Gegen dieses Angebot wirken Ryanair-Tickets wie purer Luxus: Ein neues Leben am anderen Ende der Welt - für nur etwas mehr als zehn Euro! Und das ist nicht erfunden, denn die von der BBC und dem australischen Streamingdienst Stan realisierte Serie „Ten Pound Poms“ aus der Feder von Danny Brocklehurst erzählt ein wahres, selten erzähltes Kapitel aus dem großen Buch der Auswander-Geschichten. Es ist eine dieser Serien, bei der man nebenher hin und wieder googelt, was nun wahr und was Fiktion war.

Aber der Reihe nach. Dem Eurovision Song Contest haben wir seit einigen Jahren die Erkenntnis die Erkenntnis zu verdanken: Australien ist Europa näher als man denkt und ganz von ungefähr kommt diese Beziehung ja auch nicht. Ein Kontinent, heute oft Sehnsuchtsziel. Down Under verspricht Abenteuer, nicht nur aber auch weil es möglichst weit weg ist. Heute fasziniert das eher Touristen, doch natürlich verbindet Europa und Australien auch eine tiefergehende Geschichte. Genauer gesagt: Großbritannien und Australien.

Ten Pound Poms © BBC

„Ten Pound Poms“ widmet sich einer faszinierenden Episode der bewegten, auch fragwürdigen Geschichte zwischen diesen beiden Ländern - und einem dunklen Kapitel australischer Politik. Mehrere Regierungen des 20. Jahrhunderts hatten sich zum Ziel gesetzt, den Kontinent „weiß“ zu halten - ganz so als wären es die Briten im 18. Jahrhundert gewesen, die dort als erste gesiedelt und gelebt hätten. Aber diese Sensibilität für das Verbrechen der Kolonialisierung gab es Mitte des 20. Jahrhunderts zumindest auf offizieller Ebene noch nicht. Stattdessen sorgte man sich in Australien, den wachsenden Bedarf an Arbeitskräften im „schlimmsten Fall“ noch mit Einwanderern umliegender asiatischer Länder decken zu müssen.

Also wurden stattdessen lieber Briten mit einer spektakulären Kampagne gelockt: Für nur zehn britische Pfund versprachen ab 1945 Zeitungsanzeigen (zuerst nur und auch später hauptsächlich) in Großbritannien ein neues Leben - in Australien. Über Jahrzehnte subventionierten australische Regierungen so das Auswandern nach Down Under und führten zu dem nicht sehr positiv besetzten Spitznamen „Ten Pound Poms“ für jene meist verzweifelt nach einem Neuanfang suchenden Briten. Vom Schicksal einige dieser Menschen erzählt die Serie, etwa der Familie Roberts: Vater Terry (Warren Brown) versäuft mal wieder den Lohn im Pub, Mutter Annie (Faye Marsay) will nicht mehr und entdeckt in der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben auch für die beiden Kinder eine Zeitungsanzeige.

Ten Pound Poms © BBC

Die Serie verliert keine Zeit, verschifft uns mit den Roberts flott nach Australien. Die Prämisse ist dem britischen wie australischen Publikum schließlich besser vertraut als einem deutschen Zuschauer. Ich erwische mich parallel bei der Recherche, wie es mir auch mit Details bei „The Crown“ schon ging. Und siehe da: Es waren nicht wenige, sondern hunderttausende, die das Angebot der australischen Regierungen annahmen bevor es in den 80er Jahren eingestellt wurde. In Australien verfolgen wir dank der Erzählung von Danny Brocklehurst nicht nur Familie Roberts. Schicksale beginnen sich zu verweben und natürlich, so viel erahnt man vorher, ist Australien nicht die Lösung für alle Probleme.

„Ten Pounds Poms“ ist eine sechsteilige Saga über die hohen Hoffnungen, überraschenden Chancen aber auch falschen Erwartungen des Auswanderns. Das klingt zunächst einmal nicht wirklich neu. Man fühlt sich u.a. ein Stück weit erinnert an das Ende 2019 von der ARD veröffentlichte Auswanderer-Epos „Der Club der singenden Metzger“, weil hier wie dort die besondere Faszination darin liegt, dass die jeweils erzählte Zeit noch nicht oft Gegenstand einer Verfilmung war. Bei dieser Serie kommt dann auch noch die besondere  Auswander-Route hinzu, die aus deutscher Sicht zumindest in diesem politisch organisierten Maßstab eher unbekannt ist. 

In Großbritannien lief „Ten Pounds Pom“ mit Erfolg bei BBC One. Die mit dem australischen Streamingdienst Stan koproduzierte Serie startete erst am 14. Mai diesen Jahres; das Finale der sechsteiligen Staffel lief gerade Mitte Juni. So kurz nach dem Start und angesichts des speziellen Themas ist leider noch unklar, ob und wann dieses Gesellschaftsdrama vor dem Hintergrund eines weniger glorreichen Kapitels australischer Geschichte auch nach Deutschland kommen wird. Es wäre wünschenswert, weil hier konventionell aber handwerklich sauber über ein familiäres Gesellschaftsdrama dieses unbekannte kuriose Kapitel beleuchtet wird.