Frau Hassel, Sie moderieren am Sonntag Ihren letzten "Bericht aus Berlin". Spüren Sie jetzt, wenige Tage vor der Sendung, bereits einen Abschiedsschmerz?

Ich gehe schon wehmütig. Gleichzeitig freue ich mich aber auch schon auf die neue Aufgabe. Das waren neun intensive Jahre, und das ist auch mehr als nur ein Job. Hier in Berlin arbeite ich bis zum letzten Tag, berichte auch noch über den bevorstehenden Staatsbesuch von Emmanuel Macron. Danach geht’s dann umgehend nach Brüssel. Ich glaube, das ist das beste Mittel gegen sentimentale Momente.

Die letzte Sendung wird zudem keine klassische sein.

Richtig, unsere letzte Sendung kommt nicht aus dem Studio. Stattdessen senden wir zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes vom Demokratiefest und widmen uns im Gespräch mit Innenministerin Nancy Faeser der Frage, wie bedroht unsere Demokratie ist und was man dagegen machen kann. Darüber hinaus sprechen wir vor dem Hintergrund von Macrons Besuch mit Armin Laschet, dem Vorsitzenden der deutsch-französischen Kommission. Er blickt bekanntlich sehr kritisch darauf, wie die Ampel diese Beziehung interpretiert.

Wie ist es denn aus Ihrer Sicht um die Demokratie bestellt, gerade im Hinblick auf die Medien?

In den neun Jahren, die ich den Berliner Politikbetrieb im ARD-Hauptstadtstudio begleite, sind die Gangart und der Ton sehr viel rauer geworden. Wir Journalistinnen und Journalisten stehen dabei im Sturm und trotzen ihm. Dennoch bleibe ich optimistisch, weil ich merke, dass viele Menschen noch immer erreichbar sind, wenn man sich die Zeit nimmt, ihnen zu antworten und sie zu fragen, was sie stört. Im Zuge der Bauernproteste habe ich beispielsweise mit vielen Bauern länger gesprochen und sie ins Hauptstadtstudio eingeladen. Mag sein, dass sie auch danach nicht unsere größten Freunde waren, aber sie haben mehr Verständnis für unsere Arbeit gezeigt. Das zeigt mir: Es braucht Geduld und Transparenz. Auf diese Weise lässt sich der Gesprächsfaden oft wieder aufgreifen.

 

"Ich freue mich, mal wieder rauszukommen."

 

Wie schwer ist es geworden, beim Publikum durchzudringen?

Mit der großen Marke, der "Tagesschau", dringen wir bei einem Millionenpublikum noch sehr gut durch. Das Problem ist eher, wie wir junge Leute erreichen, die der Marke zwar noch vertrauen, aber im Fernsehen nicht mehr einschalten. Es geht um die Frage, wie sich das Grundvertrauen in unsere seriösen Inhalte halten und zu den jungen Zielgruppen transferieren lässt. Dass es gelingen kann, zeigt unser Podcast "Mal angenommen", den wir im Hauptstadtstudio schon seit einigen Jahren erfolgreich produzieren. Obwohl hier thematisch dicke Bretter gebohrt werden, ist das Publikum extrem jung und sehr weiblich, was nicht selbstverständlich ist.

ARD-Hauptstadtstudio © ARD-Hauptstadtstudio/Christopher Domakis Das ARD-Hauptstadtstudio liegt unweit des Reichtags an der Spree.

Gleichzeitig steigen die Quoten für den "Bericht aus Berlin" im linearen Fernsehen. Worauf führen Sie das zurück?

Wir haben unsere Quote in den letzten drei Jahren um 43 Prozent gesteigert - auf den höchsten Wert, seitdem der "Bericht aus Berlin" am Sonntag sendet. Und die ganz neuen Zahlen sind noch besser: 10,7 Prozent im Schnitt! Das ist eine tolle Entwicklung, ein schönes Vermächtnis und eine Teamleistung. Woran die Steigerung liegt? Kein Chi-Chi. Außerdem profitieren wir von der längeren Sendezeit, um die wir lange gekämpft haben. Auf diese Weise können wir ausgeruhter versuchen, Orientierung zu geben. Wir nutzen den Sonntag als Ausblick auf die kommende Woche und bestimmen immer ein Schwerpunktthema. Dafür stellen wir einen Reporter für ein paar Tage frei, um die Berliner Blase zu verlassen und vor Ort mit den Menschen auf das Thema zu blicken. In Kombination mit hochkarätigen Gästen funktioniert das sehr gut. Und nicht nur auf die Entwicklung beim "Bericht aus Berlin" bin ich ein wenig stolz. Gemeinsam mit Martin Ganslmeier und Matthias Deiß habe ich in meinen neun Jahren hier auch das Hauptstadtstudio konsequent crossmedial umgebaut. Als Abschluss haben wir im Herbst 2023 das crossmediale Planungs- und News-Center im HSB an den Start bekommen. Inzwischen arbeiten alle Korrespondentinnen und Korrespondenten von Hörfunk und Fernsehen in gemeinsamen Ressorts. Wir recherchieren gemeinsam, bewerten gemeinsam und koordinieren, wer zu Parteitagen oder Ministerreisen geht.

Gibt es etwas, das Sie nicht vermissen werden, wenn Sie in wenigen Tagen die Hauptstadt verlassen werden?

Die deutsche Nabelschau. (lacht) Bevor ich nach Berlin kam, habe ich 13 Jahre im Ausland gelebt. Die Selbstwahrnehmung, gerade im politischen Berlin, und der Blick unserer Partner auf uns klaffen manchmal ganz schön auseinander. Gegen die Berliner Schnauze habe ich nichts, die mag ich sogar. Unser Lebensmittelpunkt bleibt auch in Berlin. Aber ich freue mich, mal wieder rauszukommen.

 

"Wer immer diesen großen Sender übernimmt, sollte aus einer neuen Generation kommen und potenziell zwei Amtszeiten meistern können." 

 

Sie wollten Intendantin des ZDF werden und haben die Wahl vor drei Jahren ziemlich spannend gemacht. Eine Rückkehr in Ihre Heimatstadt Köln, an die Spitze des WDR, hat Sie nicht gereizt?

Dass ich mir das zutraue, das Risiko nicht scheue und dass ich auch eine ernstzunehmende Kandidatin bin, habe ich bei meinem Exkurs zum Lerchenberg bewiesen. Ich habe mir deshalb sehr genau überlegt, ob ich mich auf den Posten beim WDR bewerben möchte. Mich hätte die Aufgabe sicher interessiert, aber am Ende einer langen Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wer immer diesen großen Sender übernimmt, aus einer neuen Generation kommen und potenziell zwei Amtszeiten meistern können sollte. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht anzutreten. 

Sie gehen nun stattdessen nach Brüssel, rechtzeitig zur Europawahl. Es geht also direkt von Null auf 100?

Viele der Themen, die bei der Europawahl eine Rolle spielen, sind Themen, über die ich die ganzen Jahre schon berichtet habe – und zwar nicht nur mit der Berliner Brille. Auch vom G7 und G20 oder der Münchener Sicherheitskonferenz. Aber ja, es ist ein sportlicher Umstieg. Wäre es um ein anderes Studio gegangen, wäre der Wechsel sicher nicht so einfach möglich gewesen.

Was wünschen Sie sich, wenn Sie auf die nächsten Jahre nach vorne schauen – für Europa, aber auch für sich selbst?

Es ist ein großer Wunsch, der mit der letzten "Bericht aus Berlin"-Sendung zu tun hat. Ich wünsche mir, dass die Demokratie stark bleibt und sich noch weiter entwickelt, noch etwas nahbarer wird und im positiven Sinne streitbarer. Und dass Europa in die richtige Richtung abbiegt und kein blockiertes, unregierbares, keine Lösungen mehr lieferndes Gebilde wird - das vielleicht noch wirtschaftlich funktioniert, aber darüber hinaus nicht mehr. Als kritische journalistische Begleiterin werde ich versuchen, die komplizierte EU-Politik verständlich rüberzubringen. Und das "Europamagazin" noch mehr für Sicherheitspolitik und die NATO zu öffnen. Was ich mir selber wünsche: Dass ich weiterhin den richtigen Kompass behalte, die wichtigen Themen richtig einzuordnen. Und natürlich, dass mir das weiter so einen großen Spaß macht wie bisher.

Frau Hassel, vielen Dank für das Gespräch.

 "Bericht aus Berlin", Sonntag um 18:00 Uhr im Ersten