Diese Serie ist mit durchschnittlichen Maßstäben einfach nicht zu fassen. Aber das war Ludwig XIV., Frankreichs legendärer Sonnenkönig, schließlich auch nicht. Was sonst hätte dieser Mega-Monarch verdient als die mutmaßlich teuerste und aufwändigste TV-Serie, die jemals auf europäischem Boden entstanden ist?

Rund 27 Millionen Euro haben die zehn Folgen "Versailles" gekostet, mit denen der französische Pay-TV-Sender Canal+ in diesem Herbst sein Programm krönen will. Und das dürfte nicht nur wegen des Protzes gelingen, sondern auch, weil dabei höchst unterhaltsame, süffige Serienkost entstanden ist. Nach gefühlt Dutzenden Ludwig-XIV.-Stoffen in TV und Kino haben die Franzosen gut daran getan, für einen anderen Blickwinkel diesmal den Briten das Ruder zu überlassen.



Es ist kein Wunder, dass in Frankreich viele von einem Sakrileg sprechen. Ausgerechnet die Grande Nation, die ihre Sprache und Kultur so strikt schützt wie sonst kaum jemand, lässt eines ihrer größten ureigenen Epen auf Englisch erzählen. Simon Mirren, Showrunner von "Criminal Minds" und "Without a Trace", und David Wolstencroft, Macher der BBC-Serien "Spooks" und "The Escape Artist", sind die beiden Briten, die mit der Mammutaufgabe betraut wurden. "Drei Milliarden Menschen auf der Erde sprechen Englisch", so Wolstencroft. "Also lasst uns diese Geschichte zum größtmöglichen Publikum bringen, so wie es die Amerikaner tun."

Die Serie beginnt im Jahr 1667, als der 28-jährige König – gespielt von George Blagden ("Vikings") – mitten im Krieg Paris verlässt und seinen Hof nach Versailles verlegt. Sein Ziel: die absolute Macht über den rebellischen französischen Adel. Vom ersten Moment an mixen Mirren und Wolstencroft auf intelligente Weise Politik und Psychologie. Als Zuschauer begreift man intuitiv, dass Versailles in erster Linie ein politisches Projekt war, dass Ludwig XIV. aber gleichzeitig das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und das schönste Schloss der Welt erbauen wollte.

Zentrales Thema der ersten Staffel ist das enge Verhältnis zwischen Ludwig und seinem verdeckt schwulen jüngeren Bruder Philipp. Im Piloten stirbt dessen Ehefrau Harriette – Schwester des englischen Königs und eine von Ludwigs zahlreichen Geliebten – kurz nach dem Tod von Ludwigs Mutter. Zwei Brüder, die ihre geliebte Mutter verlieren, die das Ende der Unschuld akzeptieren und endlich erwachsen werden müssen – aus dieser Perspektive wird der Stoff eher zum universellen Familien- und Coming-of-Age-Drama als zur französischen Geschichtsstunde.

Überhaupt nimmt es "Versailles" mit historischen Daten und Fakten nicht so genau. Da wird schon mal dazu erfunden, was theoretisch hätte passieren können. All das dient erfolgreich dem Ziel, eine sehr moderne Serie zu erzählen, die "das Objektiv auf die heutige Welt richten soll" (Wolstencroft). Vom typischen Period Drama à la "Downton Abbey" distanzieren sich Mirren und Wolstencroft auch durch moderne elektronische Musik im Soundtrack sowie bewusst gemäßigte Perücken und Kostüme. Kalkweiß gepuderte Gesichter, wie sie im 17. Jahrhundert bei Hofe üblich waren, wird man vergeblich suchen.

Vielleicht liegt die kreative Freiheit im Umgang mit der Historie auch daran, dass keine französischen Autoren an "Versailles" beteiligt waren. Mirren und Wolstencroft entwickelten die Drehbücher im Frühjahr 2014 mit einem britisch-amerikanischen Writers' Room in Los Angeles. Gedreht wurde dann freilich von August 2014 bis März 2015 in der Nähe von Paris, wo die preisgekrönte französische Set-Designerin Katia Wyszkop ("Saint Laurent", "Leb wohl, meine Königin!") einen beeindruckenden Versailles-Nachbau schuf.

Nach der Premiere bei Canal+, wo die Zuschauer zwischen der Originalversion und einer französischen Synchronisierung wählen können, dürfte "Versailles" rasch seinen Siegeszug in die internationale TV-Welt antreten. Die deutschen Rechte hat sich der Münchner Filmverleih SquareOne Entertainment ("The Imitation Game") gesichert, der damit erstmals ins TV-Seriengeschäft einsteigt. Die Entwicklung einer möglichen zweiten Staffel ist bereits angelaufen. "Ludwig XIV. ist der König mit der längsten Regierungszeit der Geschichte", so David Wolstencroft. "Am Ende von Staffel eins ist er gerade erst 30. Gestorben ist er mit 75. Wir könnten also das volle Programm bis zur Revolution durchziehen."