte. Insofern war ihr Blick auf Viva durchweg positiv und ich habe damals viele Kämpfe geführt bei Viva“, sagt Ulmen-Fernandes und lässt erahnen, dass diese Zeitreise nicht nur gute Erinnerungen bedeutete. Sie holt aus, mehr noch als in der ohnehin auch immer wieder schon kritischen Doku-Serie, die nicht allein in Nostalgie schwelgt.

 

"Wenn Frauen ironisch sein wollen, komme das zickig rüber, hieß es"

 

„Es gab mal ein Meeting mit einem männlichen Moderator, mit dem ich eine Show moderieren sollte. Mir wurden zwei Drittel der Texte, die ich selbst geschrieben habe, zusammengestrichen, weil das zu ironisch sei und wenn Frauen ironisch sein wollen, komme das zickig rüber, hieß es. Das sei ja Männerhumor, wurde mir gesagt. Ob also nicht der männliche Moderator meine Texte haben könnte?“ Kopfschüttelnd erinnert sich die Moderatorin, die für das ZDF in den vergangenen Jahren zahlreiche Sozialreportagen präsentierte, zuletzt die Reihe „laut. stark. gleich. berechtigt. - Zeit der Frauen“, an den Sexismus von damals.

„Ich war ja nicht seine Autorin! Und Ironie passt automatisch besser zu Menschen mit Bartwuchs? Ich hätte dann im Glitzerkleid daneben gestanden und über seine Gags, die ja meine waren, lachen sollen? Viva war in vielen Situationen ziemlich sexistisch“, sagt Ulmen-Fernandes. „Deswegen gab es auch die ein oder andere nicht so schöne Anekdote." Und die bleiben oftmals besonders im Gedächtnis, gehören in ein solches Gespräch über die Branche für die Branche. Aber: "Im Großen und Ganzen, das möchte ich noch ergänzen, war auch meine Zeit bei Viva zu 80 bis 90 Prozent positiv.“

Beim Musikfernsehen hat schließlich nicht nur ihre TV-Karriere begonnen, auch ihren Ehemann hat sie dort kennengelernt. „Mit Christian habe ich in letzter Zeit natürlich auch viel über's Musikfernsehen gesprochen - mit interessanten Erkenntnissen, weil Viva massiven Einfluss auf MTV hatte. Dass es irgendwann ein deutsches MTV gab, lag an dem Erfolg von Viva. So kamen ständig neue Anekdoten hoch, etwa als Christian gesagt bekam, jetzt doch bitte mal Baggy-Hosen zu tragen, damit man ein bisschen mehr so sei wie die auf Viva“, amüsiert sich Ulmen-Fernandes.

Ähneln sich denn die Erinnerungen? „Wir haben tatsächlich eine sehr ähnliche Wahrnehmung, weil wir mit den gleichen Leuten über die gleichen Dinge diskutiert haben. Er musste auch oft für mehr Ironie kämpfen. Das haben wir natürlich damals schon beim Kennenlernen festgestellt, diese Gemeinsamkeit. Aber er als Mann durfte dann doch mehr als ich, da hatte man schon etwas mehr Freiräume.“

 

"Bei mir stand im Styling-Briefing, dass ich immer etwas mit Ausschnitt anziehen soll"

 

Und damit zurück zum Sexismus jener Zeit: „Ich habe anfangs angezogen, was mir hingehangen wurde. Später habe ich erfahren, dass es für uns alle Styling-Briefings gab. Bei Nela Panghy Lee war notiert, dass sie kein gelb tragen darf, weil sie Asiatin ist. Und bei mir stand drin, dass ich immer etwas mit Ausschnitt anziehen soll. Irgendwann traf ich Patrice Bouédibéla der scherzte, er gucke meine Sendung ja immer nur wegen des Ausschnitts. So kam das Thema überhaupt erst auf. Im Styling sagte ich dann, ich möchte keinen Ausschnitt mehr tragen. Da hieß es dann nur: Geht nicht, das steht in deinem Styling-Briefing“, verrät Ulmen-Fernandes. „Es gab wie bei Girl Bands für jede ein festgelegtes Image. Das war mit uns Moderator*innen aber gar nicht abgesprochen!“

Trotzdem erinnert sie sich gerne an die Zeit, bis auf die ersten Moderationen. Ulmen-Fernandes muss lachen bevor sie antwortet: „Die ersten Sendungen von uns allen waren katastrophal“, sagt sie. Aber es blieb Zeit an sich zu arbeiten „bis man dann mal live auf Sendung gehen durfte und irgendwann hochgerutscht ist zu einer Primetime-Sendung. Ich war auch schon einige Jahre bei Viva bis ich zum ersten Mal den Comet live moderieren durfte.“

VIVA © ARD Kultur/Florida Factual Nilz Bokelberg, Collien Ulmen-Fernandes und Markus Kavka führen durch die ARD-Dokuserie

Mit lieben Grüßen an den Kollegen Jan Köppen erinnert sie sich: „Jan, den ich wirklich sehr schätze, hat bei seinen ersten Moderationen, bei denen ich seine Mitmoderatorin war, um die ja zwanzig Anläufe gebraucht, was ja auch völlig normal ist. Das kostet Zeit und auch Geld, das man heute im großen Fernsehen gar nicht mehr hat.“ Nicht zum letzten Mal in diesem Gespräch mahnt Ulmen-Fernandes: „Diese Flächen von Viva oder auch Giga damals, die fehlen. Auch was die Spontanität angeht.“ Das gebe es heute als große Fläche nur noch beim Sat.1-Frühstücksfernsehen. Dass da einige ehemalige Viva-Leute arbeiten, sei wohl kein Zufall.

Nicht nur die Moderationen wurden besser. „Ich habe im Laufe meiner Zeit bei Viva gelernt, dass ich meine Interviews lieber selbst vorbereite, denn die Leute hinter der Kamera waren ja genauso unerfahren wie viele von uns vor der Kamera. Da wurden teilweise sehr abenteuerliche Dinge recherchiert und als ich Enrique Iglesias auf alle möglichen Sachen ansprach, die er verneinte und bei denen sich im Nachhinein rausstellte, dass sie leider auch gar nicht stimmten. Deswegen fing ich an lieber selber zu recherchieren, was natürlich auch erstmal ein Lernen war. Das hat mein Arbeiten sicher journalistischer werden lassen.“

 

"Da fehlte uns sicher die Reife für die ein oder andere Sendung"

 

Und doch: Journalismus sei sicher nicht die Stärke von Viva gewesen. „Es gab einige wenige Sondersendungen zu jeweils aktuellen Kriegen, in denen wir auch über die politischen Hintergründe berichten sollten und das sind die schlimmsten Viva-Sendungen ever.“ Collien Ulmen Fernandes: „Wir waren noch sehr jung und unerfahren und völlig überfordert damit, plötzlich politisch zu berichten. Wir waren dem nicht gewachsen; das muss man ganz ehrlich sagen. Da fehlte uns sicher die Reife für die ein oder andere Sendung.“

Moderiert wurde, was zu moderieren war. „Wir wurden schon ganz schön ausgebeutet“, sagt sie und lacht heute darüber. „Gülcan und ich hatten das Pech, natürlich auch das Glück, jede zu ihrer Zeit die beliebteste Moderatorin bei Viva gewesen zu sein. Das bedeutete: Man hat einfach mal alles wegmoderiert, was es gab. Drei, vier Clipstrecken, dann die tägliche dreistündige Live-Sendung und danach noch eine weitere Aufzeichnung. Das waren teilweise 20 Sendungen die Woche. Und wenn man nicht im Studio war, dann ist man durch Europa gereist für Magazinbeiträge. Das war in Sachen Arbeitszeit natürlich ziemlich heftig. Das würde heutzutage niemand mehr so machen.“

Im dritten Teil der ARD-Dokuserie geht es um den Börsengang von Viva, die Übernahme durch MTV und den schleichenden Niedergang. Zeiten, die Ulmen-Fernandes aus nächster Nähe miterlebte. „Es gab eine krasse Feindschaft zwischen Viva und MTV“, erinnert sie sich. „Tobi Schlegl hat damals anlässlich eines Krieges die Initiative ergriffen, ob nicht Viva- und MTV-Leute zusammen eine Kampagne starten sollten um sich gegen den Krieg zu positionieren. So als Botschaft, um zu zeigen, dass auch wir miteinander auskommen können und es möglich ist, Brücken zu schlagen. Dann hieß es aber aus der Chefetage: Auf gar keinen Fall arbeiten wir mit MTV zusammen. Das war krass. So blieb MTV für uns der ferne Mythos aus Berlin. Wir durften uns nicht mit Leuten von MTV zusammentun, durften nicht zu den MTV Awards, durften nicht mal MTV sagen aufm Sender.“

 

"...und jetzt kommt ne Grillwurst als Friedensangebot"

 

„Und dann auf einmal wurden wir von MTV übernommen. Das war sehr merkwürdig“, berichtet die Moderatorin und Schauspielerin, die inzwischen mit ihrer Arbeit nach dem Musikfernsehen schon für den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis nominiert war. „Wir wussten damals ja auch noch nicht, wer übernommen wird und wer nicht. Und dann kam plötzlich eine Einladung zu einem zweitägigen Trip nach Berlin mit Spree-Rundfahrt und Grillfest vorm MTV-Gebäude wo Markus Kavka und Catherine Mühlemann die Würstchen verteilten. Das war sehr surreal, weil man bis eben noch gelernt hat, dass MTV der Feind ist und jetzt kommt ne Grillwurst als Friedensangebot.“ Collien Ulmen-Fernandes lacht und fasst sich an den Kopf. Eine irre Zeit sei das gewesen.

Bei der Recherche zur Doku-Serie habe eine Anekdote oft zur anderen geführt, erwähnt sie mehrfach. Und auch jetzt beim Gespräch fällt Ulmen-Fernandes spontan eine weitere aus genau dieser Übernahme-Zeit ein. „Ich habe mir mal meine Styling-Zeit gestrichen, um mehr Zeit zu haben, Texte schreiben zu können. Ich hatte einfach ein paar Trainingsjacken im Studio hängen. Das war rund um die Übernahme durch Viacom und da wurden dann Moderatorinnen begutachtet, aber nicht nach ihren Moderationen sondern rein visuell. Wen nimmt man weiter mit, wenn nicht? Da gab es dann jemanden, dessen Namen ich jetzt nicht nennen möchte, der sagte: ‚Die Collien nicht, die macht optisch ja nix her.‘ Zum Glück gab es jedoch Leute bei Viva, die sehr für mich gekämpft haben.“ Immer wieder wird im Gespräch deutlich, dass bei aller nachvollziehbaren nostalgischen Schwärmerei anlässlich eines solchen Jubiläums, auch Schattenseiten hochkommen.

„Neben persönlichen Erinnerungen bringt die Doku-Serie eine Chronologie in die Ereignisse, weil natürlich auch vieles passierte, dessen Konsequenz wir im täglichen Sendebetrieb gar nicht unmittelbar gemerkt haben. Beim Börsengang beispielsweise“, sagt Ulmen-Fernandes. „Jetzt rückblickend fügt sich manches logischerweise zusammen: Bis zum Börsengang hat man bei Viva im Zweifel einfach mal gemacht.“ Dann seien Marketing-Konzepte und mit Viacom die jährliche Marktforschung gekommen.

 

"Das wilde Viva mit seinen Ecken und Kanten wurde zu Tode analysiert"

 

„Auf einmal gab es Moderationscoaching, was ich völlig verdrängt hatte, da hat mich Klaas wieder drauf gebracht. Und Englisch-Unterricht! Es ging weg von dieser ‚Wir machen einfach mal‘-Freiheit. Wenn wir vorher ein Interview geführt haben und das Englisch war nicht ganz so perfekt, dann wurde das Unperfekte als sympathisch und nah am jungen Publikum bewertet.“ Und Ulmen-Fernandes bilanziert rückblickend: „Das ist meiner Auffassung nach, einer der Aspekte, an denen Viva letztlich zerbrochen ist. Das wilde Viva mit seinen Ecken und Kanten wurde zu Tode analysiert.“

Könnte es Viva denn heute noch geben? „Ich glaube schon“, sagt sie und meint damit weniger das Musikfernsehen mit seinen Videos als den zugänglichen Stil des Senders. „Diese Art von freiem ungezwungenen Fernsehen würde auch heute noch total funktionieren. Viele die damals bei Viva experimentiert haben, sind ja inzwischen bei Florida und ich finde, dass man den Joko & Klaas-Produktionen diesen Viva-Spirit anmerkt. Diesen etwas freieren, unbeschwerten Umgang.“

Was also sollte uns erhalten bleiben vom Phänomen Viva? An was sollte man sich gerne erinnern, wenn man an Viva denkt? „Was dem Fernsehen generell gut tun würde: Wenn eine Panne passiert, nicht direkt ‚Alles auf Anfang‘ sondern einfach mitnehmen und ausstrahlen. Das war auch das, was Viva in seinen erfolgreichen Zeiten ausgemacht hat, das Authentische“, so Collien Ulmen-Fernandes im Gespräch mit DWDL. „Und das Unperfekte macht Fernsehen nahbarer.“

"Viva - Zu geil für diese Welt!", ab Freitag in der ARD-Mediathek