Herr Steiner, wie bewerten Sie rückblickend 2023? 

Ich neige nicht zum Jammern, aber es war sicher ein Jahr mit Herausforderungen, allen voran die Tatsache, dass beide großen privaten Sendergruppen deutlich weniger Aufträge vergeben haben. Bis Juli haben wir bei uns einige Teams ohne Projekte auf der Payroll gehabt und erst seit August haben wir wieder alle voll beschäftigt. In normalen Jahren hat man vielleicht ein zurückhaltendes erstes Quartal, diesmal waren es zwei. Aber das setzt natürlich auch Ideen frei, weil man zwangsläufig an Produktionsmethoden arbeitet, um in diesem veränderten Markt trotzdem wirtschaftlich zu punkten. 

Sie gehen davon aus, dass der Werbemarkt und damit die Branche wieder einen Aufschwung erleben?

Es nützt ja nichts, wenn man alten Zeiten hinterher trauert oder hofft, dass sie wiederkommen. Und ich glaube nicht, dass die alten Zeiten wiederkommen und wir einen so erholten Werbemarkt erleben werden, dass wir wieder mit Etats arbeiten können wie noch vor vier oder fünf Jahren. Wir müssen uns auf die neue Realität einstellen.

Das klingt so blumig. Wie kann man sich darauf einstellen?

Es gibt einige Stellschrauben, an die wir rangegangen sind. Da wären zum Beispiel die kreativen Stellschrauben: Wir haben eine sogenannte 300k-Arbeitsgruppe gegründet mit der Aufgabe, inhaltlich starke zweistündige Primetime-Programme zu entwickeln, die nicht teurer sind als maximal 390.000 Euro. Also: Welche Genres, welche Ideen und mit welcher Ausstattung kann man in welcher Folgenzahl umsetzen? Da sind sehr gute Ideen und Projekte entstanden. Die zweite wichtige Stellschraube sind Produktionsmethoden und ihre Kosten. Da kann man auch beim Blick ins Ausland lernen, wir sind ja auch in Polen einer der größten TV-Produzenten. Muss man immer noch überall mit dem Kamera-Equipment arbeiten, das alle als Standard gewohnt sind oder kann zum Beispiel bei einem Factual-Format die zweite Kamera auch durch ein iPhone ersetzt werden? Da haben wir mit verschiedenen Sachen experimentiert und eine Qualität erreicht, die sich absolut sehen und verkaufen lässt.

Sie sprechen Polen an: Welche Rolle spielt das internationale Geschäft für Constantin Entertainment und kann das die Zurückhaltung im deutschen Markt abfedern?

Das deutsche Geschäft ist mit Abstand das wichtigste für uns, das polnische aber immer wichtiger geworden, weil es dort bislang keinen so großen Einbruch bei den Werbeerlösen gibt. Damit können wir den Rückgang in Deutschland etwas auffangen, auch weil dort unverändert noch nach bewährten Mustern beauftragt und produziert wird. Polen hat für uns auch deshalb höhere Bedeutung bekommen, weil wir uns aus anderen europäischen Märkten in den vergangenen Jahren wieder weitgehend zurückgezogen haben. 

Warum eigentlich?

In vielen Territorien war die wirtschaftliche Situation schwierig. Wir hatten dort eine andere Strategie als unsere Mitbewerber, die oft Firmen vor Ort aufgekauft haben. Wir haben bei relevanter Auftragssituation immer Unternehmen selbst gegründet. Doch bereits vor Corona gab es dann mehrfach erschwerte Marktsituationen, die uns zum Rückzug bewogen haben. Polen hat sich hingegen als sehr stabiler Markt erwiesen, der dem deutschen interessanterweise sehr ähnlich ist - mit zwei großen privaten Sendergruppen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die auf viele Marken setzen, die auch bei uns erfolgreich sind. Wir beschäftigen dort mehr als 200 Mitarbeitende, die unter anderem sechs tägliche Programme produzieren.

Klingt alles recht zufrieden und das obwohl Sie mit Jochen Köstler in diesem Jahr eine Führungskraft verloren haben. Geht es auch ohne ihn?

Jochen Köstler war ein wichtiger Kollege für uns und ist ein guter Freund, dem ich bei Leonine alles Gute wünsche. Wir haben entschieden, diesen Posten nicht neu zu besetzen, sondern Constantin Entertainment dafür auf der inhaltlichen Ebene noch stärker aufzustellen, um in jedem Genre die kompetentesten Leute bei uns am Start zu haben. Das ist auch ein sehr persönlicher Wunsch und Anliegen von mir als Gründer des Unternehmens.

Wie meinen Sie das?

Constantin Entertainment war in den letzten Jahren speziell durch meine Person schon sehr top-down geführt, was dazu führte, dass oft auf Entscheidungen aus der Geschäftsführung gewartet werden musste. Jetzt verteilen wir die kreative Entscheidungsverantwortung auf sieben starke Schultern, auch um damit gezielt unsere Führungskräfte von morgen aufzubauen. Auch Otto Steiner ist schon 60 geworden und ich habe mich zwar jetzt nochmal fünf Jahre an die Constantin gebunden, aber sehe meine Verantwortung darin, auch an die Zeit nach mir zu denken. Also haben wir jetzt zwar einen Geschäftsführer weniger, dafür aber eine neue Führungsebene mit sieben Directors, die ihre Departments möglichst unabhängig führen und mit mehr Eigenverantwortung agieren können.

Und wie sieht diese neue Director-Ebene personell aus?

Es gibt die beiden Departments Show/Comedy in München und Köln. Anna Knieper, die schon "LOL" verantwortet, wird die Führung in München übernehmen und in Köln wird das Jörg Kreutzer machen, der für uns gerade „Die Passion“ in Kassel verantwortet. Das Department Reality & Factual bekommt eine der bekanntesten und erfahrensten Reality-Frauen Deutschlands an die Spitze. Den Namen kann ich leider noch nicht verraten. Schon sagen kann ich aber, dass wir Chris Reuter geholt haben, der das Department Branded Entertainment neu aufbaut. Das ist auch eine Reaktion auf den sich verändernden Markt. Der essential wichtige Bereich Dailys wird von Merle Weber verantwortet, und der Bereich Dokumentation, der zuletzt das Jan-Ullrich-Projekt produziert hat, bekommt eine Doppelspitze. Da verstärkt die erfahrene Dokumentarfilmerin Susanne Laermann den Kollegen Jan Klophaus in der Führung. Das Doku-Geschäft läuft sehr gut. Wir überlegen sogar, die Abteilung als eigenes Unternehmen auszugründen, um eine noch klarere Trennung zwischen Entertainment und Dokumentation zu signalisieren. Mit den sieben Directors und ihren Departments sind wir breiter aufgestellt und wollen die besten Talente voranstellen, denn das ist unser Ziel: Die besten Talente vor und hinter der Kamera bei uns zu versammeln.

Gut, das will aber nun wirklich jeder. Die Strategie haben Sie nicht exklusiv.

Aber wir werden noch stärker als unsere Wettbewerber auf die besten Talente setzen, weil wir nicht den Zugriff auf eine Lizenz-Pipeline aus internationalen Formatkatalogen haben. Also müssen wir selbst sehr kreativ sein und Ideen entwickeln. Wir machen das zum Beispiel schon seit geraumer Zeit mit einigen Köpfen, mit denen wir dank "LOL" zusammenarbeiten dürfen.

 

"Ich kann mir 'LOL' im Free-TV in dieser Art nicht vorstellen."

 

Wo sie "LOL" ansprechen: Eine Staffel im Jahr, vielleicht noch ein Special oben drauf. Das allein zahlt nicht die Miete. Wie schwer ist es, den Erfolg nicht noch weiter zu melken, wie man es erwarten würde?

Ich freue mich sehr, wie vorsichtig alle Beteiligten mit "LOL" umgehen, weil wir genau dieser Versuchung nicht erliegen wollen, um zu schnell einen Overload erzeugen, der ein Format verbrennt. Bully, Prime Video und wir haben uns darauf verständigt, die Strategie mit einer Staffel im Jahr plus Special fortzuführen. Wir sprechen aber im weitesten Sinne mit Prime Video über eine Erweiterung der Markenwelt durch neue Comedy-Projekte, weil wir viele besondere Talente bei "LOL" dabei hatten und einfach mehr mit ihnen machen wollen. Da sind wir schon sehr konkret in der Entwicklung eigener Ideen für Prime Video.

Würde es den TV-Veteran Otto Steiner reizen, ein so prominent besetztes Format wie "LOL" auch im Free-TV antreten zu lassen?

Ich bin sehr glücklich damit, wo "LOL" läuft und wie gut wir da mit Prime Video zusammenarbeiten. Ich kann mir "LOL" im Free-TV in dieser Art nicht vorstellen, weil es unter anderem kaum noch Optionen gibt, ein halbstündiges Format linear zur besten Sendezeit zu programmieren. "LOL" hat genau die richtige Heimat. Was auch unmöglich wäre, weil ich manchmal danach gefragt werde, ist eine Live-Tour. Die Sendung hat einen sehr aufwendigen Schnitt, denn das, was das Publikum zu sehen bekommt, ist die extrem verdichtete Essenz dessen was in den vielen Stunden passiert. Das würde live völlig an Tempo verlieren und kaum jemand würde in einem Theater die zaghaften Lacher erkennen können, die uns mit all den Kameras natürlich nicht entgehen.

Sie erklärten eben, dass Sie Constantin Entertainment im Reality-Bereich verstärken wollen. Andere Firmen sind da schon aktiver unterwegs und trotzdem sehen Sie noch Luft für mehr?

Wir machen für Paramount+ neben "Germany Shore“ auch die zweite Staffel von "Dating Naked", die gerade in Kolumbien abgedreht wurde. Da hat man sich für die Fortsetzung gegen einen Mitbewerber und für uns entschieden. Das hat auch mit dem Vertrauen in unser Reality-Team zu tun und wir sind zuversichtlich, dass wir die Zusammenarbeit mit Paramount+ ausbauen können. Wir haben mit Bushido auch ein neues Format für Freevee abgedreht und arbeiten für einen anderen Streamingdienst an einem besonderen Celebrity-Format. Aber ich sehe nicht nur im Reality-Genre viel Potential, sondern auch im Factual-Bereich und da besonders bei Primetime-Programmen. Jeder sucht nach Gesichtern und Themen mit Relevanz wie einst die "Super Nanny", Schuldenberater Zwegat oder Rach, dessen zu Grunde liegendes Format - also "Kitchen Nightmare" - wir in Polen gerade in der 22. Staffel produzieren.

Das Werbegeld fließt nicht wie früher, da fokussieren manche Sender ihre Investitionen. Wie stehts ums Daytime-Fernsehen?

Die Daytime ist weiter ein äußerst wichtiger Zukunftsmarkt für uns, weil ich bei beiden großen Sendergruppen den Bedarf sehe und glaube - neben der großen Ausnahme "Shopping Queen", das von einem konsequenten Line-Up-Aufbau bei Vox profitiert hat - auch unverändert an Scripted Reality. Das hat zwei Gründe: Durch hochfrequentielle Formate gewinnt man nicht nur Programmstunden fürs lineare Programm, sondern gewinnt auch Volumen für die sendereigenen Streamingdienste, bei denen das Genre auch ganz hervorragend läuft. Man bekommt einfach viel fürs Geld, etwa bei "K11" wo wir jetzt 2.300 Folgen hergestellt haben und die bei Sat.1, Sat.1 Gold, als eigener FAST-Channel und auf Abruf bei Joyn verfügbar sind. Das hilft bei der finanziellen Entscheidung, gerade wenn der klassische Werbebreak schwächelt. Wer Effizienz will, setzt eher auf Scripted als auf Nonscripted Entertainment. Auch weil es zuverlässiger auf lange Strecke produzierbar ist und sich inhaltlich besser justieren lässt, wenn es nötig werden sollte. 

Der Markt steht vor einer weiteren Konsolidierung, hört man oft. Wie sehen Sie das - und auf welcher Seite der Konsolidierung steht Constantin Entertainment?

Ja, ich sehe auch eine weitere Konsolidierung im Markt. Constantin Entertainment wird als das Independent House of the Best Talents weiter der größte unabhängige Produzent für Unterhaltung bleiben. Wir sehen uns da als agileres Schnellboot neben großen Konzernen mit ihren globalen Strukturen. 

Herr Steiner, herzlichen Dank für das Gespräch.