Herr Wieder, sie sind gerade in Deutschland, weil an diesem Samstag mit Robbie Williams die Konzertreihe Bavaria Sounds endet, bei der Sie das Bühnen Design verantworten. Das war ein Mammut-Projekt…

Auf jeden Fall, aber weniger für mich als für den Veranstalter Klaus Leutgeb, der mit Bavaria Sounds ins Risiko gegangen ist, eine Konzertreihe in München zu etablieren, wie es sie sonst z.B. mit British Summer Time im Londoner Hyde Park. Was wir gebaut haben ist im Grunde eine individuell designte Konzertbühne, eben nur ein bisschen größer.

Das ist jetzt aber extrem tief gestapelt…

Okay, aber auch wenn es die größte Bühne ist, die ich je designen durfte, macht das in der Planung erstmal keinen Unterschied. Was bei Bavaria Sounds anders gelöst ist als z.B. bei Rammstein, deren Tour ich auch gestaltet habe, ist der Einsatz von sehr großen Screens, um das Geschehen auf der Bühne bis ganz nach hinten ins Publikum zu tragen.

Der Einsatz von vielen Screens bei Ihnen würde jetzt in der TV-Branche niemanden überraschen…

Das bietet sich bei der Größe eben an, obwohl zum Beispiel Rammstein das bei ihrer Tour nicht hat. Die Blicke aus dem Publikum sollten dort allein auf die eigentliche Bühne gerichtet sein, auch von ganz hinten. Natürlich gilt bei Konzerten ab einer gewissen Größe immer: Wer vorne steht, sieht die Künstler, je weiter es weggeht von der Bühne desto mehr geht es um das Spektakel als Ganzes inklusive Lichtkonzept und Feuerwerk. Erst Recht bei dieser Größenordnung von bis zu 130.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.

Florian Wieder Helene Fischer Bühne © Wieder Design Florian Wieders bisher größte Bühne u.a. für Helene Fischer bei Klaus Leutgebs Bavaria Sounds

Ist so ein Konzert dann in sich im Grunde wie eine TV-Show?

Ja und Nein. Wobei das Helene Fischer Konzert auch fürs ZDF aufgezeichnet wurde. Die Screens bei Bavaria Sounds haben den Zweck die Künstler auch für die Leute weiter hinten gut sichtbar zu machen. Insbesondere bei Helene passiert viel auf der Bühne, wobei wir den Fokus auf Naheinstellungen und den Köpfen der Künstler haben. Eine extra Live-Regie kümmert sich da um die Ausspielung in Echtzeit.

Jetzt sind Shows von Helene Fischer eben nie nur Gesang, wie Sie sagen. Wie gefährlich war der Platzregen letztes Wochenende gut zwei Stunden vor Beginn für die Durchführbarkeit der Show?

Regen stellt grundsätzlich kein Problem dar. Nur Blitz und starke Winde sind aus technischer Sicht ab einer gewissen Stärke ein Problem. Zum Glück kam es trotz dem schlechten Wetters nicht dazu, dass wir alles runter fahren mussten. Zudem ist Helene ein absoluter Vollprofi. Sie lässt sich durch Regen nicht stören und erst recht nicht die Laune verderben. Letztendlich hat alles trotz des schlechten Wetters einwandfrei funktioniert.

Florian Wieder Bühne Helene Fischer © Wieder Design Bereitete Helene Fischer seine bisher größte Bühne: Florian Wieder.

Wenn Künstlerinnen oder Künstler über Bühne und Publikum fliegen wollen - wie intensiv muss dann eine Bühne schon konzeptionell mit den Artists zusammen geplant werden?

Das geht nur mit einem engen Austausch. Die Erfahrung haben mein Team und ich durch die Realisierung vieler großer Musikevents wie den MTV VMAs oder dem Eurovision Song Contest. Auch das Design einer  TV-Show muss immer gewisse Anforderungen erfüllen. Hier natürlich noch viel mehr individuell auf die künstlerischen Wünsche einzelner Artists angepasst. Bei drei so unterschiedlichen Künstlern wie Andreas Gabalier, Helene Fischer und Robbie Williams ist das spannend. Und dann soll die Bühne an sich auch noch zum wiedererkennbaren Markenzeichen werden, das sich von klassischen Festivalbühnen abhebt, um Bavaria Sounds als Marke zu etablieren.

Was bedeutet es Ihnen, so etwas vor der Haustür in München zu realisieren?

(lacht) Ja, das ist das Besondere daran. Normalerweise findet so etwas zumindest in dieser Größenordnung selten in Deutschland statt und jetzt auch noch fünf Minuten entfernt von meinem Büro. Das war in den letzten Wochen die kürzeste Anreise, die ich je zu einem Job hatte. Das war zur Abwechslung mal sehr komfortabel und es macht mich auch stolz, dass ich zusammen mit Klaus Leutgeb so etwas in München realisieren konnten.

Ihr Name steht bei vielen Projekten auch im TV drauf, aber wie viele Kolleginnen und Kollegen hat Wieder Design? Und wie wichtig ist der Standort München, wo alles begann?

Es teilt sich inzwischen etwa fifty-fifty auf zwischen München und den USA. Es sind zwei eigenständige Büros und Firmen, jeweils mit ca. 12 Leuten. Das ist auch eine Größenordnung, die ich ungerne wieder überschreiten möchte. Wir waren mal größer und ich habe es bewusst wieder etwas geschrumpft, damit es sich persönlich managen lässt. Wer bei uns anruft oder anfragt, erwartet dann auch, dass ich mich persönlich um Projekte kümmere. Deswegen müssen wir leider auch immer wieder mal Projekte absagen. Und außerdem: Wenn wir nur aufgrund der Nachfrage größer werden müssten, kann ich nicht mehr in alles involviert sein. Ich will aber nah dabei sein, denn meine Arbeit macht mir nach wie vor riesen grossen Spass.

Und wie verteilt sich die Arbeit zwischen München und den USA?

Hier in München entsteht das meiste Design in einem fantastischen Team, sozusagen das Herzstück des Ganzen. In den USA haben wir ein Team für Umsetzung und Projektplanung. Auch dort so um die 15 Leute.

 

Mich reizen weiterhin auch Nachrichtenstudios, die zwar klein sind aber dafür extrem viele andere Anforderungen mit sich bringen, weil sie viel intensiver genutzt werden als eine Event-Bühne. Da geht die Funktionalität über die reine Optik. Florian Wieder

 

Welche Rolle spielt angesichts solcher Events wie Bavaria Sounds denn noch das Geschäft mit TV-Sets und -Studios?

Unser Portfolio ist relativ breit gefächert, von Information und Nachrichtenstudio über Sport bis zur großen Unterhaltung, wo ein bisschen die Kernkompetenz liegt. Da haben wir sicherlich auch die meiste Erfahrung gesammelt. Aber mich reizen weiterhin auch Nachrichtenstudios, die zwar klein sind aber dafür extrem viele andere Anforderungen mit sich bringen, weil sie viel intensiver genutzt werden als eine Event-Bühne. Da geht die Funktionalität über die reine Optik. Ich schätze mich sehr glücklich alles machen zu können und jede gesammelte Erfahrung verbessert das Handwerk. Dazu nehme ich auch Inspirationen aus der Unterhaltung mit hinüber wenn wir ein News Set entwickeln. So entstehen oft neue Dinge, die man so in ihrer Form nicht nicht in diesem Genre gesehen hat.

Sie realisieren Sets für die größten TV-Shows auch in den USA, dazu Preisverleihungen wie die MTV Awards, EMMYs und bereits mehrfach beim Eurovision Song Contest. Sind Sie ein deutscher TV-Export?

(lacht) TV-Export klingt nach industriell und rational geplant. So war das ja nicht. Das hat sich irgendwie so ergeben.

Wie hat es sich denn ergeben?

Das ist zwanzig Jahre her. Wir hatten gerade nach vielen anderen Designs das Set für „Deutschland sucht den Superstar“ gebaut als ich einen Anruf eines Herren aus Großbritannien bekam. Es war Simon Cowell, der damals noch Juror bei „American Idol“ war, aber schon an einer eigenen Musikshow arbeitete. Er fand unser Set für „Deutschland sucht den Superstar“ so gut und fragte, ob mir ein Design für seine neue Show „X Factor“ einfallen würde. Das wurde dann mein erstes Projekt in Großbritannien und mit dem Erfolg dort, war dann der Schritt in die USA einfacher. Aber das hat sich wie gesagt immer so ergeben. Das mich kreativ freut: Man exportiert ja keine identische Ware. Oft mündet die Begeisterung für ein Projekt in der Beauftragung von etwas ganz anderem.

Was macht denn z.B. für amerikanische Auftraggeber ein Set-Design von Ihnen und ihrem Team aus München denn besser als die Arbeit anderer?

Ich will das selbst nicht beurteilen, aber höre von unseren Kunden immer wieder, dass sich unsere Projekte anders anfühlen als das was sie von amerikanischen Kreativen angeboten bekommen. Und mir macht die Arbeit in den USA Spaß, weil dort die Budgets oft nochmal andere sind und wenn man Fantasien oder Träume realisieren will, fällt das bei US-Projekten in der Regel einfacher. Wenn man nicht gerade eine Konzertbühne für 130.000 Menschen vor der Haustür realisieren kann.

 

Das Bewusstsein fürs ganzheitliche Denken wird bei besonders großen Produktionen geschärft, hilft bei Projekten jeder Größe. Florian Wieder

 

In der Branche sind TV-Sets von Ihnen oft wiedererkennbar. Den Stil haben Sie exportiert. Haben Sie auch etwas importiert, also mitgenommen aus den Erfahrungen in anderen Märkten?

Mir haben die großen Projekte im Ausland dabei geholfen, sein eigenes Gewerk viel frühzeitiger als Teil eines Gesamtkonstruktes zu betrachten und verstehen. Dazu muss man sich selbst auch mal in Teilen zurücknehmen, mal die Perspektive von Regie oder Producer einnnehmen. Ganz am Anfang war ich da schon eher mit Scheuklappen unterwegs und fokussiert sich auf das eigene Handwerk. Aber bei den meisten Projekten sind die Gewerke so intensiv miteinander verknüpft und Inhalte können viel besser in Szene gesetzt werden, wenn man die gleich mitdenkt. Deswegen habe ich ja auch großen Spaß an der mit Jens gegründeten Produktionsfirma, wo wir das aus einer Hand selbst machen. Aber auch bei Auftragsproduktionen fürs Set oder Design: Das Bewusstsein fürs ganzheitliche Denken wird bei besonders großen Produktionen geschärft, hilft bei Projekten jeder Größe. Da kann ich dann vielleicht auch wieder was importieren (lacht).

Im vergangenen Jahr haben Sie den Deutschen Fernsehpreis am Kölner Tanzbrunnen in Szene gesetzt und wenige Tage später auch die Emmys in Los Angeles, die aufgrund von Corona-Beschränkungen traurig aussahen. Können die Emmys dieses Jahr wieder mit dem Deutschen Fernsehpreis mithalten?

Die Idee, den Deutschen Fernsehpreis outdoor zu veranstalten, fand ich wirklich großartig im letzten Jahr. Das war mal etwas komplett anderes. Das war extrem mutig, auch mit der Ungewissheit wie das Wetter werden würde. Dagegen sahen die Emmys tatsächlich weniger spektakulär aus, was den Corona-Vorgaben geschuldet war. Nicht einmal direkt für die Gestaltung der Verleihung, aber viele TV-Produktionen haben ihren Stars per Vertrag klare Vorgaben gemacht, an welcher Art von Veranstaltung sie teilnehmen dürfen, um keine Corona-Infektion zu riskieren, die Dreharbeiten verzögern würde. Deswegen mussten viele zuhause sitzen, weil sonst die Versicherung der Produktionsfirmen nicht mehr gegriffen hätte.

Deshalb bei den Emmys also das Zelt auf dem Parkhaus?

Genau, der Sorge wollte man entgegenwirken mit einer Verleihung in einem mehr oder weniger offenen Zelt, wo sonst die Aftershowparty stattfindet. Aber die Zahl der Gäste schrumpfte trotzdem weiter auf wenige hundert und gleichzeitig lässt sich in einem Zelt nur sehr reduziert mit schwerer Technik arbeiten. Wir haben das Set im wöchentlichen Rhythmus kleiner geschrumpft. Deswegen sah das so minimalistisch aus. Aber in diesem Jahr werden die Emmys wieder richtig groß und auch ganz anders als in den Jahren vor der Pandemie. Es wird eine visuelle Überraschung würde ich behaupten.

Letzte Frage: Wenn man in den Wochen vor dem Eurovision Song Contest mitbekommt, dass die Bühne der Konkurrenz gar nicht so funktioniert wie theoretisch geplant - wie groß ist dann die Schadenfreude? Oder leidet man mit?

Nein, weder noch. Schadenfreude ist nie angebracht weil wir alle nie gänzlich ausschließen können, dass etwas schief läuft. Es wurden da zwar ein paar Fehler gemacht, die für mich leicht zu analysieren sind, weil das ja mein Tagesgeschäft ist. Man hat sich mit der Konstruktion in eine Sackgasse begeben, die keinen Plan B eingebaut hatte. Ich hoffe sehr, dass mir das nie passieren wird, weil wir eigentlich immer einen Backup-Plan hatten. Und dann auch noch beim ESC. Bei jeder normalen Sendung müsste man dem Produzenten oder Sender beichten, dass da was nicht klappt wie es geplant war. Beim ESC bekommen es eben so viel mehr Menschen mit, weil die Acts aus den Ländern ja ihre Performances schon mit großem Vorlauf auf das geplante anpassen. Und dann musste das aufgrund von technischen Mängeln auch noch zweimal verändert werden, weil man sich dann noch entschieden hat, lieber auf Licht statt Video zu setzen. Da verstehe ich den Unmut vieler Beteiligten, aber ganz frei von Schadenfreude.

Werden sie für den ESC 2023 in Großbritannien wieder ihren Hut in den Ring werfen?

Ich habe beim ESC noch nie meinen Hut in den Ring geworfen. Wir wurden immer angefragt, allerdings nicht von der EBU sondern jeweils dem Sender des ausrichtenden Landes. Manchmal gibt es dann Ausschreibungen, manchmal wird einfach direkt jemand beauftragt. Wenn wir angefragt werden, legen wir auf jeden Fall ein Konzept vor. Das haben wir in Italien auch gemacht. Aber ob aus Großbritannien ein Anruf kommt, müssen wir abwarten. Der ESC ist eine mit viel Bedeutung aufgeladene Mammut-Veranstaltung, da ist die Vergabe von Aufträgen mitunter auch aus patriotischen Gesichtspunkten zu verstehen.

Herr Wieder, herzlichen Dank fürs Gespräch.