Sich von einer Serie überraschen lassen, ist heutzutage kaum noch möglich. Selten zuvor wurde so viel über Serien geschrieben, weil niemand den nächsten großen Serien-Hype verschlafen will. Jede Produktion wird abgeklopft auf ein mögliches Hit-Potential. Die Jagd nach den Superlativen lässt manche Produktion durchrutschen, was immer noch ganz besonders für europäische Serien-Highlights gilt. „Lifjord - der Freispruch“ ist so ein Beispiel.

Die norwegische Serie schafft es nicht in den großen Serienolymp, aber bietet viele gute Gründe, sich zehn Folgen lang mit ihr zu beschäftigen, eben weil sie überraschen kann. So steckt hinter dem Serientitel kein klassisches Nordic Crime - ein Genre auf dem Produktionen aus Skandinavinen einige Zeit lang festgelegt schienen. Die Serie rund um Hauptfigur Aksel Borgen (gespielt von Nicolai Cleve Broch) bricht mit den Erwartungen und entpuppt sich schnell als Familiendrama.

Der Hintergrund dafür ist ein Kriminalfall: Vor 20 Jahren wurde Borgen in seinem norwegischen Heimatort für den Mord an einer 18-Jährigen verantwortlich gemacht, aber nach einem Prozess am Ende freigesprochen. In seiner Heimat jedoch hielt man ihn weiter für schuldig. Längst in Asien als Geschäftsmann erfolgreich, erfährt er durch einen Anruf aus seinem alten Heimatort, dass die hiesige Fabrik für Solartechnologie vor dem wirtschaftlichen Aus stehe. In der Absicht zu helfen, fliegt Borgen in die Heimat - und merkt, dass so manche alte Wunden noch nicht verheilt ist.

Erzählt wird fortan ein komplexes Beziehungsdrama zwischen Familie, Freunden, alten Kollegen und Bekannten. Wie knüpft man nach 20 Jahren ohne Kontakt wieder an? Und wie denken die alten Bekannten eigentlich wirklich über das was einst geschah? Mit diesen Fragen beschäftigt sich „Lifjord - der Freispruch“ in einer sehr atmosphärischen Art und Weise. Die Landschaftsaufnahmen vom norwegischen Fjord tragen ihren Teil dazu bei.

Und wir als Zuschauer fragen uns angesichts von so viel Gegenwind für Borgen: War er einst der Täter eigentlich oder nicht? Doch die Dramatik dieser Frage nimmt erst zum Ende der ersten Staffel hin an Fahrt und Bedeutung auf. Tempo ist keine Qualität von „Lifjord - der Freispruch“ als wollten die Autorinnen Siv Rajendram und Anna Bache-Wiig erklären: Der Weg ist das Ziel. Nicht nur in dieser Beziehung ähnelt „Lifjord - der Freispruch“ der neuseeländischen Produktion „Top of the lake“.

Abgelegene Orte, eine eigenwillige Dynamik der vergleichsweise kleinen Gemeinschaft und ein Ensemble-Drama mit nicht sofort ersichtlichem Verlauf - wer „Top of the lake“ mochte, wird auch „Lifjord“ lieben. Dabei helfen auch weitere toll besetzte Rollen wie etwa die der Gegenspielerin von Aksel Borgen: Die Schwedin Lena Endre spielt begnadet zwischen Kontrollwahn und Verlust der Selbstkontrolle die Mutter der einst getöteten 18-Jährigen.

In Norwegen kennt man die von Miso Film und TV 2 Norway produzierte Serie als „Frikjent“. Auf dem Weltmarkt wird sie von der RTL-Tochter FremantleMedia International als „Acquitted“ verkauft und in Deutschland brachte Sony Entertainment Television sie in synchronisierter Form Anfang des Jahres als „Lifjord - Der Freispruch“ auf Sendung. Zusätzlich ist die Serie auch über iTunes bzw. als DVD oder Bluray zu kaufen.

Eine zweite Staffel von „Lifjord - der Freispruch“ wurde in diesem Frühjahr und Sommer gedreht. Und ohne irgendetwas zu verraten: Dem Autoren-Team ist es gelungen eine erste Staffel mit einem spektakulären Finale zu schreiben, das dem Serienfan einen befriedigenden Abschluss gibt - und gleichzeitig einen ungewöhnlichen, klugen Ansatz für eine finale zweite Staffel ermöglicht, auf die man sich jetzt schon freuen kann.